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16.08.08 / Will Deutschland die Deutsch-Belgier nicht? / Obwohl Belgien vor dem Zerfall steht, zeigt Berlin kein Interesse an dem Wohl und Wehe der deutschen Minderheit in dem Land

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 33-08 vom 16. August 2008

Will Deutschland die Deutsch-Belgier nicht?
Obwohl Belgien vor dem Zerfall steht, zeigt Berlin kein Interesse an dem Wohl und Wehe der deutschen Minderheit in dem Land
von Martin Schmidt

Belgien wird seit dem Rück-tritt von Ministerpräsident Yves Leterme von einer erneuten Staatskrise erschüttert. Bereits seit über 200 Tagen muß das Land im Gefolge der Wahlen vom Juni 2007 ohne Regierung auskommen. Der Streit über eine Staatsreform mit einer größeren Autonomie für die Niederländisch sprechende Bevölkerungsmehrheit spaltet. Während in Flandern offen über eine Unabhängigkeit nachgedacht wird, mehren sich in der Wallonie die Stimmen, die einen Zusammenschluß mit Frankreich fordern. Diese Option wird laut jüngsten Meinungsumfragen von knapp 50 Prozent der regionalen Bevölkerung unterstützt. Immer mehr internationale Zeitungen sehen den Mehrvölkerstaat Belgien, wie die italienische „La Repubblica“, schon bald von der „Landkarte der EU verschwinden“.

Vor dem Hintergrund dieser Zuspitzung der innenpolitischen Gegensätze entlang der ethnischen Grenzen rückt auch die Situation in den Regionen Eupen und St. Vith, also im amtlich anerkannten Siedlungsgebiet der sogenannten „deutschsprachigen Gemeinschaft“ (DG) Ostbelgiens, immer mehr ins Blickfeld. Diese umfaßt rund 70000 Menschen, während die Zahl der deutschen Bürger in ganz Belgien bei 110000 liegt. Im allgemeinen geht es der Minderheit heute gut, nachdem ab den 60er Jahren im Windschatten der Auseinandersetzung zwischen Wallonen und Flamen immer weitergehende Selbstverwaltungsrechte ausgehandelt werden konnten.

So wurde der DG im Zuge der dritten großen Staatsreform von 1988/89 die Hoheit über das Schulwesen übertragen, seit 2001 untersteht ihr die Haushaltsführung auf Gemeindeebene, das Finanzbudget für das 25köpfige eigene Parlament vergrößerte sich stetig, und man hat seit dem letzten Jahrzehnt das Recht, immer einen deutschen Vertreter ins Europaparlament zu entsenden. Mittlerweile gibt es eine vom übrigen Staatsgebiet klar zu unterscheidende Parteienlandschaft; die „Partei der Deutschsprachigen Belgier“ stellte jüngst sogar erstmals einen Minister in der Zentralregierung. Forderungen nach einem separaten deutsch-ostbelgischen Wahlkreis werden immer lauter, ja selbst Hoffnungen auf eine Aufwertung zu einer gleichberechtigten vierten Region neben Flandern, der Wallonie und Brüssel sind angesichts der zunehmenden Dezentralisierung Belgiens keine Utopie mehr.

Voraussetzung für diese Fortschritte war, daß die bis zur Annexion durch Belgien nach dem Ersten Weltkrieg jahrhundertelang zum binnendeutschen Kulturraum gehörenden Territorien ihre Verschiedenartigkeit – in naturräumlicher, sprachlicher (man spricht Nieder-, Rhein- oder Moselfränkisch) und regionalgeschichtlicher Hinsicht – überbrückten und sich als „deutschsprachige Gemeinschaft“ zu einem wirkungsvollen politischen Handeln zusammenfanden. Auch ökonomisch hat der verwaltungsmäßig der Region Wallonie angegliederte Raum Eupen / St. Vith die noch bis in die 60er Jahre bestehende Rückständigkeit gegenüber den wallonischen Industriezentren längst überwunden.

In Eupen wie in Arel beginnt man über die Perspektiven der in Belgien beheimateten Deutschsprachigen für den keineswegs unwahrscheinlichen Fall nachzudenken, daß der krisengeschüttelte Staatsverband endgültig auseinanderbricht. Unter ausländischen Medien, etwa den französischen, sind derlei Planspiele längst verbreitet. Nur in der Bundesrepublik Deutschland scheut man noch davor zurück. Ebenso wie die Deutschsprachige Gemeinschaft in Eupen und St. Vith halten viele hiesige Politiker und Journalisten mit Zehen und Klauen an dem erst 1830 gegründeten Belgien fest, wohl weil man weiß, daß die europäische Landkarte sich nach dessen Spaltung auch in anderen westlichen oder südlichen Teilen des Kontinents rascher verändern würde. Während man in Eupen zögerlich ein Zusammengehen mit dem Großherzogtum Luxemburg ins Kalkül zieht, tritt die Alternative einer Zugehörigkeit zu Nord-rhein-Westfalen angesichts des völligen bundesdeutschen Desinteresses in den Hintergrund.

Vieles spricht in diesen Wochen dafür, daß die Berliner Republik ihre Mitverantwortung für jene kleine deutsche Minderheit im Westen nicht wahrnimmt, deren mühsam erkämpfte kulturellen Rechte bei einer Zugehörigkeit zu einer selbständigen oder mit Frankreich vereinigten Wallonie massiv gefährdet wären.


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