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30.08.08 / Tiger im Hochhaus / Wunderbares Märchenbuch

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-08 vom 30. August 2008

Tiger im Hochhaus
Wunderbares Märchenbuch

Eisbären haben immer noch Kuschelkonjunktur. Obwohl Lutz Rathenow mit seinem aus Apolda ein paar Wochen eher auf dem Buchmarkt war als dann Knut und Flocke in der zoologischen Wirklichkeit. Der aus Jena stammende Lutz Rathenow bereitet in seinem – im wörtlichsten Sinn – wunderbaren Kinderbuch „Ein Eisbär aus Apolda“ kleine und große Leser auf die Begegnung mit merkwürdigen Tieren vor. Elefanten, „Karloffelkäfer“ aus Thüringen, Tiger im Hochhaus und nicht zuletzt deren Spiegelbilder spielen hier eine zentrale Rolle. Was alle Tierfiguren miteinander verbindet, ist die eigenwillige Existenz eines selbstbewußten Daseins, das sich in ebenso kurzweiligen wie skurrilen Geschichten ereignet. Dichte Kurzprosa voller Hintergründigkeit. Für Kinder bestens geeignet, um sie an eine Lebensweisheit heranzuführen: Nicht alles ist so, wie es zu sein scheint. Da ist der gelangweilte Mann, der sich einen ihn zuverlässig stechenden Floh zulegt, um schließlich bei einer Schnecke zu landen, die ihn dazu bringt, selbst in die Welt hinaus zu gehen. Derweil schickt Rathenow die daheim eingesperrten Sieben Geißlein der Gebrüder Grimm in die Gegenwart antiautoritärer Erziehungsmuster, wo sie als rotzfreche „zickige Ziegen“ agieren. In Abwesenheit ihrer Mutter treiben sie es vor Langeweile auf die Spitze: „Käme endlich mal der Wolf, da wäre was los!“. Als der da ist, wollen sie vom Wolf gefressen werden, doch der winkt ab: „Ziegenfleisch eß ich aus der Büchse, schön gekocht.“ Wie es weitergeht, sei nicht verraten, nur soviel: Sprachspiel, Wortwitz und hintergründiger Humor ziehen sich durch Rathenows Kurzgeschichten, die eine modernisierte Form der Fabel-Gattung repräsentieren. Diese Geschichten werden gern als Anregungen für Schreibübungen verwendet – man kann sie fortführen und sich über durchaus böse Stellen hinweglachen. Denn irgendwo läuft auch das Antiautoritäre ins Leere, die absolute Respektlosigkeit tötet schon mal aus Versehen. Zwei der hier versammelten Geschichten erschienen bereits in der DDR, zwei andere wiederum durften damals nicht veröffentlicht werden, so jene von den beiden Stinktieren, die um die Wette stinken – und heute unvermittelt an die grenzdebilen TV-Formate erinnern. Im besten Sinne „fabelhaft“ wird Kindern ein Sinn für Etikette vermittelt. Dennoch läßt sich aus den einzelnen Geschichten nicht ablesen, aus welcher Zeit sie stammen.

So vereint das Buch, was doch zusammengehört: den DDR-verbotenen und den -gestatteten Thüringer Dissidenten Rathenow, der manche seiner Texte oft in Kirchen vorlas. Das muß Kinder heute nicht kümmern, bietet aber im Zeitalter vielfacher DDR-Nostalgie auch für Erwachsene mitunter einen Mehrwert. Daß letztere ebenfalls bei der Lektüre schmunzeln, hat neben der Erzählweise Rathenows mit den originellen Illustrationen von Egbert Herfurth zu tun. Der Leipziger darf als einer der bekanntesten DDR-Illustratoren bezeichnet werden. Wie es die etwas andere Welt Rathenows will, ist es für diesmal der Herbst, der – zwar nicht alles – doch einiges neu macht: Dann nämlich erscheint eine veränderte Auflage seines Titels, ergänzt um eine neue Eisbärengeschichte. Dessen Protagonist spaziert darin weiter durch ein Apolda, das überall sein könnte.     Christian Dorn

Lutz Rathenow / Egbert Herfurth: „Ein Eisbär aus Apolda“, Leipziger Kinderbuchverlag, 32 Seiten, geb., 12,90 Euro


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