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16.08.08 / Die ostpreußische Familie / Leser helfen Lesern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 33-08 vom 16. August 2008

Die ostpreußische Familie
Leser helfen Lesern
von Ruth Geede

Lewe Landslied,

liebe Familienfreunde,

wer als Paar die Goldene oder Diamantene Hochzeiten begehen kann, hat schon eine lange gemeinsame Wegstrecke zurückgelegt. Durch alle Höhen und Tiefen, wobei für die jungen Vertriebenen es damals vor 60 Jahren zuerst die Tiefen waren, die gemeinsam ausgelotet werden mußten, und der Aufstieg zu den Höhen war hart und steinig. Aber wer diesen langen Weg miteinander geschafft hat, den hat das Leben zusammengeschweißt und der ist dankbar, wenn man gemeinsam einen ruhigen Lebens­abend genießen kann. So auch Annemarie und Fritz Klein aus Medingen, die vor kurzem ihre Diamantene Hochzeit feiern konnten, und das auf echt ostpreußische Art, denn wer etwas von Pferden versteht, kennt Fritz Klein – nicht umsonst wurde er vom Trakehner Verband mit der höchsten Auszeichnung, der „Goldenen Ehrennadel“ belohnt. Der heute 92jährige brillierte auch im hohen Alter noch als Landesmeister im Einspännerfahren – kein Wunder, daß er an seinem Diamantenen Hochzeitstag für seine Frau Annemarie die vierjährige Trakehnerstute „Gumbinnen“ anspannte und mit ihr gemeinsam noch einmal Stationen ihres gemeinsamen Lebensweges abfuhr, fest die Zügel in der Hand wie immer in ihrem 60jährigen Eheleben. Sie führten zu dem kleinen Siedlungshaus am Rand von Lüneburg, wohin das junge Ehepaar aus dem alten, mit Heideplaggen abgedämmten Schuppen gezogen war. Und auch der war schon die zweite Station gewesen, denn „entführt“ hatte der Bräutigam seine Braut – mit einem zum Einspänner umgebauten Pritschenwagen – in einen alten Bauschuppen. Aber beide waren hart im Nehmen: Fritz Klein, ostpreußischer Landwirt, Trakehner-Züchter und Besitzer des Gutes Schöckstupönen (Pohlau) bei Stallupönen (Ebenrode), hatte alles verloren bis auf einige Trakehner – Annemarie kam von einem großen Hof an der Saale und war mit ihrer Familie mit zwei Gespannen nach Lüdershausen in die Lüneburger Heide geflohen. Begegnet waren sie sich buchstäblich auf einem Holzweg – Annemarie hatte mit einem Gummiwagen Holz transportiert und auf dem Rückweg Kalk mitgenommen –, der sich allerdings nicht als solcher erwies: Er führte gerade hinaus in die Ehe.

Zur Hauptstation wurde dann das Forsthaus Tiergarten, in dem das Ehepaar auf ihrer „Diamantenen Hochzeitstour“ auch am längsten verweilte. Dieses alte, schöne Fachwerkhaus hatten die Kleins 1962 erworben und zu einem Reiterhof für Kinder ausgebaut, damals ein Novum und viel beachtet auch von den Medien, die das Forsthaus Tiergarten bald in ganz Westdeutschland bekannt machten. So manche Leserin, mancher Leser aus unserm Familienkreis werden auf dem Rücken eines Ponys ihre ersten Reiterfahrungen gemacht haben. Als vor zwei Jahren dort Fritz Klein seinen 90. Geburtstag feierte, zeigten nicht nur die heutigen Reitschüler der jüngsten Tochter des Ehepaars, Annette Klein, die längst den Betrieb übernommen hat, ihre Künste – und vor allem ihre Liebe zum Pferd –, sondern auch eine Reiterin mit olympischen Ehren: die „Amazone ohne Arme“, Bettina Eistel, die Fritz Klein als contergangeschädigtes Kind zum Reiten geführt und die nie vergessen hat, daß hier im Forsthaus Tiergarten die Basis für ihre einmalige Reiterlaufbahn gelegt wurde. Ach, was wäre noch alles zu erzählen! Herr Dr. Christoph Hinkelmann vom Ostpreußischen Landesmuseum Lüneburg hat einen langen Bericht über das Ehepaar Klein anläßlich ihrer Diamantenen Hochzeit verfaßt, und wir haben hier leider nur einige Auszüge bringen können. Der Leiter der Abteilung Naturkunde / Landwirtschaft des Museums ist mit Annemarie und Fritz Klein, die ihren Alterssitz – samt Stute „Gumbinnen“ – vor zwei Jahren nach Medingen bei Bad Bevensen verlegten, durch die Museumsarbeit verbunden und findet in dem ostpreußischen Landwirt und Pferdezüchter einen kundigen Gesprächspartner. Fritz Klein resümierte über seine späte Hochzeitsfahrt in seiner Art: „Früher fuhr ich nach Gumbinnen – heute fahr’ ich mit ,Gumbinnen!‘“

