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02.08.08 / Oase der Ruhe am Strand / Aus dem guten alten Strandkorb ist ein Luxusmöbel geworden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31-08 vom 02. August 2008

Oase der Ruhe am Strand
Aus dem guten alten Strandkorb ist ein Luxusmöbel geworden
von Miriam Fehsenfeld

Die Augen können den Fingern kaum folgen. So schnell ziehen die das Kunststoffband durch die „Staken“, dünne runde Stangen im Holzrahmen, die dem Geflecht Halt geben und Festigkeit verleihen. Hier entsteht ein Strandkorb. Der junge Mann, der den hölzernen Rahmen mit dem typischen Geflecht füllt, ist einer von 43 Mitarbeitern der „Korb GmbH“ in Heringsdorf auf der Ostseeinsel Usedom. 5000 bis 7000 Strandkörbe werden in Deutschlands ältester Strandkorbmanufaktur pro Jahr hergestellt – wobei das „manu faktu“ – Hand gemacht – wörtlich zu nehmen ist.      

Geschäftsführer Mathias Fromholz: „Ein Strandkorb aus Heringsdorf entsteht ausschließlich in traditioneller Handarbeit. Das Können und die Erfahrung unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Produktion haben unserer Manufaktur weltweit einen erstklassigen Ruf eingetragen.“ In der Tat: Für die Strandkörbe von Usedom geben Kunden in aller Welt von rund 700 Euro für die Grundform mit Standardausstattung angefangen bis zu 4000 Euro und mehr für die individuellen Sonderfertigungen aus.

Eigentlich wird erst auf der letzten Arbeitsplattform der Korb-Macher, beim Zusammenbau der einzelnen Teile wie Untergestell, Seitenteile und „Himmel“ die ganze Variationsbreite deutlich, die eine große Manufaktur heute ermöglicht. Und die auch nur eine Manufaktur leisten kann, da Einzelstücke sich jeder maschinellen Fertigung entziehen.

Der Strandkorb ist „in“, wir finden ihn in Gärten und Wintergärten, auf Terrassen und Balkonen, und in der Bauart „Ganzlieger“ wird er auch schon einmal als Gästebett genutzt. In Heringsdorf weiß man von einem Fan, der sich seinen Luxusstrandkorb im Garten auf einen Schienenkreis montieren ließ, so daß er von einem Elektromotor angetrieben und computergesteuert tagsüber der Kreisbahn der Sonne folgen und nachts den Sternenhimmel beobachten konnte.

Meilenweit sind diese Strandkörbe von den gängigen Standardmodellen entfernt, die man an den Stränden von Nord- und Ostsee mieten kann. Und weit mehr als jetzt 126 Jahre scheint der Tag zurückzuliegen, an dem der Rostocker Hofkorbmacher Wilhelm Bartelmann 1882 für die von Rheuma geplagte Friederike von Maltzahn seinen Strandstuhl baute und damit den Strandkorb erfand. Produktionsleiter Matthias Krüger erklärt: „Bei den heutigen Edelkörben verstärken Metallbeschläge aus seewasserfestem Aluminium, verzinktem Stahl oder Edelstahl alle Verbindungen und Versteifungen im Oberteil. Sie können die Haube mit einem versteckt installierten Federmechanismus in die Senkrechte zurückholen, Sie können Extrataschen für die Strandlektüre, für das Handy und die Armbanduhr haben und abschließbare Schubfächer zwischen den Fußstützen. Die Leute wissen doch in der Regel nicht, wo sie den Schmuck oder die teure Uhr lassen sollen, wenn sie baden gehen.“

Doch damit nicht genug: Rollen oder Kunststoffgleiter verleihen sowohl Standfestigkeit als auch Beweglichkeit, und höhenverstellbare Fußstützen oder extra dicke Polster bringen noch mehr Bequemlichkeit. Auch an integrierten Leselampen, dem iPod-Anschluß, DVD-Player und DVB-T-Fernseher mit Flachbildschirm muß es nicht fehlen, ebenso wenig wie an einer Sitzheizung, Rückenmassage oder dem eingebauten Kühlschrank, der im Winter auf Wärme für den Glühwein umgeschaltet werden kann.

Ob „Pflicht“ oder „Kür“: Im Grunde sind es immer fünf Schritte, in denen aus dem Holz von Kiefer, afrikanischem Iroko oder asiatischem Teak, dem Flechtwerk aus Kunststoff oder Palmen-Rohr und dem Stoff der Polster und Bezüge ein Strandkorb entsteht.

