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09.08.08 / Eine Hauptstadt in Trümmern / Als drei Erdstöße vier Fünftel von Skopje zerstörten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-08 vom 09. August 2008

Eine Hauptstadt in Trümmern
Als drei Erdstöße vier Fünftel von Skopje zerstörten
von Wolf Oschlies

Die alte Bahnhofuhr blieb gegen Viertel nach fünf stehen, als an einem Hochsommerfreitag des Jahres 1963 drei Erdstöße, die zusammen nur 20 Sekunden dauerten, die mazedonische Hauptstadt zu über 80 Prozent zerstörten. Bereits zum dritten Mal in seiner Geschichte lag die Stadt in Trümmern – wie 518 n. Chr. das römische Scupi und 1555 das osmanische Üsküb. 1963 war Skopje das Zentrum der jugoslawischen Teilrepublik Mazedonien. Jugoslawiens Präsident Marschall Tito kam unverzüglich ins Katastrophengebiet und versprach umfassende Aufbauhilfe. Seine Worte sind bis heute auf einer Rückwand des alten Bahnhofs zu lesen, der nur teilweise zerstört war und in dessen erhaltenen Räumen seit 1970 das Stadtmuseum residiert.

Skopje zählte damals knapp 200000 Einwohner, von denen viele auf Reisen waren – Kinder in Ferienlagern, Erwachsene auf Adria-Urlaub. Dennoch forderte das Erdbeben – mit der Stärke 8 bis 9 auf der zwölfstufigen Mercalliskala – 1070 Tote und über 3000 Verletzte und vernichtete fast den gesamten Wohnraum. In ganz Skopje funktionierte kein Telefon mehr, Ferngespräche mußten vom 45 Kilometer nördlich gelegenen Kumanovo aus geführt werden. Aber die Unglücksbotschaft verbreitete sich in Windeseile und löste eine einmalige internationale Hilfswelle aus. Als erste trafen bulgarische Soldaten auf klapprigen Sowjet-Lastern ein. Im Normalfall sind bulgarische Uniformierte ein Alptraum für Mazedonien, das in beiden Weltkriegen unter bulgarischer Besatzung litt, aber wie sie 1963 zupackten und arbeiteten, das blieb in Skopje unvergessen. Vom deutschen Ramstein aus setzte US-Diplomat Lawrence Eagleburger, herzlich unbekümmert um US-amerikanische oder jugoslawische Bürokratie, das Achte Feldlazarett mit seinen 200 Ärzten und Schwestern nach Skopje in Marsch, wo es drei Tage nach dem Beben die Arbeit aufnahm. Eagleburger bekam den Spitznamen „Lawrence von Mazedonien“, der ihm noch anhaftete, als er 1977 US-Botschafter in Jugoslawien wurde. Auf Skopjer Trümmern arbeiteten Rotkreuzhelfer aus der Bundesrepublik Deutschland und der DDR Hand in Hand. Die Zusammenarbeit zwischen Jugoslawien und der DDR wurde am 6. November 1967 mit einer Städtepartnerschaft Skopje–Dresden, dem Sitz der Rotkreuzzentrale der DDR, besiegelt. Ähnliche Beispiele gibt es endlos mehr: Skopje wurde in der Tat „Stadt der Solidarität und Freundschaft“, ein Motto, unter dem man am 26. Juli 2008, dem 45. Jahrestag der Ka­tastrophe, jener gedachte.

Wer sich heute mit Skopjer Stadtgeschichte beschäftigen will, wird schier verzweifeln. Skopje ist wieder eine moderne und schöne Stadt, aber es ist eine völlig andere Stadt: Alle historischen „maala“ (Stadtviertel) existieren nicht mehr, berühmte Gebäude sind nur noch auf alten Postkarten zu bewundern, Straßen und Boulevards mußten neu gebaut werden, alle Brücken über den Vardar sowieso. Unerschüttert blieb nur die alte „Kamen most“ (Steinbrücke) aus dem 16. Jahrhundert, die von dem Beben sogar „profitierte“: Als die Uferbefestigungen einbrachen, kamen auf beiden Seiten vier bislang verschüttete Brückenbögen zu Tage, um die zwei schöne Plätze gelegt wurden. Die Brücke hat man vor wenigen Jahren restauriert – so grauenhaft, daß ich, normalerweise ein Gegner der Todesstrafe, in einer Lifesendung des mazedonischen Fernsehens forderte, alle Verantwortlichen am höchsten Brückenbogen aufzuknüpfen.

Skopje ist seit langen Jahren ein internationales Zentrum für erdbebensichere Architektur, wovon stattliche „soliteri“ (Hochhäuser) rund um den alten Bahnhof sowie das mit deutscher Förderung an der Universität betriebene „Institut für Erdbebeningenieurwesen und Ingenieurseismologie“ (IZIIS) zeugen. Im Grunde hat man hier aus der Not eine Tugend gemacht. Den Architektenwettbewerb zum Wiederaufbau Skopjes gewann damals der berühmte Japaner Kenzo Tange, aber zum Glück wurde sein Projekt, die gesamte Einwohnerschaft in vier riesigen Wohntürmen unterzubringen, nicht ausgeführt. „Skopje hat ein Mikroklima“, singt die Gruppe „Leb i sol“ in ihrem schmissigen Skopje-Song, „saukalte Winter, höllische Sommer.“ Und das ist noch milde ausgedrückt. Der Skopjer Talkessel entwickelt sommers Temperaturen, die man nur in schattigen Altstadtkneipen aushalten kann. Diese Altstadt, die berühmte „Tscharschija“, hat übrigens auf ihrem Hügel das Beben fast unbeschadet überstanden, nur Skopjes Wahrzeichen, die „saat kula“ (Uhrenturm), wurde gekappt, steht aber längst wieder in alter Majestät.

Foto: Skopje 1963: Die Erdstöße brachten die Bahnhofsuhr zum Stehen.


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