Hier in unserer „Ostpreußischen Familie“ mag dieser Beitrag für alle Ehepaare stehen, die miteinander nach Flucht und Vertreibung aus schwierigsten Anfängen den Weg gemeinsam bis in das hohe Alter geschafft haben – getreu dem Rat des Königsberger Poeten Simon Dach, den er in seiner unsterblichen „Ännchen von Tharau“-Hochzeitscarmina dem Brautpaar gibt: „Käm alles Wetter gleich auf uns zu schlahn, wir sind gesinnt, beieinander zu stahn.“ Und wenn ich diese Diamantene Hochzeitsgeschichte mit ganz besonderer Anteilnahme geschrieben habe, hat das schon seine Berechtigung: Meine Mutter stammt aus Schöckstupönen und Fritz Klein ist mein Cousin, das wissen viele, die uns kennen und sei deshalb nicht verschwiegen. Als Kinder haben wir uns nicht oft gesehen – damals war die Reise von Königsberg nach Stallupönen noch weit und teuer für eine vielköpfige Familie –, aber als ich zwei Jahre nach der Flucht im Heideort Narrendorf an einem Ernteumzug teilnahm, ging neben mir ein junger Mann, wir sahen uns an, stutzten und fragten verdutzt: „Bist du nicht …?“ So fanden „Pitt“ und ich uns als Erwachsene wieder. Und immer wieder werde ich daran erinnert, wenn mir aus unserem Leserkreis von solch einem gänzlich unvermuteten Wiederfinden berichtet wird. Auch die folgende kleine Geschichte handelt davon. Sie liegt schon lange in meiner Mappe, nie fand ich Gelegenheit, sie zu veröffentlichen, weil die aktuellen Suchfragen Vorrang hatten. Diese müssen noch etwas warten, da während der Reisezeit unsere Zeitung von vielen Abonnenten erst nach der Heimkehr gelesen wird. Da sind die kleinen, sehr menschlichen Geschichten für diese Zeit genau das Richtige. Also nun zu dem Bericht von Edelgard Hesse, den sie für und über die Gehlenbürgerin Herta Schittka geschrieben hat.

„Der Krieg hatte sie auseinandergebracht: Freunde, Verwandte, Bekannte. So ging es auch den Menschen in und um Gehlenburg. ,Wer mag überlebt haben?‘, das war die Frage, oft zunächst nicht einmal diese, ging es doch zuerst um das eigene Dasein. Zufälle halfen.

So wollte die 28jährige Herta Schittka geborene Wiemer, von einem Gehlenburger Bauernhof stammend, in Kiel Grützwurst kaufen, so wie sie diese von zu Haus kannte. Die Schlachterei hatte jedoch keine. ,Gehen Sie mal an der Schwentine den Berg hinauf. Dort ist noch eine Schlachterei, fragen Sie dort nach‘, wurde ihr gesagt. Sie folgte dem Rat, ging den Berg hinauf und – konnte es kaum glauben: Vor ihr stand Maria Bendig, jetzt verheiratete Deckert aus Gehlenburg, die dort im Rathaus gearbeitet hatte. Maria schrie vor Freude auf, als sie Herta erblickte: ,Herta, wo kommst du denn her?‘ Ihre Freude war groß. Maria und Hertas ältere Schwester Hildegard waren Freundinnen gewesen. Bei manchem Ausflug wurde die jüngere Schwester mitgenommen, wenn auch nicht freiwillig, eher so als Anhängsel. Hier in Kiel fanden sie sich nun wieder. Es mag 1951 gewesen sein. Auch Herta arbeitete ganz in der Nähe in einer Fleischerei, in Wellingsdorf. Sie wohnten so nahe beieinander und hatten es nicht gewußt, leider! Denn wenn sie sich früher gefunden hätten, da hätte auch Hildegard das Wiederfinden erlebt. Sie hatte zwar ebenfalls die Flucht überstanden, war aber inzwischen verstorben.

Es war eine Wiedersehensfreude, die ein Leben lang hielt. Es kam zu Besuchen und damit zu einer festen Freundschaft, ebenfalls zwischen den Ehemännern. Heute nach Jahrzehnten und der Verabschiedung weiterer lieber Menschen, auch von Maria Deckert, wird die Freundschaft zu Herta durch die junge Generation auf herzliche Weise fortgesetzt, gepflegt durch Marias Tochter und deren Kinder. Dank der Grütz­wurst, durch die zwei Vertriebene sich wiederfanden. Wie sagte meine Mutter doch einst: Nichts geht über eine richtige ostpreußische Grützwurst! Es scheint etwas dran zu sein!“

Ja, liebe Frau Hesse, da ist auch was dran. Und ich wette, daß jetzt so manche Leserin, mancher Leser Appetit bekommen hat. Auf echt ostpreußische Grütz­wurst! Mi jankert auch all danach!

Das war ein heiterer, sommerbunter Geschichtenbogen – aber unsere Ostpreußische Familie wäre nicht eine solche, wenn nicht noch eine kleine Suchfrage angehängt werden müßte. Es geht um Ludwig Passarge, den Königsberger Oberlandesgerichtsrat und Schriftsteller, der vor allem durch sein Buch „Aus Baltischen Landen“ bekannt wurde. Ludwig, der sich als Schriftsteller „Louis Passarge“ nannte, wurde 1825 auf dem väterlichen Gut Wolittnick, Kreis Heiligenbeil geboren. Nach einem langen, durch Wanderungen und Reisen geprägten Leben verstarb Ludwig Passarge 1912 in Lindenfels. Frage: Wo liegt er begraben? Im Odenwald, in seiner Heimat Ostpreußen oder anderswo? Trotz intensiver Recherche haben wir es nicht ergründen können. Also heißt es mal wieder: Familie hilf!

Eure Ruth Geede

Foto: Auf „Diamantener Hochzeitsfahrt“: Fritz und Annemarie Klein mit ihrer Trakehner-Stute „Gumbinnen“


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