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23.08.08 / Der Nabel der Theaterwelt / Vor 60 Jahren wurde das im Krieg zerstörte Nationaltheater Weimar wiedereröffnet

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-08 vom 23. August 2008

Der Nabel der Theaterwelt
Vor 60 Jahren wurde das im Krieg zerstörte Nationaltheater Weimar wiedereröffnet
von Hans-Jürgen Mahlitz

Mit einer Mischung aus Skepsis und Hoffnung trat der Direktor auf die Bühne und fragte: „Wie machen wir’s, daß alles frisch und neu / und mit Bedeutung auch gefällig sey? / Denn freilich mag ich gern die Menge sehen, / Wenn sich der Strom nach unsrer Bude drängt“.

Die Worte entstammen dem „Vorspiel auf dem Theater“, das Goethe dem ersten Teil der „Faust“-Tragödie vorangestellt hatte. Und sie trafen genau die Situation an jenem 28. August 1948, exakt an Goethes 199. Geburtstag. Mit „Faust I“ nämlich wurde an diesem Abend das Nationaltheater Weimar wiedereröffnet, als erstes wiederaufgebautes Bühnenbauwerk im kriegszerstörten Deutschland. Alles war „frisch und neu“, wirkte durchaus „gefällig“, und seit nunmehr 60 Jahren drängt es das Publikum in zufriedenstellenden Mengen in den Musentempel.

Mit seiner „Bude“ lag Goethes Direktor allerdings arg daneben. In Wahrheit zählt diese Spielstätte in der thüringischen Dichtermetropole seit über zwei Jahrhunderten zu den ganz großen Häusern. Seine Tradition weist über den Bereich des Sprechtheaters weit hinaus, umfaßt glanzvolle Epochen des Musiktheaters und tangiert gelegentlich auch das Politische.

Als Gründungsdatum wird in den Annalen das Jahr 1791 genannt. Doch schon Mitte des 18. Jahrhunderts hatte Anna Amalia, die kunstsinnige Herzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach (geborene von Brandenburg-Preußen) ein sogenanntes Liebhabertheater eingerichtet. Statt über professionelle Schauspieler durfte das erlauchte Publikum sich über adlige und bürgerliche Laien amüsieren; neben Hofdamen waren auch Beamte und Minister auf der Bühne zu sehen. Anna Amalias Sohn, Herzog Carl August, setzte das Werk der Mutter fort, baute Weimar zielstrebig zum Zentrum des deutschen Geisteslebens aus. Dazu gehörte auch die Gründung des Hoftheaters 1791. Johann Wolfgang von Goethe wurde die Leitung übertragen, er eröffnete das Haus mit August Wilhelm Ifflands Schauspiel „Die Jäger“. Zielstrebig baute Goethe in Weimar eine leistungsstarke Schauspielertruppe auf; so holte er auch den Autor des Premierenstücks – immerhin Namensgeber der bedeutendsten Auszeichnung deutschsprachiger Bühnendarsteller – als Mimen nach Weimar.

Die „goldenen Jahre“ brachen 1799 an. Friedrich Schiller trat dahin, wo er heute – von Ernst Rietschel 1857 in Bronze gegossen – auch draußen vor der Tür des Nationaltheaters steht: an die Seite Goethes. Für sechs herrliche Jahre, bis zu Schillers Tod 1805, machten die beiden Dichterfürsten die Weimarer Bühne zum Nabel der Theaterwelt. Beginnend mit der Wallenstein-Trilogie, erlebten fast alle Dramen Schillers hier ihre Welturaufführung. Auch sorgte Goethe dafür, daß die Oper sich mit glanzvollen Aufführungen in Weimar etablieren konnte. Unterstützt von der 1804 an den Hof zu Weimar verheirateten Zarentochter Maria Pawlowna brachte er die damals gerade 6000 Einwohner in den Genuß der großen Werke Mozarts.

Ein Brand zerstörte 1825 das noch junge, aber schon so traditionsreiche Haus. Noch im selben Jahr wurde es wiedererrichtet. Inzwischen hatte Herzogin Maria Pawlowna den Pianisten Johann Nepomuk Hummel als Kapellmeister verpflichtet; unter seiner Regie begann das „Silberne Zeitalter der Tonkunst“, das seine höchste Blüte ab 1842 mit Franz Liszt als Hofkapellmeister erlebte. Richard Wagner brachte in Weimar seinen Lohengrin erstmals zu Gehör, Liszt selber ließ seine Kompositionen hier uraufführen, hinzu kamen Weltpremieren von Hector Berlioz und Richard Strauss, der 1889 Kapellmeister wurde.

Die Bedeutung des Weimarer Theaters sprengte inzwischen auch räumlich den vorhandenen Rahmen. So ging man 1907 daran, ein neues, größeres und technisch besser ausgestattetes Bauwerk zu errichten, im neoklassizistischen Stil, der sich bis heute erhalten hat. Zur Einweihung am 11. Januar 1908 reiste Kaiser Wilhelm II. aus Berlin an.

Künstlerisch konnte das neue Haus allerdings nicht an die große Tradition anknüpfen. Stattdessen bemächtigte sich nun die Politik der legendären Bühne. Vom 6. Februar bis 11. August tagte im „Deutschen Nationaltheater Weimar“, wie es sich neuerdings nannte, die Nationalversammlung, um Deutschland eine demokratische Verfassung zu geben. Danach ging es bergab. 1926 durfte die NSDAP hier ihren ersten Reichsparteitag abhalten. Nach 18 glanzlosen Jahren wurde das Theater 1944 geschlossen und diente der Rüstungsproduktion, bis es am 9. Februar 1945 von US-Bombern in Schutt und Asche gelegt wurde.

Wie zuvor die National-Sozialisten, so hatten auch die moskauhörigen Sozialisten der SBZ es eilig, die Tradition des Weimarer Nationaltheaters nutzbar zu machen. Schneller als alle anderen zerstörten deutschen Theater war es wieder aufgebaut. Beginnend mit „Faust“ zur Wiedereröffnung machte das Nationaltheater aus der politischen Not eine künstlerische Tugend und machte immer wieder durch glänzende Klassi­kerinszenierungen auf sich aufmerksam.

In der Schlußstrophe des „Faust II“ finden wir die Zeilen „Das Unbeschreibliche, / Hier ist es getan“. Ob Goethe, als er dies schrieb, eine Vision von diesem seinem Weimarer Theater hatte?

Foto: Mit seinem „Faust I“ begann der Wiederanfang: Goethe mit Schiller als Denkmal vor dem Nationaltheater


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