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16.08.08 / Offenbar kein Sommerscherz / Sarkozy will EU-Kommissarsposten bald nach »Kulturkreisen« statt nach Staaten vergeben

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 33-08 vom 16. August 2008

Offenbar kein Sommerscherz
Sarkozy will EU-Kommissarsposten bald nach »Kulturkreisen« statt nach Staaten vergeben
von Michael Paulwitz

Mit einer raffinierten Kostprobe französischer Diplomatenkunst verblüffte Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy die EU-Partner.

Der Vertrag von Nizza, der nach dem irischen Nein zum Lissabon-Vertrags vorerst weitergilt, verlangt nächstes Jahr die Streichung von bis zu einem Drittel der derzeit 27 Kommissarsposten. Voilà – dann möge eben künftig nicht mehr jeder Mitgliedstaat einen eigenen Kommissar entsenden; sollen sich doch mehrere Länder aus „ähnlichen Kultur- und Sprachkreisen“ jeweils einen der Posten teilen.

Ein Konzept, das auf den ersten Blick plausibel klingt – doch der Teufel steckt im Detail.

Die Benelux-Staaten, Großbritannien mit Irland und Deutschland mit Österreich nennt der derzeitige EU-Ratspräsident Sarkozy als Beispiele für Staatenfamilien, die sich in der EU-Kommission von einem gemeinsamen Vertreter repräsentieren lassen könnten.

Eine Ohrfeige für das störrische Irland, das dem britischen „Kulturkreis“ bekanntlich erst durch jahrhundertelange Zwangskolonisierung einverleibt wurde.

Erstaunlich immerhin, daß die französische Diplomatie, die traditionell lieber mehr als weniger deutsche Staaten in Europa sehen möchte, einen „großdeutschen“ Kommissar für Deutschland und Österreich gar nicht anstößig findet. In der Alpenrepublik, wo der Vorstoß im Gegensatz zum offiziellen Berlin intensiv und auf höchster Ebene diskutiert wurde, weckten Sarkozys Gedankenspiele offenbar alte „Anschluß“-Ängste.

Die „Idee des Kombi-Kommissars oder Halbe-Halbe-Kommissars“ könne ja wohl „nicht einmal ein schlechter Sommerscherz“ sein, empörte sich die amtierende Außenministerin Ursula Plassnik von der Volkspartei über die kolportierten Gesundschrumpfungspläne der französischen Ratspräsidentschaft für die EU-Kommission.

Listigerweise erwähnt Sarkozy sein eigenes Land keineswegs als Teil eines größeren „Kulturkreises“, der für ein Rotationsmodell in Frage käme. Frankreich, darf man annehmen, ist sich selbst Kulturkreis genug; sein Selbstbewußtsein reicht durchaus aus, um sich durch diese elegante Hintertür ein Dauerabo auf einen der begehrten Kommissarsposten zu sichern, wenn’s denn die anderen nicht merken. Der scherzhaften Retourkutsche eines österreichischen Internet-Bloggers, der vorschlug, man könne doch einen gemeinsamen romanischen Kommissar „für Frankreich, Italien, Spanien, Portugal und Rumänien zusammen“ einrichten, wird Nicolas Sarkozy sich wohl kaum anschließen.

Zum Krisenmanagement nach dem klaren Nein der Iren in der unionsweit einzigen Volksabstimmung über den Lissabonner EU-Vertrag dürfte der vermutlich doch ernstgemeinte Vorschlag aus dem Elysée gleichwohl nur bedingt tauglich sein. Die offizielle, von Frankreich maßgeblich geprägte Linie lautete bisher: Druck machen auf die Iren, damit sie spätestens im Frühsommer 2009 nochmal und dann aus Brüsseler Sicht „richtig“ abstimmen – vor der Wahl des Europaparlaments und der Bestimmung der neuen Kommission im nächsten Juni. Ginge es dabei nach Lissabon, müßte die Zahl der Kommissare erst 2014 von 27 auf 15 verringert werden statt sofort, wie im Nizza-Vertrag vorgesehen.

Auf die Kommissionsverkleinerung überhaupt zu verzichten oder wenigstens den Iren einen ständigen Kommissar zu garantieren war bislang ein Favorit unter den in Brüssel gehandelten Taschenspielertricks, mit denen man eine „substantielle“ Veränderung des Lissabon-Vertrags simulieren wollte, um einen plausiblen Vorwand für eine zweite irische Volksabstimmung zu generieren.

Daß Sarkozy diese Variante zur Disposition stellt, spricht für die Ratlosigkeit der EU-Gewaltigen nach dem irischen Desaster. Anhaltend schlechte Umfragewerte auf der grünen Insel und Signale aus Dublin, daß frühestens im Herbst 2009 erneut abgestimmt werden könnte, lassen die Chancen der europäischen politischen Klasse weiter sinken, den Lissabon-Vertrag gegen die breite Ablehnung durch die Bürger rasch durchpauken zu können.


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