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23.08.08 / Thainudeln fürs Seelenheil / Deutschlands Kirchen auf neuen Wegen – Wenn die Gläubigen wegbleiben

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-08 vom 23. August 2008

Thainudeln fürs Seelenheil
Deutschlands Kirchen auf neuen Wegen – Wenn die Gläubigen wegbleiben
von Robert B. Fishman

Kleine Seligkeiten gibt es schon für 5,50 Euro, Bewußtseinserweiterungen ab sechs Euro. Für 9,80 ist man mit einer Portion Thainudeln mit Pak Choi, Sojasprossen, gerösteten Erdnüssen, Zitronengras und frischem Chili dem „Himmel so nah.“ So verspricht es die Speisekarte des „GlückundSeligkeit“. Und tatsächlich: Achim Fiolka hatte Glück. Die Kirche auch. Für annähernd drei Millionen Euro hat der Bielefelder Gastronom eine fast schon dem Abriß geweihte Backsteinkirche zum Lounge-Restaurant mit 350 Plätzen umgebaut. Wo einst der Altar stand, schlürfen die Gäste jetzt in bequemen, beigefarbenen Sesseln ihre

Cocktails. Die Bar im ersten Stock hat die Orgel ersetzt. Statt der Kirchenbänke schmücken Eßtische und eine lange Bar das Kirchenschiff.

Als Fiolka sein „GlückundSeligkeit“ Ende 2005 in der 110 Jahre alten Martinikirche eröffnete, kamen sie in Scharen: Fotografen, Journalisten, Fernsehleute und dann die Kundschaft, die im edlen Ambiente unterm Kirchendach bei entspannter Loungemusik und sphärischen Klängen speist.

„Unsere Prognose haben wir übertroffen“, freut sich Fiolka auch im dritten Geschäftsjahr über das sonntägliche Gedränge vor seinem Brunch-Büffet unter den hohen neogotischen Kirchenfenstern. Architekt Hans-Martin Bruns hatte sich vorgenommen „den Raum so zu behandeln, daß er jederzeit wieder als Kirche genutzt werden kann“. Die drei Stufen zum Chor sind ebenso erhalten geblieben, wie die grauen Wände. Die Struktur des alten Mauerwerks bleibt sichtbar. 

Dennoch reagierten viele Gläubige skeptisch, als Fiolka sein Gastronomiekonzept präsentierte. Inzwischen hat der Gastronom auch konservative Christen überzeugt. Ältere Herrschaften, die einst in der Martinikirche konfirmiert wurden, kommen heute zum Essen und loben die gediegene Atmosphäre, die den Kirchenraum achtet.

Mühsamer war die Überzeugungsarbeit, welche die benachbarte evangelische Neustädter Mariengemeinde leisten mußte. Um Kosten zu sparen, schloß sie sich mit der angrenzenden Paul-Gerhardt-Gemeinde zusammen. Bielefelds jüdische Kultusgemeinde, durch die vielen Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion auf gut 300 Mitglieder angewachsen, platzte aus allen Nähten. Sie kaufte die verkehrsgünstig am Rande der Innenstadt gelegene Paul-Gerhardt-Kirche samt Gemeindezentrum und Grundstück für rund 700000 Euro, um sie zur Synagoge umzubauen.

Wie fast überall in Deutschland werden in Westfalen die Christen weniger. Die evangelische Landeskirche, nach der Rheinischen, der Hannoverschen und der Bayerischen viertgrößte Deutschlands, wird bis 2030 nur noch rund 1,9 Millionen Mitglieder zählen. Heute sind es 2,65 Millionen. Schon in den vergangenen sieben Jahren mußte die Landeskirche 21 Kirchen und 59 weitere Predigtstätten entwidmen. In Bielefeld und Gütersloh wurde je eine Kirche an die aramäische und an die griechisch-orthodoxe Gemeinde verkauft. Die Markuskirche im Kreis Herne ging an die Neukirchener Mission, und die Brunnsteinkapelle in Soest wurde zum Künstleratelier. Elf westfälische Kirchen sind abgerissen.

