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30.08.08 / Eine deutsch-französische Symbiose / Die Einwanderung der Hugenotten nach Preußen war für beide Seiten ein Gewinn

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-08 vom 30. August 2008

Eine deutsch-französische Symbiose
Die Einwanderung der Hugenotten nach Preußen war für beide Seiten ein Gewinn
von Jürgen Ziechmann

Die Herkunft des Wortes „Hugenotte“ unterliegt verschiedenen Deutungen. „Huguenot“ bezeichnete im Mittelalter eine geringwertige Münze. Als sich die Genfer Bürger mit anderen Schweizern gegen Savoyen zusammenschlossen, wurden die „aignos“ (Hausgenossen oder Eidgenossen) zu Hugenotten.

Am 18. Oktober 1685 erließ der französische König Ludwig XIV. in Fontainebleau ein Edikt, das die Lage seiner protestantischen Untertanen extrem verschlechterte. Denn dadurch widerrief der Monarch das Edikt von Nantes, das sein Vorfahr Heinrich IV. am 13. April 1598 erlassen hatte. Mit seinem Widerruf veranlaßte der katholische Ludwig XIV. die Flucht zahlreicher französischer Bürger, die reformierten Glaubens waren und „Hugenotten“ genannt wurden. Von den 850000 calvinistischen Franzosen flohen trotz strenger Verbote und entsprechender Verfolgung mehr als 200000. Mit seiner intoleranten Politik schadete Ludwig XIV. nicht nur direkt seinem eigenen Land, sondern er trug auch zur Stärkung anderer Länder bei.

Von den französischen Flüchtlingen gingen etwa 20000 nach Brandenburg-Preußen, wohin sie der Große Kurfürst genau drei Wochen später durch sein Edikt von Potsdam vom 8. November 1685 einlud. In Brandenburg-Preußen entwickelten sich die Hugenotten zu angesehenen Mitbürgern, die zur Wohlfahrt und zur wachsenden Größe Preußens beitrugen und von denen viele in den Heeren der preußischen Könige dienten.

Zwar wanderten die Wohlhabenden unter den Hugenotten nach 1685 nach England und den Niederlanden aus, aber für das entvölkerte Brandenburg-Preußen kam der Zuzug gerade recht. Im Jahre 1700 war jeder vierte Einwohner Berlins ein Franzose. Die Hugenotten kamen bis Memel, Rastenburg, Pillau, Mitau und Tilsit.

Alle Flüchtlinge durften ihre Sprache und ihre Gebräuche behalten. Die erste Generation der Réfugiés sprach noch nicht einmal das amtliche Französisch, das in der Verwaltung, bei Gericht oder im Gottesdienst verwendet wurde, sondern behielt den Dialekt ihrer Heimat bei. Die Akzeptanz der französischen Sprache in Preußen war unterschiedlich. König Fried­rich I. ließ die französischen Kolonien in Brandenburg-Preußen unangetastet. Der vor 320 Jahren, am 14. August 1788, geborene Fried­rich Wilhelm I. befahl am 19. Mai 1727, daß der Gottesdienst in der französischen Gemeinde auf deutsch zu halten sei. Am 5. Juli 1738 verschärfte er seine Einengung der Hugenotten noch dadurch, daß kein Prediger in den französischen Gemeinden angestellt werden durfte, der nicht zuvor eine deutsche Probepredigt im Berliner Dom gehalten hatte.

Friedrich der Große, der die französische Hochsprache fließend beherrschte und auf französisch träumte, tauschte sich mit den illustren Geistern Europas in blendendem Französisch aus, das er sich in den ersten Jahren von keinem Geringeren als Voltaire korrigieren ließ. Aber beim Umgang mit seinen Generalen, Beamten und Gesandten verwandte er Deutsch.

Die materiellen Vergünstigungen, die die Einwanderer erhielten, waren neben der kostenlosen Erlangung der Bürgerrechte kostenloser Baugrund und Ackerflächen, kostenlose Baumaterialien, Geld für die Anschaffung von zwei Pferden, einer Kuh und notwendigem Ackergerät sowie Steuerfreiheit auf sechs oder zehn Jahre mit Ausnahme der Akzise.

