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23.08.08 / Sind Werte das Opium fürs Volk / Ratgeber behauptet, daß es den wenigsten Wertepredigern ernst ist und nennt Beispiele

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-08 vom 23. August 2008

Sind Werte das Opium fürs Volk
Ratgeber behauptet, daß es den wenigsten Wertepredigern ernst ist und nennt Beispiele

Bekanntlich hatten in früheren Jahrhunderten die Quacksalber auf den Jahrmärkten großen Zulauf. Zumal wenn sie ihre selbstgebrauten Trünke unter dem Heilung verheißenden Namen Theriak zum Verkauf ausschrien, drängte sich das hilfesuchende Volk um ihre Verkaufstresen. Ob diese Mittelchen jemals geholfen haben, weiß man nicht, doch sind erhebliche Zweifel angebracht. In die Rolle der „Theriakskrämer“ sind in heutiger Zeit manche der Autoren geschlüpft, die sich auf die literarische Sparte „Ratgeber“ spezialisiert haben. Wer sich auf diesem Gebiet auskennt und weiß, was das Lesepublikum verlangt, wird, wenn er einmal Erfolg mit einer verblüffenden Idee oder einer aus irgendeinem Grund positiv eingeschlagenen Veröffentlichung hatte, den Büchermarkt mit seinen Nachfolgewerken nicht mehr in Ruhe lassen. Denn der Markt für Ratgeber in Fragen der Paarbeziehungen, Kindererziehung und Selbstfindung ist keineswegs gesättigt, und dies, obwohl den interessierten Lesern bereits hinsichtlich aller Lebenslagen und

-lügen in einer unübersehbaren Menge von Büchern Rat erteilt worden ist. Offenbar geht es daher manch einem Autor nur noch darum, Altbekanntes geschickt aufzubereiten, so daß man es für neuartig und sogar für einen genialen Wurf halten kann. Ein Beispiel ist der Hamburger Paar-Berater und vielfache Ratgeber-Buchautor Michael Mary.

In seinem neuen Werk „Werte im Schafspelz“ hört er nicht auf zu betonen: Glauben Sie niemals Repräsentanten aus Politik, Wirtschaft oder Kirche, wenn sie in der Öffentlichkeit betonen, man müsse diese und jene und vor allem die guten alten Werte wieder mehr schätzen. Diese Zeitgenossen, so Michael Mary, wollten mit ihrer Rede nur vernebeln, daß sie in Wahrheit lediglich Vertreter bestimmter Interessen sind, ihrer eigenen nämlich. Sie bezeichneten Werte als „Kitt der Gesellschaft“, hielten sich aber selbst nicht daran; sie predigten Wasser, nur um selbst Wein zu trinken. Denn all den Gutverdienern und Einflußreichen ginge es grundsätzlich nur um den Machterhalt und die eigene Bereicherung, nicht um das Wohl ihrer Mitmenschen.

Nirgends werde derart geheuchelt wie beim Wertepredigen, so fährt Mary fort, und er geht noch weiter. Ohne Unterschied komme jeder Mensch als Wolf im Schafspelz daher, der sich auf Werte wie Treue, Wahrheitsliebe, Dienst am Gemeinwohl und selbst auf die Liebe berufe. Das gelte unterschiedslos für jeden einzelnen Menschen, der unsere sogenannten guten, alten Werte öffentlich anpreist. Was wäre geeigneter, als die These vom Mißbrauch und gleichzeitig von der Nutzlosigkeit der Werte auf eine vermeintlich wissenschaftliche Grundlage zu stellen. Zum Glück gibt es dafür die allwissende Soziologie, hier vertreten durch den Soziologen Niklas Luhmann. Dessen Analyse menschlichen Handelns möchte Mary uns mittels zahlreicher Zitate als der Weisheit letzten Schluß verkaufen.

Auf einen anderen Gesellschaftswissenschaftler bezieht er sich, wenn er behauptet, daß jeder Mensch genau in dem Augenblick, in dem er seine eigenen Interessen verfolge, zur Beruhigung der Außenwelt einen „Werteballon“ aufsteigen lasse. Vorsicht sei daher unbedingt in solchen Fällen geboten.

Nur an die Eltern-Kind-Liebe wagt sich Mary nicht heran, will die Theorie vom Vorteilsdenken hiermit offenbar nicht in Verbindung bringen. Das ist schon auffällig.

Nur sind diese Dinge nicht wirklich neu, und es würde auch ohne Michael Marys Warnungen kaum jemand einem Werte predigenden Topmanager oder dem Vertreter einer Ölfirma, die den Umweltschutz mißachtet, Gehör schenken. Bald darauf nimmt Mary ein weiteres Ziel unter Beschuß, nämlich die Kirche und ihre Vertreter sowie Publizisten mit einer christlichen und wertebezogenen Botschaft. Seine grundsätzliche Ablehnung des Christentums begründet der Autor natürlich ebenfalls mit seiner „Werte im Schafspelz“-Theorie.

Da er sich als Atheist aber keinesfalls auf das Terrain der Frage nach Gott, nach einem höheren Sinn, begeben will, unterstellt er sämtlichen kirchlichen Vertretern und den Publizisten mit einer christlichen Botschaft schlichtweg ebenfalls Machtbestrebungen, und zwar dieselben, welche auch andere Interessenvertreter antreibe: die Gier nach Ehre, Ausbreitung kirchlichen Einflusses. Dabei entgeht dem aufmerksamen Leser natürlich nicht, daß Marys Zorn über den christlichen Glauben nicht gleichzeitig auch den Glücks- und Sektengurus sowie den zahllosen Verkündern esoterischer Lebensweisheiten gilt. Übergeht er diese Gutverdiener und Scharlatane vielleicht, weil er ja zu derselben Spezies gehört?

Stutzig macht sein durchgehend polemischer, oftmals gehässiger Ton. Diesen Mann treibt eine erstaunliche Wut an.

Als professioneller Ratgeber sollte Michael Mary seinen Lesern schlußendlich einen positiven Tip mit auf den Weg geben. Er schafft es jedoch nicht, ihnen über seine Behauptungen hinaus etwas Wegweisendes zu eröffnen, beläßt es daher bei immer derselben Warnung: Lassen Sie sich von den Wertepredigern nicht für dumm verkaufen!          Dagmar Jestrzemski

Michael Mary: „Werte im Schafspelz – Entlarven Sie Tricks, mit denen wir alle manipuliert werden“, Gustav Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach 2008, geb., 210 Seiten, 19,95 Euro


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