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23.08.08 / Es lebe der faule Kompromiß / 100 Tage Schwarz-Grün in Hamburg: Konfrontationen wird um jeden Preis aus dem Weg gegangen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-08 vom 23. August 2008

Es lebe der faule Kompromiß
100 Tage Schwarz-Grün in Hamburg: Konfrontationen wird um jeden Preis aus dem Weg gegangen
von H.-J. Mahlitz

Beim ersten Mal, da tut’s noch weh – als Hamburgs legendäre Symbolfigur Hans Albers vor 64 Jahren diesen Ohrwurm erstmals zu Gehör brachte, hatte er Naheliegendes im Sinne; politische Hintergedanken dürften ihm ferngelegen haben.

Manch ein Hamburger stellt sich nach den ersten 100 Tagen schwarz-grüne Koalition an der Elbe – auf Landesebene zum ersten Mal – auf anhaltende Schmerzen ein. Am wenigsten zu leiden, so der Eindruck, scheinen dabei die schwarzen und grünen Koalitionäre selbst zu haben, die sich unter Berufung auf einen „Wählerwillen“ zusammengerauft haben. Vielleicht liegt das daran, daß in Hamburg die Schwarzen nicht ganz so schwarz und die Grünen nicht ganz so grün sind, wie strenge Verfechter der politischen Farbenlehre sich das eigentlich wünschen.

Auch jenseits der hanseatischen Stadtstaatsgrenzen tut die Aussicht auf derartige Bündnisse in weiteren Ländern oder gar auf Bundesebene richtig weh. Vor allem die Union muß sich von besorgten Stammwählern fragen lassen, wieviel von ihrem eigenen Profil sie eigentlich noch aufgeben will. Vom christlich geprägten und patriotisch orientierten Wertkonservatismus ist ohnehin nicht mehr viel übriggeblieben.

Und so sah er aus, der „Wählerwille“ an Alster und Elbe: Die CDU verlor im Februar dieses Jahres die absolute Mehrheit der Mandate in der Bürgerschaft und fiel von 63 auf 56 Sitze. Auch die Grün-Alternative Liste verlor fünf Mandate und stellt nur noch zwölf Abgeordnete. Die SPD gewann vier Sitze hinzu (von 41 auf 45), die Linke holte im ersten Anlauf gleich acht Mandate, die FDP verbuchte zwar einen kräftigen Zuwachs, blieb aber mit 4,7 Prozent außen vor. Anders als in Hessen beging Hamburgs SPD keinen Wortbruch, zog einen Machtwechsel mit Hilfe der Alt- und Neo-Kommunisten gar nicht erst in Betracht, mochte sich mit einer Rolle als Juniorpartner in einer Großen Koalition jedoch nicht anfreunden. So kam es zur Koalition der beiden Wahlverlierer.

Ole von Beust, der seit 2001 im Hamburger Rathaus regiert, hatte schon vor der Wahl Signale für ein Bündnis mit den Grünen gegeben. Offensichtlich mit Rückendeckung der Bundeskanzlerin – CDU-Chefin Angela Merkel will sich für die Zeit nach der Bundestagswahl 2009 möglichst viele Koalitionsoptionen offenhalten. Da kann so ein „erstes Mal“, auch wenn es weh tut, nützlich sein. Denn die Regierungschefin in Berlin weiß natürlich, wie Hans Albers’ Lied weiterging: „Dann geht die Zeit, und peu à peu / gewöhnt man sich daran.“

Bereits jetzt haben sich die Hamburger Koalitionäre ganz gut an den Umgang miteinander gewöhnt. Sie sind – frei nach dem Motto eines im Reeperbahn-Dunstkreis erscheinenden Schmuddelblatts – „nett aufeinander“, tun sich nicht weh. Doch die hanseatisch gepflegt zelebrierte Harmonie hat ihren Preis. Die Knackpunkte, an denen ein Bündnis solch ungleicher Geister eigentlich längst hätte scheitern müssen (oder gar nicht erst hätte zustandekommen dürfen), werden geschickt unter den Teppich gekehrt. Und dort hat sich in diesen sprichwörtlichen 100 ersten Tagen eine Menge an politischem Unrat angesammelt.

Pünktlich zum kleinen Koalitionsjubiläum hat „Die Welt“ jetzt eine Ecke dieses Teppichs angelupft, zum Vorschein kam eine neuartige Variante des uralten Kartenspiels „Schwarzer Peter“: Die Schwarzen hatten, als sie die Grünen noch nicht zum Machterhalt brauchten, einer Möbelhauskette einen gigantischen Neubau zugesagt, die Grünen hatten, als die Schwarzen noch als politischer Gegner galten, die Anwohner im Kampf gegen das Gewerbeprojekt unterstützt. Nun aber wurde die unharmonische Angelegenheit aus dem Koalitionsalltag ausgeblendet; klammheimlich wurde der „Schwarz-grüne Peter“ der Senatsverwaltung zugeschoben, die nun „fachliche Gründe für den Stop des Bebauungsverfahrens“ erarbeiten soll.

So gerät die Bürokratie zur „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“. Noch ein Beispiel für diese Methode, die breitere Öffentlichkeit durch faule Kompromisse zu täuschen und die engere eigene Basis durch Geheimabsprachen bei Laune zu halten: Unüber-

brückbar scheinende Gräben in der Schulpolitik wurden mit der geradezu sensationellen Verlängerung der Grundschulzeit um zwei Jahre verkleistert; dank dieses simplen

Tricks sind nun Schwarze wie Grüne gleichermaßen überzeugt, sie hätten sich durchgesetzt.

Auch wenn noch keine weiteren Geheimpapiere aufgetaucht sind – Beobachter der Hamburger Szene sind sicher, daß es auch zu anderen Streitthemen wie der Elbvertiefung oder dem Bau eines Kohlekraftwerks Absprachen gibt, mit denen die Dinge an der Öffentlichkeit und den demokratischen Entscheidungsgremien vorbei auf dem Verwaltungswege geregelt werden sollen – natürlich im Sinne der harmoniebedürftigen Koalitionsspitzen.

Fazit nach 100 Tagen: Schwarz-Grün in Hamburg kann weder für andere Länder noch für den Bund ein Modell sein. Wer krampfhaft versucht, zusammenwachsen zu lassen, was in entscheidenden Kernfragen (zum Beispiel Energie, Umwelt, Innere Sicherheit) einfach nicht zusammenpaßt, der beschert sich selber ein Glaubwürdigkeitsproblem à la Beck und Ypsilanti. Daher die Empfehlung: Grün sollte grün bleiben, und Schwarz sollte wieder etwas schwärzer werden.

Foto: Hauptsache harmonisch? Christa Goetsch (Grüne) und Ole von Beust (CDU) verwässern die Parteiprofile.


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