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16.08.08 / Wenn Armut das Leben ist / Obwohl inzwischen EU-Mitglied, hat Rumänien immer noch zu viele Straßenkinder

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 33-08 vom 16. August 2008

Wenn Armut das Leben ist
Obwohl inzwischen EU-Mitglied, hat Rumänien immer noch zu viele Straßenkinder
von Ernst Kulcsar

Auf der Internetseite des Generalinspekteurs der rumänischen Polizei führt ein Mausklick zum Link „Verschwundene Kinder“. Der Link zeigt die Namen, Geburtsdaten, Adressen und Fotos sowie die Fallgeschichten von 134 Kindern, die in den letzten Jahren verschwunden sind. Die letzte Eintragung stammt vom 17. Juli 2008.

Fast alle Kinder liefen von zu Hause weg, weil sie Blitzableiter für die Launen ihrer Eltern waren, von den Vätern oder diversen „Onkeln“ vergewaltigt, den Müttern geschlagen und von allen vernachlässigt wurden. Nur wenige trieb die Abenteuerlust auf die Straße, und diese kehrten meist auch innerhalb einer Woche nach Hause zurück. Viele junge Mädchen wurden entführt und landeten in den Bordellen der westlichen, „zivilisierten“ Welt. Kleine Jungen wurden Opfer der Pädophilen weltweit. Die wenigsten Kinder verschwanden mit der Absicht, Straßenkinder zu werden.

Das Kinderhilfswerk der Uno Unicef  und die Welt-Gesundheitsorganisation WHO schätzen die Zahl der Straßenkinder auf weltweit 30 Millionen. Andere Organisationen sprechen gar von 100 Millionen Straßenkindern. In Deutschland schätzt man die Zahl der obdachlosen Kinder im Land auf 7000. Das ist für ein so reiches Land wie Deutschland eine Schande, aber viele Politiker sehen in der Verringerung der Zahl dieser Kinder eine Beschränkung ihres Selbstbestimmungsrechts und einen Angriff auf ihre Freiheit. Es ist die Art Freiheit, die man nicht einmal seinen Feinden wünscht, und die den Nährboden für zahllose Straftaten der näheren Zukunft bildet. 

Die Lage der rumänischen Straßenkinder wurde so dramatisch, daß 2003 die CDU/CSU-Fraktion in einer kleinen Anfrage Einzelheiten vom Deutschen Bundestag erfahren wollte. Das Auswärtige Amt stellte zwar fest, „die Lage habe sich insgesamt verbessert“, ging aber nicht ins Detail. Auch sei der Kinderschutz ein Schwerpunktbereich der EU-Unterstützung. Im Zeitraum 2001 bis 2006 unterstützte die EU die Reform des Kinderschutzes in Rumänien mit rund 60 Millionen Euro.

Das Abwassersystem unter dem wichtigsten Bahnhof Bukarests  zog einst Straßenkinder, Obdachlose und Prostituierte an, die hier trotz bestialischen Gestanks, trotz Ratten und Kakerlaken ein „Heim“ gefunden hatten, aus dem sie eines Tages von privaten „Polizisten“ herausgeprügelt wurden.

Wenn man sich tiefer in dieses Problem einarbeitet, sammeln sich Einzelschicksale zu einem einzigen Gruselkabinett. Da ist ein Junge, der noch nie in Wärme gelebt hat. Er kennt nur kalte Räume und kalte Menschen. Er hauste in einem Autowrack und stank derart, daß ihn die Fahrgäste aus der Straßenbahn warfen. Zwar wohnt er jetzt in einem Zimmer mit drei andern Jungen, geht sogar zur Schule, jedoch ob und wie lange er es dort aushält, weiß kein Mensch. In diesem Haus wohnen insgesamt 36 Kinder, auf drei Stockwerke verteilt. Sie sind davon überzeugt, daß sie von der Gesellschaft aufgegeben wurden. Deshalb sehen sie in jeder Ordnungsmacht einen Feind. Werden diese Straßenkinder noch mehr an den Rand der Gesellschaft geschoben, stellen sie bald die Reserve der erwachsenen Kriminellen. Daher hat der rumänische Staat begonnen, für diese Kinder zu machen, was er kann.

Rund eintausend Kinder leben in Bukarest auf der Straße, aber die Zahl beginnt zurückzugehen. Ursache ist der gesellschaftliche Wandel, das Greifen von Sozialprojekten, wie das des österreichischen Jesuitenpaters Georg Sporschill. Es reicht trotzdem nicht.

Claudiu State beispielsweise muß fast täglich die Hälfte der etwa 300 Straßenkinder und Obdachlosen hungrig zurückschicken, die vor der Kantine warten. Er kümmert sich um das Beschäftigungszentrum „Hl. Anton“, die Kantine und die vier Wohngemeinschaften. Zur Seite steht ihm ein ehemaliges Straßenmädchen, das mit 13 Mutter wurde. Schuld an diesen Zuständen trägt, laut Ruth Zenkert, Leiterin der Hilfsorganisation „Concordia“, die Verarmung der rumänischen Bevölkerung. 42 Prozent des Volkes leben in Armut. Laut Eurostat liegt die Arbeitslosenquote bei 6,5 Prozent. Bei den bis 25jährigen erreicht sie 21 Prozent. Daß die Leute verzweifelt versuchen, zu Geld zu kommen, liegt auf der Hand. Auch daß die Sitten immer rauher werden.

Wie definiert man Armut? Die Straßenkinder Rumäniens brauchen diese Definition nicht. Für sie ist Armut kein Begriff der Sprachwissenschaft oder Soziologie. Für sie ist Armut das Leben.

Foto: Musizieren, Betteln, Stehlen: Wer auf der Straße lebt, verliert jeden Anstand.


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