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09.08.08 / Wenn die Zitrone zum Symbol wird / »Spiegel geheimer Wünsche«: Hamburger Kunsthalle zeigt Ausstellung mit Stilleben aus fünf Jahrhunderten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-08 vom 09. August 2008

Wenn die Zitrone zum Symbol wird
»Spiegel geheimer Wünsche«: Hamburger Kunsthalle zeigt Ausstellung mit Stilleben aus fünf Jahrhunderten
von Silke Osman

Er rückte seinen Klappstuhl zurecht, um einen günstigen Blickwinkel zu haben. Seine beiden Begleiterinnen wies er an, es ihm gleich zu tun. Dann zückten alle drei wie auf Kommando ihre Skizzenblöcke und die Bleistifte. Nun konnte es losgehen. Doch wo beginnen? Es war nicht so einfach, einen großen Meister zu kopieren. Im Unterricht an der Volkshochschule hatte es problemlos ausgesehen. Hatte man sich zu viel vorgenommen? Nun aber tief Luft geholt und den ersten Strich gewagt.

Ganz anders die etwa 15 bis 20 jungen Kunstfreunde, die aufmerksam einer Museumspädagogin lauschten. Sie hatten keine Scheu vor den alten Meistern. Vielleicht lag es auch an der erfrischenden Art der jungen Frau, die mit Temperament und Charme von den Bildinhalten erzählte und die Kinder in ihren Bann zog. Die Viertklässler, die sonst über den Schulhof tobten und lärmten, waren ruhig und aufmerksam. Fasziniert hörten sie der Museumspädagogin zu, wenn sie von Symbolen sprach, die auf den Reichtum der Auftraggeber hinwiesen, oder auf Spiegelungen aufmerksam machte, die ihnen sonst vielleicht gar nicht aufgefallen wären.

Aufmerksam waren auch die „älteren Semester“, offensichtlich Studenten, die sich vor Tischbeins „Obstpyramiden“ eingefunden hatten. Sie betrachteten die kleinen Auftragsarbeiten des Malers mit großem Interesse, während sie zuvor die modernen Stilleben, etwa eine Lampe, die aus gebrauchten Konservendosen gemacht schien, kaum beachtet hatten.

Es war Leben im HubertusWald-Forum der Hamburger Kunsthalle, und das an einem ganz normalen Wochentag. Die Ausstellung, die dort noch bis zum 5. Oktober gezeigt wird, verspricht auf den ersten Blick nicht gerade Sensationelles. Über 150 Stilleben aus fünf Jahrhunderten wurden unter dem Titel „Spiegel geheimer Wünsche“ versammelt. Den Schwerpunkt bilden Gemälde aus dem Barock. Sie faszinieren durch verborgene Symbolik, durch Doppelbödigkeit, Augentäuscherei und feine Ironie. Mit Pinsel und Farbe gelang es den Künstlern meisterhaft, eine täuschend echte Realität auf der Leinwand zu erschaffen.

„Allen Stilleben gemeinsam sind eine eigentümliche Rätselhaftigkeit und Sinnlichkeit, die den Betrachter anziehen. Denn was verlockt, sind die Phänomene, welche die Künstler vor Augen führen“, so die Kuratoren der Ausstellung. „Das Bild wird zum Spiegel der geheimen Wünsche des Betrachters. Statt eines Abbilds der Wirklichkeit ist es immer auch eine Manipulation derselben. Reichtümer oder Wünsche nach Ewigkeit werden im Bild erfüllt, wenn Blumen nie verblühen, die Zeit nicht verrinnt oder der schöne Augenblick für immer bleibt.“

„Auch die zeitgenössischen Künstler schrecken keineswegs vor gefüllten Regalen, toten Tieren und gedeckten Tischen zurück“, erläutern die Ausstellungsmacher. „Im Gegenteil – das ,gestylte‘ Interieur mit Objekten voller Bedeutung und Symbolhaftigkeit ist von großem Interesse. Zeitgenössische Stilleben zeugen von veränderten Wahrnehmungsbedingungen der Moderne und werden immer stärker zu einem Experimentierfeld für neue Stilrichtungen, Materialien und Medien.

Stilleben bannen den Blick, sprechen die Sinne an und bleiben doch immer rätselhaft. Die Gegenstände erscheinen oft so täuschend echt, daß man sie mit den Händen greifen möchte.“ So etwa nach der angeschnittenen und halb geschläten Zitrone, die auf dem Prunkstilleben zu sehen ist, das der Niederländer Willem Claesz Heda 1638 für einen Auftraggeber malte. Wie überhaupt eine solche Zitrone auf vielen der in Hamburg ausgestellten Gemälde zu entdecken ist. Doch Vorsicht: Die Zitrone ist ein Symbol für das äußerlich Schöne, das innen jedoch sauer ist. Oder besser gesagt: Genuß ist zwar süß, doch kann er ein bitteres Ende haben.

Apropos rätselhaft: Beim Betrachten des Bildes von Heda fragt man sich, wer an diesem Tisch gespeist hat und warum er so hektisch aufgebrochen ist. Der umgestürzte Pokal und die verschobene Tischdecke sprechen nicht gerade von einer geruhsamen Mahlzeit. Vieles allerdings offenbart eine christliche Symbolik, wie etwa Brot und Wein als Hinweis auf das Abendmahl oder die geöffneten Nüsse, die auf die Passionssymbolik eingehen. Das halbgeleerte Glas im Hintergrund könnte auf die Vergänglichkeit des Lebens hinweisen. Auf den ersten Blick sieht alles wie zufällig aus, und doch ist jeder Gegenstand vom Maler bewußt gewählt und die Komposition harmonisch durchdacht worden. Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurden die dargestellten Gegenstände wieder auf sie selbst reduziert. Es entstanden autonome Kunstwerke der Moderne. Farben und Formen wurden wichtig. Auch davon kann man sich in der Hamburger Kunsthalle überzeugen, nicht zuletzt an Stilleben von Lovis Corinth, Max Liebermann, Adolph von Menzel oder Karl Schmidt-Rottluff.

Die Ausstellung „Spiegel geheimer Wünsche – Stilleben aus fünf Jahrhunderten“ in der Hamburger Kunsthalle, Glockengießerwall, ist dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 21 Uhr geöffnet, Eintritt 8,50 / 5 Euro, bis 5. Oktober. Im September gibt es ein umfangreiches Begleitprogramm, Informationen im Internet unter www.hamburger-kunsthalle.de.

Foto: Willem Claesz Heda: Prunkstilleben (Öl, 1638, im Besitz der Hamburger Kunsthalle)       


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