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02.08.08 / Den Stein der Narren entdeckt / Vor 125 Jahren wurde der Dichter Joachim Ringelnatz geboren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31-08 vom 02. August 2008

Den Stein der Narren entdeckt
Vor 125 Jahren wurde der Dichter Joachim Ringelnatz geboren
von Silke Osman

Er hätte den Stein der Narren entdeckt, sagte Alfred Polgar einmal von ihm. Und Paul Fechter schrieb: „Er besaß die eingeborene Lust an der Narrheit auch der Sprache und hat sie mit und ohne Nachhilfe von Alkohol weidlich ausgekostet.“ Und: Er habe nicht nur Gefühl besessen, sondern auch den Mut zum Gefühl. Die Rede ist von Joachim Ringelnatz, dessen 125. Geburtstages am 7. August gedacht wird. Denkt man an diesen Dichter, der eigentlich Hans Bötticher hieß, dann fällt einem sofort eine seiner Figuren ein, die ihn unsterblich gemacht hat: Kuttel Daddeldu. Die Balladen um den meist besoffenen Seemann erschienen erstmals 1920; eine erweiterte Auflage, in die noch andere lyrische und sozialkritische Gedichte des Autors aufgenommen wurden, kam 1923 heraus. Die moritatenhaften Seemannslieder erzählen von wilden Seefahrten und ebenso wilden Landgängen, von den verschiedenen Bräuten des Matrosen und von seinen Kindern in aller Welt. Skandalös, erotisch, derb, spöttisch, melancholisch – all das waren die Verse von Joachim, der seine Schöpfungen auch selbst, unterstrichen von seiner ausgeprägten pantomimischen Begabung, im ganzen Land vortrug.

Ringelnatz wußte, wovon er schrieb, war er doch zunächst als Schiffsjunge und dann als Matrose zur See gefahren, hatte bei der Kaiserlichen Marine gedient. Das Licht der Welt erblickte er 1883 in Wurzen bei Leipzig als Sohn des Schriftstellers Georg Bötticher und dessen Frau Rosa Marie. Vater Bötticher gab unter anderem Auerbachs Deutschen Kinderkalender heraus, in dem Ringelnatz, der sich 1919 das Pseudonym nach dem seemännischen Namen des glücksbringenden Seepferdchens zulegte, erste Gedichte veröffentlichte.

Nach seinen abenteuerlichen Reisen als Seemann erlebte Joachim Ringelnatz nicht minder abenteuerliche Zeiten als Assistent auf dem Hamburger Dom, wo er helfen mußte, Riesenschlangen zu tragen, als Kaufmann, als Hausmeister einer Pension, als Lehrling in einer Dachpappenfabrik, als Angestellter in einem Reisebüro, als Bibliothekar der Familie York Graf von Wartenburg in Schlesien und in Windischleuba bei Börries von Münchhausen, dem Vater des Dichters. Es waren aber diese abenteuerlichen Zeiten, die ihm den Blick öffneten für die Licht- und Schattenseiten des Lebens. Mit sicherem Gespür für die Nöte des kleinen Mannes und mit dem ihm eigenen Humor schilderte er, was er sah und erlebte.

Ein wenig Ruhe kehrte in sein Leben ein, als er 1920 Leonharda Pieper, die er liebevoll „Muschelkalk“ nannte und die eine Tochter des Rastenburger Bürgermeisters war, ehelichte. Ringelnatz hat später auf einer seiner Tourneen durch Deutschland auch die Heimat seiner Frau besucht (Februar 1929) und – wie könnte es anders sein? – ein Gedicht über Königsberg verfaßt, in dem er die Mädchen dort lobt: „Die Mädchen, die mir’s angetan, / Die wirkten so wie Walzen / Und schmeckten doch wie Marzipan / Nur kräftig und gesalzen.“

Als Kabarettist im Münchner Künstlerlokal „Simplicissimus“ und an der Kleinkunstbühne „Schall und Rauch“ von Ernst von Wolzogen in Berlin fand er mit seinen skurrilen Versen ein aufgeschlossenes Publikum. Daß Joachim Ringelnatz jedoch auch ein begnadeter Erzähler war, wird oft vergessen. „Mit ihm gelacht und mit ihm geweint habe ich nun schon seit manchem Jahrzehnt“, bekannte der Schauspieler Otto Sander einmal seine Liebe zum Werk von Joachim Ringelnatz, „mit ihm gelangweilt habe ich mich noch nie!“ Köstlich amüsieren kann man sich denn auch in dem Anekdotenband aus dem Eulenspiegel Verlag, auf dessen Titelseite Ringelnatz eindringlich mahnt: „Laß dich ja nicht zum Lachen verleiten“ (128 Seiten, geb., 9,90 Euro). Tschuldigung; Herr Ringelnatz, aber das geht ja nun gar nicht. Schmunzeln und kichern wird doch wohl erlaubt sein, beim Lesen der Anekdoten, die so geschickt aneinandergereiht sind, daß eine heitere Biographie entstanden ist.

Heiter geht’s auch zu in Cuxhaven, wo neben der Geburtsstadt Wurzen eine Gedenkausstellung für Joachim Ringelnatz eingerichtet wurde. In dem kleinen, liebevoll von ehrenamtlichen Helfern der Joachim-Ringelnatz-Stiftung betreuten Fachwerkhaus, gegen-über von Schloß Ritzebüttel gelegen, findet man alte Fotografien, Dokumente, Briefe und Bücher, darunter auch solche für Kinder, die einen lebhaften Einblick geben in das bewegte Leben des Dichters und – Malers, denn auch diese Begabung des Joachim Ringelnatz ist nicht allgemein bekannt. Der im Ersten Weltkrieg als Mariner in Cuxhaven stationierte Ringelnatz fand hier und auch später Zeit für seine zweite Leidenschaft, die Malerei. Es entstanden Ölbilder und Aquarelle, die durchaus surrealistisch wirken und keineswegs einen dilettantischen Eindruck erwecken. Der weite Himmel, hohe Wellen, dunkle, schwere Wolken sind die Motive, die der Seemann aus Leidenschaft mit dem Pinsel festhielt.

Eine besondere Ehre wurde Ringelnatz im Jubiläumsjahr nun auch zuteil: Die Deutsche Post gab eine Sonderbriefmarke mit seinem Konterfei heraus (Wert 0,85 Euro). Ob er das wohl einst schon geahnt hat? Schließlich dichtete er typisch ringelnatzisch: „Ein männlicher Briefmark erlebte / Was Schönes, bevor er klebte. / Er war von einer Prinzessin beleckt. / Da war die Liebe in ihm erweckt.“ So heiter vieles, was Ringelnatz schrieb, auch klingt, so tragisch waren seine letzten Lebensjahre. Mit Auftrittsverbot belegt, schwer an Tuberkulose erkrankt, mittellos ... Joachim Ringelnatz starb am 17. November 1934 in Berlin.

Das Museum mit Ringelnatzsammlung, Domgasse 2, 04808 Wurzen, ist Montag bis Freitag von 10 bis 13 Uhr sowie von 14 bis 18 Uhr, am Wochenende von 11 bis 16 Uhr geöffnet.

Das Joachim-Ringelnatz-Museum Cuxhaven, Südersteinstraße 44, ist dienstags bis sonntags von 10 bis 13 Uhr und von 14 bis 17 Uhr geöffnet, Führung nach Vereinbarung, Telefon (0 47 21) 39 44 11.

Foto: Erinnerungsstätte mit Herz: Joachim-Ringelnatz-Museum in Cuxhaven


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