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02.08.08 / Ein scheinbar wertloses Bild

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31-08 vom 02. August 2008

Ein scheinbar wertloses Bild
von Albert Loesnau

Der Zufall führte mich mit Friedrich Bergner zusammen. Ich begegnete dem erfolgreichen Anwalt, der sich durch einige große Strafprozesse einen Namen gemacht hatte, im Tennisklub.

Bergner war ein Mann mittleren Alters. Er liebte Musik, klassische Literatur und wertvolle Bilder. Manchmal saßen wir in einer Weinstube bei einem guten Tropfen und plauderten über die Kunst in ihren vielfältigen Ausdrucksformen. So kam es, daß er mich eines Tages zu sich einlud. Das Haus war ohne auffallenden Luxus eingerichtet, aber es verriet bis ins kleinste Detail kultivierten Geschmack.

Bergner ließ mich in der Bibliothek einen Augenblick lang allein, um den Wein aus dem Keller zu holen. Ich sah mich im Zimmer um. An den Wänden hingen zwischen Bücherregalen Landschaftsbilder im Stil der Romantiker. Ich betrachtete sie eingehend. Dabei fiel mein Blick auf ein kleineres Bild, dessen grelle Farben mir regelrecht ins Auge sprangen.

Überrascht trat ich näher und sah mir das Werk genauer an. Grundsätzlich war die Szene nicht einmal schlecht zu nennen. Doch die schreiend-roten und düster grau-braunen Farben, zwischen die einzelne giftgrüne Akzente gesetzt waren, ließen die Arbeit sehr grell erscheinen.

„Sie wundern sich vermutlich, wie das Bild dort in die Gesellschaft alter Meister kommt“, war in diesem Moment Bergners Stimme zu hören.

Ich nickte. Bergner trat an den Tisch heran. „Ich weiß, daß das Bild an sich ziemlich wertlos ist“, fuhr er fort, während er die Gläser füllte. „Aber es knüpft sich eine Erinnerung daran. Deshalb habe ich ihm einen Platz unter den anderen Bildern eingeräumt.  Falls Sie die Geschichte interessiert, will ich sie gern erzählen.“

Neugierig geworden, stimmte ich zu. Bergner schwenkte sein Glas in der Hand und sah nachdenklich vor sich hin.

„Ich war noch sehr jung, als ich meine Eltern durch einen Verkehrsunfall verlor“, begann er. „Es gab nur eine einzige Verwandte: meine Tante Therese. Sie war Witwe und wohnte in Hannover. Ich sah sie nach längerer Zeit wieder, als sie zur Beerdigung nach München kam. Verständnisvoll half sie mir über die ersten schweren Stunden hinweg. Da mein Vater kein nennenswertes Vermögen hinterlassen hatte, sah ich mich gezwungen, das gerade begonnene Studium aufzugeben. Doch davon wollte meine Tante nichts wissen. Sie erklärte sich vielmehr sofort bereit, die Kosten des Studiums zu übernehmen und sagte, daß es für sie kein Opfer bedeutete, mich finanziell zu unterstützen, da ihre Pension reichlich bemessen sei.

Letztlich stimmte ich ihrem Vorschlag dankbar zu. Als Gegenleistung nutzte ich während der Semesterferien jede Gelegenheit, Geld zu verdienen. Dadurch sah ich meine Tante während des Studiums nur selten. Ich beschränkte mich darauf, ihr zum Geburtstag und anderen Festtagen ausführliche Briefe zu schreiben, in denen ich über meine Fortschritte in der Rechtswissenschaft berichtete.“

Bergner nahm einen Schluck Wein und setzte die Erzählung fort.

„Es war mir noch vergönnt, mit Tante Therese das bestandene Examen in München zu feiern. Sie freute sich außerordentlich darüber, daß ich gleich darauf eine Anstellung in der Kanzlei einer bekannten Rechtsanwaltssozietät erhielt. Vor ihrer Abreise lud ich meine Tante in ein gutes Restaurant ein. Dabei fiel mir auf, daß sie – auch während des Essens – ihre feinen, weißen Handschuhe nicht auszog. Ich hielt es für eine persönliche Eigenheit und dachte nicht weiter darüber nach.

Kurz nachdem Tante Therese wieder nach Hause gefahren war, erhielt ich die Nachricht von ihrem plötzlichen Tod. Nach der Beisetzung begann ich, ihre Wohnung aufzulösen, die in einer Mansarde lag. Ein separates Zimmer war an einen jungen Mann vermietet, der auf mich den Eindruck eines strebsamen, aber allem Anschein nach nicht sehr erfolgreichen Malers machte. Unter dem Dachfenster stand eine Staffelei mit einem Bild, dessen Firnis gerade getrocknet war. Es zeigte eine Wäscherin am Waschtrog. Ich stutzte, denn ich bemerkte, daß das Gesicht unverkennbar die Züge meiner Tante Therese trug.

Als ich den jungen Künstler nach dem Zusammenhang fragte, erfuhr ich zu meiner Überraschung,  daß er meine Tante bei ihrer täglichen Arbeit gemalt hatte. Er beabsichtigte, mit seinen Bildern den Alltag der einfachen Leute zu zeigen.

Auf meinen erstaunten Einwand hin meinte er, daß meine Tante vermutlich wegen ihrer äußerst knapp bemessenen Rente zu dieser Tätigkeit gezwungen war.

Sofort erkannte ich den tatsächlichen Zusammenhang. Mit dem zusätzlich verdienten Geld hatte meine Tante größtenteils mein Studium bezahlt. Im selben Moment wurde mir auch klar, weshalb sie bei ihrem Besuch in München stets die weißen Handschuhe getragen hatte. Sie wollte unter allen Umständen vermeiden, daß ich ihre abgearbeiteten Hände sah!

Ich war bestürzt und bat den jungen Maler, mir das Bild zu verkaufen. Er willigte sofort ein und nannte einen geringen Preis. Trotz seines lebhaften Widerspruchs händigte ich ihm einen weit höheren Betrag aus, weil ich auf diese Weise die selbstlose Hilfsbereitschaft meiner Tante ein wenig ausgleichen konnte ...“

Bergner schwieg und füllte noch einmal die Gläser. „Verstehen Sie nun, weshalb ich das Bild den anderen Kunstwerken in meiner Bibliothek zugesellt habe?“ fragte er schmunzelnd.

Foto: Gemälde: Nicht jedes ist künstlerisch wertvoll. Manches hat einen ideelen Wert.


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