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30.08.08 / Kreativität im Alltag / Malen, Schreiben oder Kochen: Viele Senioren suchen ein sinnvolles Steckenpferd

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-08 vom 30. August 2008

Kreativität im Alltag
Malen, Schreiben oder Kochen: Viele Senioren suchen ein sinnvolles Steckenpferd
von Anja Schäfers

Pinsel oder Zeichenstift haben viele Menschen seit ihrer Schulzeit nicht mehr angefaßt. Andere haben seitdem nicht mehr gesungen oder musiziert – die Verpflichtungen durch Beruf und Familie ließen keinen Raum. Spätestens im Rentenalter wäre jedoch wieder Zeit für verschüttete Interessen. Aber dann noch einmal neu beginnen? „Lernen ist bis ins höchste Alter möglich“, sagt Uwe Kleinemas, Psychologe und Geschäftsführer des Zentrums für Alternskulturen der Universität Bonn. Oft sei dies weniger eine Sache des Könnens als des Wollens.

„Die heutige ältere Generation ist sehr heterogen“, berichtet Kleinemas, „die übergroße Mehrheit hat aber bis weit in seine 80er Jahre keine körperlichen oder psychischen Einschränkungen, die sie am Lernen hindern würden.“ Das Motto sollte also lauten: Wenn ich will, dann kann ich auch. Senioren sollten allerdings damit rechnen, daß sie sich neue Dinge langsamer aneignen als früher und unter Umständen nicht mehr so unbefangen an eine Sache herangehen. Andererseits seien sie im Alter oft geduldiger geworden und hätten außerdem viel Zeit, um zu üben oder zu experimentieren.

Bei vielen Senioren ergibt sich der Wunsch, eine bestimmte schöpferische Tätigkeit aufzunehmen, aus ihrer Lebensgeschichte. Dann fehlte etwa in der Kindheit das Geld für den Klavierunterricht, oder die Lust am kreativen Kochen wurde durch die Pflicht verschüttet, täglich Essen auf den Tisch zu bringen. „Man kann auch verborgenen Sehnsüchten nachspüren“, sagt Kleinemas. Ein begeisterter Theatergänger möchte vielleicht endlich einmal ausprobieren, wie es ist, selbst als Schauspieler auf einer Bühne zu stehen. Letztlich sei alles denkbar.

„Wer kreativ werden will, sollte nicht bis zur Pensionierung warten und auf den Kuß der Muse hoffen“, sagt Rainer Holm-Hadulla, Professor für Psychotherapeutische Medizin an der Universität Heidelberg. Vielmehr müsse man selbst aktiv werden, sollte verschiedene Dinge ausprobieren und Tätigkeiten vertiefen, die einem Freude bereiten. Dies sei stets auch mit Anstrengung verbunden. Bis man etwa auf dem Klavier frei spielen könne, müsse man Noten und Technik erlernen und beim Üben so manches Hindernis überwinden.

Dabei können Strukturen und Rituale helfen. Wer zum Beispiel Geschichten oder Gedichte schreiben möchte, sollte sich einen ruhigen Ort suchen und einen bestimmten Zeitraum festsetzen. „Wenn ich mir vornehme, mich dienstags von zehn bis zwölf Uhr hinzusetzen und zu schreiben, sollte ich das einhalten“, sagt Holm-Hadulla.

Denn auch bei schöpferischen Tätigkeiten ist der Wunsch groß, diese aufzuschieben oder etwas anderes zu tun, wenn Probleme entstehen.

Wichtig sei zudem die Balance zwischen dem Alleinsein und dem Austausch mit anderen. „Man sollte auf jeden Fall die Anstrengung in Kauf nehmen und sich Gleichgesinnte suchen“, empfiehlt der Autor eines Buches über Kreativität. Oft sei schon die Verabredung mit anderen Menschen motivierend. Die Treffen selbst machten Spaß, und oft entdecke man zusammen neue Möglichkeiten. So brächten sie einen auch in der Sache weiter.

Ob ein älterer Mensch sich allein etwas beibringen möchte oder lieber unterrichtet werden will, liegt am Naturell jedes einzelnen.

Für viele schöpferische Tätigkeiten lassen sich mittlerweile offene Werkstätten oder feste Kurse in der Nachbarschaft finden. Immer öfter gibt es auch Angebote für Senioren. „Jeder sollte selbst ausprobieren, ob er sich eher unter Gleichaltrigen wohlfühlt oder die Mischung verschiedener Generationen in einer Gruppe schätzt“, empfiehlt Uwe Kleinemas.

Senioren sollten unbedingt den Vorteil nutzen, daß sie ihrem Interesse ohne Leistungsdruck nachgehen können. „Anders als früher in der Schule oder im Beruf gibt es keinen mehr, der sie bewertet“, sagt der Bonner Alternsforscher. Auch könne man kreativ sein und Spuren hinterlassen, ohne vorzeigbare Kunstwerke zu schaffen. Ein älterer Herr etwa traf beim Spazierengehen eine Kita-Gruppe und unterhielt sich mit der Erzieherin über die angespannte Personalsituation in der Einrichtung. „Jetzt liest er den Kindern regelmäßig Märchen vor“, berichtet Kleinemas.

Auch der Heidelberger Psychotherapeut Holm-Hadulla plädiert dafür, die Augen für die schöpferischen Momente des Alltags offenzuhalten: „Letztlich ist Kreativität eine Einstellung zum Leben.“ Sie beginne zum Beispiel damit, daß man sich morgens am Geruch seines Kaffees erfreue oder die Muster der Regentropfen auf der Fensterscheibe wahrnehme. So sei es zwar schön, wenn man zum Beispiel einen Blumenstrauß realistisch zeichnen könne. „Vielleicht bin ich aber viel kreativer, wenn ich mit meinem Enkel mit Wachsmalkreide experimentiere und die Welt der Farben neu entdecke“, sagt Holm-Hadulla.

Foto: Malen vor der Natur: Herausforderungen annehmen


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