28.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
16.08.08 / Essen, was einem schmeckt / Hat das Gewicht tatsächlich etwas mit Streß zu tun und was man dagegen machen kann, deckt ein Ratgeber auf

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 33-08 vom 16. August 2008

Essen, was einem schmeckt
Hat das Gewicht tatsächlich etwas mit Streß zu tun und was man dagegen machen kann, deckt ein Ratgeber auf
von Dagmar Jestrzemski

Der Heidelberger Facharzt für Allgemeinmedizin, Notfallmedizin und Naturheilverfahren Gunter Frank (Jahrgang 1963) hat ein Buch über Fragen der Ernährung und Möglichkeiten der Gewichtsreduzierung geschrieben, betitelt „Lizenz zum Essen“. Der Untertitel lautet „Warum Ihr Gewicht mehr mit Streß zu tun hat als mit dem, was Sie essen“. In dieser These ist bereits ein Hinweis darauf enthalten, daß hier gründlich aufgeräumt wird mit verbreiteten Ansichten über Diäten und das sogenannte Idealgewicht. Gunter Frank geißelt den Schlankheitswahn und widmet sich der Frage, warum alle abnehmen wollen, aber kaum jemand dabei dauerhaften Erfolg hat.

Obst essen und Sport treiben hilft auf Dauer eher nicht. Was hilft denn wirklich? Mit diesen Fragen wird er in seiner ärztlichen Praxis täglich konfrontiert. Mollige müßten sich nämlich täglich mit Vorurteilen und Benachteiligungen auseinandersetzen, meint Frank, längst würden sie in unserer Gesellschaft diskriminiert. Er versucht nachzuweisen, daß ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung niedriger ist als immer wieder behauptet wird.

Der Tenor lautet: Den Menschen, die zur Körperfülle neigen, soll mit allen Mitteln ein schlechtes Gewissen eingeredet werden. Den gesundheitlichen Sorgen der Molligen begegnet der Autor demgegenüber mit Entwarnung auf ganzer Linie. Die Körperstatur eines Menschen sei auf genetische Veranlagung zurückzuführen. Gefährlich werde es nur, wenn man sich aus Scham über sein angeblich zu hohes Körpergewicht chronisch unwohl in seiner Haut fühlt. Denn was mit Sicherheit zur Gewichtszunahme führe, sei Streß, wie Untersuchungen aus Medizin und Psychologie bewiesen, vor allem Streß durch den Druck, um jeden Preis abzunehmen. Aber auch Fernsehen macht dick, erfährt man, wobei sich das flackernde Licht ungünstig auf den Hormonhaushalt auswirkt.

Bekanntlich verwertet jeder Mensch die aufgenommene Nahrung unterschiedlich und reagiert individuell auf Sport und Bewegung. Mit kompromißlosen Regeln und Empfehlungen hinsichtlich der Ernährung ist dem einzelnen daher selten geholfen – dieser Feststellung kann man nur zustimmen.

Der Autor empfiehlt, das jeweilige persönliche Wohlfühlgewicht herauszufinden und dazu zu stehen, auch wenn es ein paar Kilos mehr sind als das sogenannte Normalgewicht. Dieses Gewicht zu halten ist seiner Ansicht nach allein mit vernünftiger Ernährung möglich, sofern keine Grunderkrankung mit im Spiel ist.

Diäten seien überflüssig und ohnehin auf langfristige Sicht zwecklos; der Körper holt sich irgendwann über den Jojo-Effekt die Pölsterchen zurück. Einen ähnlichen Effekt haben industriell veränderte Lebensmittel wie fettreduzierter oder gar fettfreier Joghurt. Generell rät Gunter Frank von manipulierter Nahrung ab, die chemische Zusatz- und Ersatzstoffe enthält, während die Rohstoffe reduziert sind. Dahinter stecke generell eine mächtige industrielle Lobby. Er empfiehlt Butter und Olivenöl sowie überhaupt traditionell hergestellte Lebensmittel.

Auch den Nutzen der Forderung nach „fünf mal täglich Obst und Gemüse“ stellt dieser Ratgeber in Frage. Denn nicht jeder verträgt eine hohe Zufuhr von Ballaststoffen beziehungsweise Rohkost.  Verdauungsbeschwerden können sich einstellen. Desgleichen klärt Frank über den Irrtum auf, Bio und Vollwert seien ein und dasselbe.

„Ausmahlen des Korns und Sauerteigführung im Brotteig sind Entgiftungsmaßnahmen, die die Menschheit entwickelt hat, obwohl sie mühsam sind und viel Ausschuß in Form von Kleie produzieren.“ Aufgrund der Verarbeitung werden Schadstoffe im Getreide wie pflanzliche Schimmelpilzgifte weitgehend unschädlich gemacht.

Schließlich sind zwei Kapitel der weit verbreiteten Unverträglichkeit von Fruchtzucker und Laktose gewidmet, bekanntlich eine häufige Ursache für das Krankheitsbild Reizdarm, unter dem bis zu zehn Prozent der Bevölkerung leiden.

Das Fazit lautet: Jeder soll seine Lieblingsspeisen guten Gewissens und in Muße genießen.

Allerdings: Es fehlt eine überzeugende Stellungnahme zum Problem der weltweiten dramatischen Zunahme von Diabetes. Ebenso kurz wird die Zunahme von Krebserkrankungen in den Ländern mit westlichem Lebensstil abgehandelt. Der Autor sieht sie „überwiegend“ in dem gestiegenen Durchschnittsalter der Bevölkerung begründet. Nähere Erläuterungen sucht man vergeb-lich.

Überaus nachdenklich macht schließlich die Aussage auf der nächsten Seite: „Aber den immer wieder behaupteten Zusammenhang von ungesundem Lebensstil und vermehrtem Auftreten von Zivilisationskrankheiten gibt es definitiv nicht.“ Die WHO rechnet unter anderem Herz- und Gefäßkrankheiten, Übergewicht, Eßstörungen und Typ-II-Diabetes sowie gewisse Krebsarten, die auf das Rauchen und regelmäßigen Alkoholkonsum zurückzuführen sein sollen, zu den Zivilisationskrankheiten. Daß Gunter Frank dennoch die eben zitierte Behauptung aufstellen kann, liegt schlicht und einfach in der Tatsache begründet, daß der Lebensstil der Industrieländer als Ursache für diese und andere Zivilisationskrankheiten noch nicht offiziell anerkannt ist.

Mit Sicherheit wird also eine solcherart verkürzte Darstellung dem komplizierten Sachverhalt nicht gerecht – aber der Leser erhält eine ebenso eingängige wie willkommene Wohlfühl-Botschaft. Angesichts der zahlreichen nützlichen Hinweise, die das Buch enthält, ist dieser Mangel um so bedauerlicher.

Gunter Frank: „Lizenz zum Essen – Warum Ihr Gewicht mehr mit Streß zu tun hat als mit dem, was Sie essen“, Piper Verlag München 2008, geb., 326 Seiten, 16,90 Euro


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren