19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
23.08.08 / Schule ohne Deutschunterricht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-08 vom 23. August 2008

»Moment mal!«
Schule ohne Deutschunterricht
von Klaus Rainer Röhl

Andrea Ypsilanti will mit dem Kopf durch die Wand und sich trotz ihres Wahlversprechens, keine Regierung mit den Linken zu bilden, von den sechs Abgeordneten der Linken zur Ministerpräsidentin einer rot-grünen Minderheitsregierung wählen lassen. Lafontaine sicherte ihr am letzten Sonntag im Deutschlandfunk seine Unterstützung zu. Vielleicht haben wir in Hessen, wo die Nachfolgerpartei der SED bis 2003 gar nicht zur Wahl antrat, eines Tages eine rot-rote Regierung. Was bedeutet das?

Wer kein allzu kurzes Gedächtnis hat, erinnert sich noch an Lafontaines Ablehnung der „Sekundär-Tugenden“. Kein Geringerer als der SPD-Politiker und Bundeskanzler Helmut Schmidt hatte einst nicht ohne Grund (die Arbeitsproduktivität in Deutschland und damit der Lebensstandard der Deutschen, auch ihr Ansehen in der Welt hatten empfindlich gelitten) die Forderung erhoben, den bewährten Tugenden wie Ordnung, Sauberkeit, Fleiß, Tüchtigkeit und Zuverlässigkeit in Deutschland wieder zu Ansehen zu verhelfen. Lafontaine quittierte damals die Forderung seines SPD-Kanzlers mit der verächtlichen Bemerkung, die von Schmidt geforderten Eigenschaften seien Sekundärtugenden, mit denen man auch ein KZ leiten könne. Das war ein geradezu klassisches Beispiel für das Verhalten der 68er in der SPD: die verächtliche Abwertung aller gesellschaftlich vereinbarten und auch tradierten Verhaltensnormen zugunsten eines kaum verhüllten Hedonismus und der vage Faschismus-Vorwurf als Beigabe. In der Schule zu lernen, fleißig und ordentlich zu sein, zuverlässig und beständig zu arbeiten, das  sei, das legt die höhnische Formulierung nahe, fast so schlimm wie ein KZ, wie der Nationalsozialismus, wie Hitler.

Die Ausdünnung der ethischen Mindest-Anforderungen, an die man die jungen Menschen seit 1968 in Schule und Elternhaus gewöhnen wollte, ist seitdem noch weiter vorangekommen und hält mit der Auszehrung der Schulbildung Schritt. Eine seit etwa 1980 von den antiautoritären Lehrern weitgehend ethikfrei, oft auch lernstofffrei erzogene, sich selber nach wechselnden Moden und Trends ihre Leitbilder und Verhaltensnormen außerhalb der Schule selbst suchende Freizeitgeneration ist inzwischen erwachsen geworden, und der Bundeskanzler Schröder war entsetzt darüber, daß niemand auch nur ein I-Tüpfelchen für die Gemeinschaft tun oder zugunsten der Gemeinschaft auf irgend etwas verzichten will. Wofür sonst sollte sich jemand anstrengen?

Doch die schon dreimal gescheiterten Utopien der Alt-68er werden immer noch einmal aufgewärmt. Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem der Unsinn von Marcuse und Wilhelm Reich kroch.

Anfang August, als 60000 hessische Kinder mit immer größer werdenden Schultüten zum ersten Mal die Schule betraten, begann in der „Kerschensteiner-Schule“ in Hausen (Stadt Frankfurt) für die Schüler der fünften, sechsten und siebten Klasse eine schöne neue Welt, die sich die dortige Schulleiterin Sabine Bartsch und ihr Kollegium ausgedacht und stillschweigend eingeführt hatten: eine Schule ganz nach dem Herzen Lafontaines. Keine Zensuren, keine Prüfungen und vor allem auch keinen Deutschunterricht mehr! Auf den Stundenplänen tauchen Deutsch, Englisch und Geschichte nicht mehr auf. Nur noch Mathematik  ist als klassisches Schulfach geblieben. Ansonsten stehen „Projektarbeit“, „Präsentation“ und „Bezugsgruppen-Unterricht“ auf dem Stundenplan. „Kompetenzschule“ nennt sich das Experiment, das den Lehrern, Eltern, aber vor allen den Schülern im neuen Schuljahr erstmals vorgestellt wird. Friß oder stirb! Ein Menschenexperiment, wie es selbst die schlimmsten Diktatoren der neueren Geschichte, Stalin, Hitler, Kim Il Song, noch nie an Zehnjährigen verübt haben: Schule ohne Lernen. Au fein! Von den blauen Bergen kommen wir / Unser Lehrer ist genauso doof wie wir.

Schulleiterin Sabine Bartsch am 4. August zur „Frankfurter Neuen Presse“: „Wir gehen davon aus, daß die Schüler am besten lernen, was sie wirklich interessiert.“ Die Schüler, Zehn- bis Zwölfjährige, wählen den Weg, auf dem sie zu Wissen kommen, selbst. Und wenn sie gar nichts wählen und nur rumhängen wollen? Zu McDonalds gehen? Pornos oder das Kettensägen-Monster sehen? Aber Frau Bartsch läßt die Katze bald aus dem Sack: Daß viele von ihnen (!) mehrere Sprachen „beherrschen und das Leben in zwei Kulturen kennen, brachte ihnen bisher in der Schule kaum Vorteile. Das sind Stärken, die wir bisher kaum einbezogen haben“, meint Frau Bartsch.

Mit der Zeit (hofft sie einfach mal) wächst die Fähigkeit, sich Wissen zu beschaffen und damit umzugehen. Weil Kompetenzen wie Lesen, Schreiben, Forschen, aber auch Tugenden wie Selbsteinschätzung, Korrekturbereitschaft, Arbeitsorganisation und Selbstbestimmtheit gestärkt werden. In den Tutorien gibt es (natürlich freiwillige) Kurse in Musik, Darstellendem Spiel, Kunst und neuen Medien / Informatik und Flötenspielen, Vorlesen, Besuche im Theater. Aber nur wer Lust hat, macht bei irgendeinem Kurs mit. Noten gibt es nicht. In der Praxis ist das Rumhängen Programm.

Die Eltern laufen natürlich Sturm gegen das Experiment an lebenden Menschen, und einer von vielen Leserbriefen in der „Frankfurter Freien Presse“ höhnt: „Ich finde das einfach mal genial, was da läuft. Mit einem Migranten-Anteil von rund 70,5 Prozent nimmt man Deutsch einfach raus. Das fördert die Integration der Schüler, anschließend einen tollen Beruf im Bildungsland Deutschland zu ergreifen. Volldemokratisch sollte der Restunterricht nach dem Beliebigkeitsprinzip konsequenterweise in der Mehrheitssprache der Schüler stattfinden. Herr Erdogan schickt gerne türkische Lehrer nach Hausen. Was soll man auch mit Deutsch in Deutschland anfangen?“

In der Tat. Reformer wie Frau Bartsch haben aus den 40 Jahren 68er Experimenten nichts gelernt. Kein Wunder, vielleicht hatten sie selbst schon bei ihren an 68 geschulten Lehrern „Kompetenzunterricht“?

Die Pisa-Studie zeigt Deutschland deutlich auf dem absteigenden Ast. Dafür ist die Verbreitung von Haschisch beziehungsweise Marihuana seit 1968 (!) von Jahr zu Jahr gestiegen, und zwar kontinuierlich.

Vielleicht war auch in den Köpfen der ReformerInnen und in  den Amtsräumen des staatlichen Schulamts, das das Experiment der „Kompetenzschule“ genehmigt hat, in ihrer Studentenzeit schon der Spruch verbreitet: „Morgens n’ Joint – und der Tag ist dein Freund“? Das Übel an der Wurzel packen, alle Großkonzerne knacken, reimten die Jusos, die heute noch in der Regierung und im SPD-Vorstand sitzen. Neue Schlagworte kamen dazu: Vernetzung, Globalisierung, soziale Kälte und Menschenfeindlichkeit. Bewußtseinserweiterung sollte den autoritären Zwangscharakter der Gesellschaft entlarven und aufbrechen und einen neuen Menschen schaffen. Wir müssen leider feststellen, daß den Schülern von Reich und Marcuse das zum Teil gelungen ist.

Der neue Mensch wächst bereits in unseren Schulen heran. Die deutsche Jugend insgesamt ist, nach 40 Jahren Langem Marsch, nicht mehr auf der Suche nach Herkunft, Geschichte und Identität, sondern auf der Suche nach dem neuesten Kick, dem letzten Hit, den sie sich vom Internet „downloadet“. Das kann sie. Weil sie den gewaltigen Streß, den die Schule in ihren Augen darstellt, überwinden muß. Sich ausruhen. Abhängen. Chill out. Jeden Abend, am nächsten Tag wieder abhängen. Landen alle unsere Kinder eines Tages, unter der rot-roten Regierung von Frau Ypsilanti in der „Kompetenz-Schule“! Das Resultat ist absehbar.

Die Angst vor dem schlechten Zeugnis nimmt ab. Die Freude auf ein gutes Zeugnis auch. Die Motivierung und Lust am Lernen geht ebenfalls verloren. Bloß keinen Streß. Lernen aber, ob Deutsch, Englisch oder Mathematik, ist Streß.

Etwas leisten und eine Prüfung bestehen ist Streß. Berufsausbildung ist Streß. Aber das können die „coolen Kids“ mit oder ohne Migrationshintergrund ja nicht verstehen. Dazu müßten sie es ja kennen und wollen.

Foto: Spielend lernen: Projektbezogener Unterricht mag in kleinen Dosen eine willkommene Abwechslung sein, als Alternative zum klassischen Fächersystem – wie jetzt in Frankfurt-Hausen an den Start gegangen – birgt er Gefahren.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren