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09.08.08 / Kinder der Kriegerwitwen / Töchter erzählen über Leben und Leistungen ihrer Mütter

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-08 vom 09. August 2008

Kinder der Kriegerwitwen
Töchter erzählen über Leben und Leistungen ihrer Mütter

„Der unverstellte Blick“ ist der Titel eines Bandes mit biographischen Erzählungen, die 27 Autorinnen in Erinnerung an ihre Mütter geschrieben haben. Über das Leitthema der in sieben Kapiteln zusammengefaßten Beiträge gibt der Zusatztitel Aufschluß: „Unsere Mütter (aus)gezeichnet durch die Zeit 1938 bis 1958 – Töchter erinnern sich“. Alle Autorinnen sind dem „Verein des Hauses der Frauengeschichte“ in Bonn verbunden. Geboren in den Jahren 1935 bis 1945, erzählen sie aus ihrer Sicht als Töchter auf sehr bewegende und auch humorvolle Weise von ihren Müttern der Jahrgänge 1895 bis 1920. Die meisten von ihnen wurden noch in einer politisch und wirtschaftlich gefestigten Zeit geboren. Sie heirateten in den Jahren der Weimarer Republik und gründeten Familien.

Die Frauen, deren Lebensbilder in diesem Buch versammelt sind, entstammten Familien aus allen gesellschaftlichen Schichten und verschiedenen Teilen des Deutschen Reichs und seiner Nachbarn, aus Köln, Breslau, Halle, Böhmen, Ostpreußen, dem Erzgebirge und dem Warthegau, aber auch aus Amsterdam und dem Elsaß. Schicksale von Heimatlosigkeit, Flucht und Vertreibung sind in der Minderzahl. Doch spiegeln sich in den Erzählungen alle Formen des Leids und der zerstörerischen Auswirkungen der NS-Diktatur, des Krieges und der Nachkriegsjahre wieder. Die Überschriften einzelner Beiträge weisen darauf hin: „Der Hungerwinter 1944/45 in Holland“ – „Eine betrogene Generation“ – „Im Wechselbad der Geschichte“ – „Die lange, bange Suche nach den Kindern“ – „Was Bestand hatte, als alles zusammenbrach“. An dem Projekt haben sich mehrere Autorinnen aus jüdischen sowie christlich-jüdischen Familien beteiligt. Die Schicksale ihrer Familien, ihrer Mütter heben sich von den übrigen ab. Für sie begann bereits 1933 abrupt das Ende der Normalität, des sorglosen, unbehelligten Lebens. „Kaddish für meine Familie“ ist die Trilogie von Ingrid Willing überschrieben. Darunter sind zwei bestürzende Berichte über jüdische Familien, von denen die meisten Angehörigen Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik wurden.

Fast alle Mütter, denen dieses Buch gewidmet ist, haben den Krieg überlebt, etliche als Witwen. Nach dem Krieg, als die Stunde der Frauen begann, mußten sie sich als Not-Bekämpferinnen bewähren. Auch die von den Enkeltöchtern sehr geliebten Großmütter leisteten dazu ihren Beitrag.

Sehr unterschiedlich haben die Frauen und auch ihre Kinder das Erlebte verarbeitet. Geprägt von den Erfahrungen ihrer Mütter sind die Perspektiven der Töchter, die diese Rückschau gehalten haben. Für sie war der Blick zurück eine besondere Herausforderung, verbunden mit der Preisgabe von persönlichen Zeugnissen wie Fotos und Dokumenten.

Bei dem Bemühen, dieser Aufgabe gerecht zu werden, kam zwangsläufig die eigene Kindheit mit ins Blickfeld, eine Kindheit voller Entbehrungen. Es ist erstaunlich, daß viele Frauen der Kriegsgeneration dennoch betonen: Ich hatte eine gute Kindheit; wir ließen uns an wenigem genügen.

Als Heranwachsende hatten sie von ihren Müttern wissen wollen: „Was hast du damals erlebt, was empfunden?“ Nicht alle hatten darüber Gespräche führen können. Angesichts der unaussprechbaren Gewalterfahrungen und schmerzhaften Verluste wurde in den Familien geschwiegen, so daß die Frage unbeantwortet bleiben mußte: „Habe ich meine Mutter wirklich gekannt?“ Darüber berichtet Ute Würfel im Beitrag über ihre Mutter Lotte Weber, geb. Kroll, geboren 1911 in Königsberg: „Wir (Kinder) hatten uns kein Bild davon gemacht, wie schwer die Nachkriegszeit für sie (die Eltern) gewesen war und welche Entbehrungen sie erlitten hatten. Unsere Mutter hat mit uns nie darüber gesprochen.“

Die Last der Vergangenheit hat einige Frauen seelisch gebrochen. Doch: „‚Unter dem Schutt liegen noch stumme Signale an die Töchter verborgen“, schreibt Annette Kuhn in ihrem Vorwort. „Die Töchter suchen nach Worten und Bildern des Verstehens und der historischen Würdigung ihrer Mütter. Ihre Erzählungen gehören zu der großen Erzählung, die wir Geschichte nennen.“       Dagmar Jestrzemski

Marlene Zinken (Hrsg.): „Der unverstellte Blick – Unsere Mütter (aus)gezeichnet durch die Zeit 1939 bis 1958 – Töchter erinnern sich“, Verlag Barbara Budrich, Opladen 2007, geb., 229 Seiten, 19,90 Euro


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