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09.08.08 / Fenster in die Vergangenheit / Brite stellt Briefe seines Großvaters von der Front auf den Tag genau 90 Jahre später ins Internet

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-08 vom 09. August 2008

Fenster in die Vergangenheit
Brite stellt Briefe seines Großvaters von der Front auf den Tag genau 90 Jahre später ins Internet
von Rebecca Bellano

Seit Monaten verfolgen mehrere tausend der englischen Sprache kundige Leser weltweit im Internet, was William Henry Bonser Lamin, Rufname Harry, einst fühlte und schrieb. Der Mann, der einer der ersten Blogger (jemand der sein Tagebuch im Internet für alle öffentlich macht) ist, schreibt allerdings nicht im Jahr 2008, denn er wäre heute 121 Jahre alt. Briefe und Telegramme des 1887 geborenen britischen Soldaten an seine Familie von den Fronten des Ersten Weltkrieges werden nämlich mit 90 Jahren Verspätung der Welt zugänglich gemacht.

Lamins Enkel, der 59jährige Informatiklehrer Bill Lamin, hatte die Idee, die Briefe seines Großvaters Stück für Stück und auf den Tag genau 90 Jahre nach ihrem Entstehen im Internet zu veröffentlichen. Und so kann der Leser der Gegenwart mitbangen, ob und wann Lamins Familie das nächste Lebenszeichen vom Kontinent erhält. So erhalten die Menschen von heute einen ungefähren Eindruck davon, welchen Gefühlsschwankungen die Menschen damals ausgesetzt waren. Allerdings haben die Gegenwärtigen den Personen des Ersten Weltkrieges einiges voraus, denn sie wissen, wie der Krieg verlief, wer siegte und wann er endete. Was das jedoch speziell für Harry Lamin bedeutete, ist trotzdem nur sporadisch zu erfahren. Nebenbei geht es nicht nur um das Überleben von Harry Lamin, sondern auch um Alltägliches: Sind die Kekse angekommen? Wird das Regiment verlegt? Zuweilen finden, quasi live vom Schlachtfeld, auch grausige Kriegserlebnisse Erwähnung.

Außer den persönlichen Aufzeichnungen von Harry Lamin stellt der Enkel auch die Einträge im Kriegstagebuch des 9. Bataillons des York & Lancaster Regiments in den Blog ein. So ist nachzulesen, wie die Einheit, in der Harry Lamin diente, den Krieg aus offizieller Perspektive erlebte.

Darüber, wann und wie sein Großvater, ein Textilarbeiter aus Mittelengland, starb, schweigt Bill Lamin übrigens hartnäckig, um die mitfühlende Anspannung nicht zu brechen.

Die Freunde des Blogs http://wwar1.blogspot.com/ müssen sich noch ein wenig gedulden, bis sie vom Schicksal des Soldaten Lamin erfahren. Zwar fragen neugierige Blogbesucher immer wieder bei Bill Lamin nach, doch dieser schweigt.

Allerdings: Spätestens am 11. November 2008 gibt es die Auflösung, denn zu diesem Zeitpunkt wurde im Wald von Compiègne der Waffenstillstandsvertrag von den Kriegsteilnehmern unterzeichnet und der Erste Weltkrieg war beendet.

Die Tatsache, daß der Enkel schreibt, die Briefe seines Großvaters an die Großmutter seien im Gegensatz zu denen an die Geschwister nicht mehr vorhanden, weil Lamins Frau sie aus emotionellen Gründen nicht aufzubewahren in der Lage gewesen sei, erhöht die Spannung, da sie ein tragisches Ende befürchten läßt.

 

»Vom letzten Kampfeinsatz sind nur wir drei aus unserem Trupp zurückgekehrt«

Es war schrecklich, ich war schon so gut wie begraben, jetzt bin ich okay, und ich hoffe, es bleibt so. Der General hat uns gelobt, alle sagen, es war ein großer Erfolg. Ich erzähle Dir mehr, wenn wir uns sehen.“

Diese Zeilen schrieb Harry zwei Tage nach einer Explosion nach Hause an seinen Bruder Jack. Genauer durfte er nicht werden, die Explosion auf keinen Fall erwähnen. Feldpost muß, was die militärische Lage und den genauen Ort angeht, stets im Ungefähren bleiben.

Am selben Tag schrieb Harry auch einen Brief an seine Schwester Kate. Hier bedankte er sich herzlich für ein Päckchen: „Es war nett, mal wieder Kuchen und Tee zu genießen. Eine Woche lang hatten wir nichts als Wasser, ein paar Kekse und wenig Marmelade. Freut mich, daß Connie jetzt zur Schule geht, ich hoffe, es klappt alles bei Euch. Das Wetter hier ist sehr heiß. Schreib mir bald wieder.“

Banalitäten, Gedanken an die Heimat, voll unterschwelliger Sehnsucht. Am Ende aber, ganz lapidar, ein Satz, der Kate Tränen in die Augen getrieben haben dürfte: „Vom letzten Kampfeinsatz sind nur wir drei aus unserem Trupp zurückgekehrt.“ Zu zwölft waren sie losgezogen. (Quelle: „Die Welt“)

Am 19. Juni 1918 schrieb er an seinen Bruder Jack: „Der Kampf begann um 3 Uhr morgens in der früh und Johnny Österreich kam gegen 7 Uhr an uns heran. Und ja, sie bekamen eine Begrüßung, das kann ich Dir sagen ... Die Gefangenen waren die erbärmlichste Bande, die ich je gesehen habe. Sie erzählten uns, daß sie sich eigentlich mit den Italienern treffen wollten und daß sie überrascht waren, unsere Jungs in den Gräben zu sehen. Es waren Österreicher, Ungarn und eine große Anzahl an Rumänen ... Ich bin froh, Euch alle wiederzusehen, und ich hoffe, Ihr beide bleibt bei guter Gesundheit. Ich werde in der Lage sein, Dir mehr zu erzählen, wenn ich wieder daheim bin. Ich hoffe, dieses Jahr endet der Krieg, aber ich denke, der Feind hat die Schnauze mehr voll als wir. Ich habe einen Brief von daheim bekommen und bitte Dich, ihnen zu sagen, daß ich alles gut aufbewahre. Schreibe so oft Du kannst. In Liebe an Euch beide ...“

Fotos: Briefe an die Lieben daheim: Soldaten schreiben aus dem Schützengraben (Foto von 1915); Der Großvater: William Lamin


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