Jeder Strandkorb besteht zunächst aus einem Holzgestell. Und schon dabei zeigt sich: Es geht nicht nur um Handarbeit, es geht auch um Maßarbeit. Millimetergenau ist die Kreissäge eingestellt, an der die breiten Latten zugerichtet werden. Wenige Meter weiter werden lange Hölzer in kurze Rechtecke geschnitten, und der Beobachter erkennt die späteren Tischchen wieder, die so praktisch an den Innenseiten des Strandkorbes aufgeklappt werden können. Und erinnert sich an die immer ein wenig sandig knirschenden Butterbrote aus kindlichen Ferientagen und an die zwischen Küssen geleerten Weinflaschen nächtlicher Strandpartys. In großen Stapeln lehnen eng aneinandergestellt die elegant geschwungenen Seitenteile der Ostseeform und daneben in friedlicher Nachbarschaft die gerade geschnittenen Wände, die der kantigeren Nordseeform des Strandkorbes das Gesicht verleihen.

Nach dem Kreischen und Lärmen der Sägen, Fräsen, Hobel und Bohrer ist es in der nächsten Halle der auf mehrere Gebäude verteilten Produktion eher still. Dort, wo die vormontierten Holzteile lasiert und gelackt werden, bestimmt der leicht stechende Geruch von frischer Farbe und allerlei chemischen Laugen die Atmosphäre. Die vormontierten Teile versinken in den Tauchbecken, in denen die Lasur durch die natürlichen Poren tief in den Kern des Holzes eindringt. So wird das Herz des Strandkorbes fit gemacht, damit es später dem aggressiven Gemisch aus Luft und Salz Stand hält, das für den Meeresstrand so typisch ist. Gleichzeitig erhält das Holz durch die Lasur seine Farbe.

Vier, fünf Arbeitsplätze sind in der Flechterei der „Korb GmbH“ gerade besetzt. Weißes Kunststoffband links, gelbes Band rechts und weiter hinten entsteht ein edler Strandkorb aus dem runden Rattan, einem durchaus sperrigem Material aus dem Stamm der Rotangpalme. Doch auch da versetzt die Geschwindigkeit, mit der der erfahrene Flechtmeister den Korb aufbaut, den Besucher in ungläubiges Staunen. Matthias Krüger: „Zehn Stunden insgesamt brauchen unsere Flechter für einen normalen Strandkorb – das können aber auch über 50 Stunden werden, wenn ein Kunde sich für einen Boondoot-Korb entscheidet, unsere aufwändigste Rattan-Variante.“

Giraffe ist im Nachbarraum angesagt – oder ist das eher Leopard, was dort im rasenden Stakkato der Nähmaschine zum Polster für den Sitz und Rücken des Strandkorbes zusammenwächst, zum Bezug für die Kissen und zur Wimpelbahn der Markise? Jedes Muster ist möglich, von den bekannten einfachen Streifen bis zur afrikanischen Großkatze oder eben zum langhalsigen Paarhufer, die in dieser Saison gerade Mode sind; jede Farbkombination liegt hier in der Schneiderei der Manufaktur auf Lager. Direkt neben den Nähmaschinen steht der breite Zuschneidetisch, an dessen Kopfseite die Rollen aus imprägniertem Markisenstoff eingespannt werden. Hier wird wieder einmal genau Maß genommen, der Stoff nach dem Zuschnittplan mit dem Stift angezeichnet, bevor die im raschen Bogen geführte Schere ihn sauber zerteilt, als wäre das nicht wind- und wetterfestes Gewebe, sondern dünnes Papier. Dem Laien wird die ganze Kunst des Zuschneiders und der Näherinnen erst deutlich, wenn aus den vielen einzelnen Stoffstücken ein Ganzes wird, wenn die genähten Teile auf das Geflecht getackert werden und dabei jeder Streifen millimetergenau aneinander paßt.

Und schließlich wächst zusammen, was bei einem Strandkorb zusammengehört. Bock und Seitenteile werden miteinander verschraubt, die Fußstützen eingepaßt, die Klapptischchen montiert. Zum Schluß wird das Oberteil angehängt. In der Regel bietet ein Strandkorb heute vier Stelllungen, in die er sich klappen läßt. Immer häufiger finden sich aber auch Modelle mit stufenloser Verstellvorrichtung oder die „Ganzlieger“, bei denen das Oberteil per Kurbeldrehung in die Vertikale gesenkt werden kann, so daß das Sitzmöbel in ein Strandbett verwandelt wird.

Auf dem Parkplatz steht schon der Lastwagen bereit, der eine neue Ladung Strandkörbe zu einem Gartenhandel nach München bringen wird. Wenige 100 Meter von den Produktions- und Lagerhallen der „Korb GmbH“ entfernt, „trecken“ die Ostseewellen an den weißen Strand.

Foto: Strand in Binz auf Rügen: Auch hier prägen die beliebten Strandkörbe das Bild.


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