Während die Einnahmen aus Spenden und Kirchensteuern hier wie in anderen Regionen zurück-gehen, haben Bund und Länder auch die Zuschüsse für die vielen denkmalgeschützten Kirchen gekürzt. Allein in Westfalen stehen 400 der rund 900 Kirchenbauten unter Denkmalschutz. Hat die Landeskirche 1993 noch 1,07 Millionen Euro für deren Erhalt bekommen, waren es 2000 nur noch knapp 600000.

Noch härter treffen zurückgehende Einnahmen und steigende Kosten das vor 50 Jahren gegründete katholische Ruhrbistum. 96 ihrer 340 Kirchen müssen die Gemeinden zwischen Duisburg und dem sauerländischen Plettenberg aufgeben. Die meisten davon entstanden kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, als man „jedem Bergmann eine Kirche ans Bett“ bauen wollte. Mit einem Zukunftskonzept will das Bistum nun dem „massiven Strukturwandel“ begegnen. Zählten die katholischen Gemeinden im Ruhrgebiet vor 50 Jahren noch 1,5 Millionen Mitglieder, so sind es heute noch 920000. Tendenz weiter abnehmend.

Im Ruhrgebiet wurden sogar schon Kirchen abgerissen: In Bochum wich Sankt Thomas Morus einem Neubaugebiet. Wird eine Kirche geschlossen, verlieren die Menschen ein Stück Heimat. „Das ist ein Schmerz, den auch ein Bischof aushalten muß“, gesteht Ruhrbischof Felix Genn. Viele Lebensgeschichten sind eng mit den Kirchengebäuden verwoben. Gläubige haben hier wichtige Stationen ihrer Entwicklung erlebt: Taufe, Konfirmation oder Firmung, Heirat und den Abschied von verstorbenen nahen Angehörigen.

„Eine Kirche“, bestätigte 2003 die Deutsche Bischofskonferenz in ihrer Arbeitshilfe Nr. 175, ist „nicht irgendein Gebäude“. Vielmehr seien die Gotteshäuser „persönliche Erinnerungsorte“, die als „Ankerpunkte kollektiver und individueller Identität Geborgenheit vermitteln“ und „Oasen in einer ökonomisierten Umwelt“ darstellen. „Das Wort Gottes und das Mysterium unserer Erlösung“ werde in den Kirchen „anschaulich“. So seien die Kirchenbauten „steinerne Zeugen des Glaubens und Gestalt gewordene Theologie“, die die „Spuren kirchlichen Lebens in eine zunehmend säkulare Gesellschaft tragen“.

Schon weil „die Gesellschaft und der Einzelne Orte der Stille und des Austauschs“ brauche, die „frei von den Zwängen des Alltags sind“, gelte es, Kirchengebäude vor Zerstörung und unangemessener Nutzung zu schützen.

Mietern, Pächtern oder Käufern katholischer Kirchengebäude stecken die Bischöfe enge Grenzen: Vorrang habe eine „liturgische Nutzung“ durch die eigene oder andere christliche Kirchen. Die Verwendung eines Kirchenraums für kulturelle Zwecke sei der für kommerzielle Interessen vorzuziehen. Bevor eine Kirche aufgegeben wird, sollten die verantwortlichen „Mischnutzungen“ in Erwägung ziehen, die der Würde des Raumes Rechnung tragen. Umbauten sollten möglichst „reversibel gestaltet werden, damit künftige Generationen die Kirchenräume ihrer eigentlichen Bestimmung wieder zuführen können“. Ein Abriß komme – wie für die evangelischen Landeskirchen – nur als „Ultima Ratio“ in Betracht.

Foto: Kirchenschiff umgewandelt: Jetzt speisen dort Genießer.


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