Diese Privilegien brachten zunächst Unruhe bei den eingesessenen Bürgern, die Benachteiligungen auszuhalten hatten, doch erfolgte die Integration der neuen Mitbürger einigermaßen reibungslos, besonders auch deswegen weil die Hugenotten das Gemeinwohl nicht schädigten, sondern es förderten. Aufgrund ihres Glaubens erwiesen sich die Hugenotten als äußerst fleißig und arbeitsam – egal ob sie nun als Bauern, Handwerker, Gewerbetreibende, Studierte wie Ärzte, Apotheker und Juristen oder Militärs in ihrer neuen Heimat tätig wurden. Die Hugenotten erhöhten die Lebensqualität aller Einwohner durch den Anbau neuer Gemüse wie Spargel, Artischocken oder Reineclauden in der Landwirtschaft,  durch die Verbesserung bisher angebauter Pflanzen wie Blumenkohl, Salat, grüne Bohnen, Spinat, Erbsen, Tabak oder Blumen, durch die Herstellung ihres aus feinerem Mehl gebackenen französischen Brotes oder leckerer Kuchen sowie durch Herstellung von Waffeln mit Creme, Eiern und Früchten.

Die Hugenotten traten in anderen Gewerben durch neue Techniken (Wollmanufakturen) hervor oder verfeinerten bisher gebräuchliche Webereien (Stoffe oder Hüte).

In den Augen der eingesessenen Bevölkerung wurde die Tatsache als angenehm betrachtet, daß die reformierten Gemeinden ihr Kranken-, Armen- und Altenwesen selbst regelten. Auch so etwas wie eine gesellschaftliche Wiedereingliederung von straffällig Gewordenen hat es in den Kolonien gegeben. Witwen und andere Erwerbslose lagen nicht der Armenkasse auf der Tasche, sondern waren bereit, durch Privatunterricht etwas dazu zu verdienen. Da kam ihnen der Umstand zu Hilfe, daß ab 1750 etwa die Hälfte der Schüler am Französischen Gymnasium in der Niederlagewallstraße zu Berlin deutscher Abstammung war. Auf dem Lande wurde sowieso immer weniger Französisch gesprochen, so daß sich hier die Integration der Hugenotten in die einheimische Bevölkerung noch schneller als in den Städten vollzog.

Außerdem schufen die reformierten „Entrepreneurs“ (Unternehmer) Arbeitsplätze. Im Jahre 1765 arbeiteten etwa 2100 deutsche Gesellen, Lehrlinge oder Bedienstete bei Hugenotten in Berlin.

Der Wohlstand der Hugenotten wuchs so sehr, daß schon 100 Jahre nach dem Edikt von Potsdam, in friderizianischer Zeit viele reformierte Prediger den „maßlosen Luxus“ ihrer Gemeindemitglieder anprangerten und die Rückkehr zur sparsamen Lebensweise einforderten. Die veränderte Lebensweise der Hugenotten zeigte sich auch darin, daß in der zweiten und dritten Generation schon 76 Prozent aller Bürger französischer Abstammung in der Hauptstadt wohnten, während in den Jahren des ersten Zuzugs 58 Prozent auf dem Lande gelebt hatten.

Sehr anschaulich gibt der in Danzig geborene Maler, Radierer und Zeichner Daniel Chodowiecki von der gelungenen Integration der Hugenotten in seiner Radierung „Wallfahrt nach Französisch Buchholz“ Kunde. Das nördlich von Berlin gelegene Dorf hatte sich zu einem beliebten Ausflugsort der Berliner entwickelt, denn die dort ansässigen französischen Gärtner bauten nicht nur Gemüse an, das man preiswert direkt vom Erzeuger einkaufen konnte, sondern hatten ihre Gärten auch durch schöne Blumenbeete ansehbar gemacht; die lohnten eine Besichtigung. Chodowiecki hatte durch die Herkunft seiner Ehefrau Jeanne Barez, Tochter eines angesehenen hugenottischen Goldstickers, und durch die Tatsache, daß er das Amt eines Armendiakons in der reformierten Gemeinde in Berlin übernommen hatte, eine enge Beziehung zu dem Dorf. Er gibt mit gehörigem Mutterwitz einen Einblick in Berlinische Lebensgewohnheiten. Chodowiecki portraitiert seine vornehm gekleidete Tochter Susette als gravitätisch in vorderster Linie einherschreitende Anführerin der Prozession. Sie trägt eine Heugabel, auf der fünf Würste und eine Brezel aufgereiht sind. Am linken Arm trägt sie einen Korb mit Baguettes. Der Esel hinter ihr läßt sicher keine Dukaten fallen. Er muß den Sohn Wilhelm mit einer Peitsche und auf seinem (des Esels) Hinterteil den Neffen Daniel tragen, beide schick gekleidet und mit eleganten Hüten ausgestattet. In zwei Körben, mit denen sich der Esel auch noch abschleppen muß, stecken die jüngeren Geschwister Heinrich und Henriette. Auch sie sind – obwohl noch Kinder – nach Art der Erwachsenen modisch gekleidet. Chodowieckis Schwester Nanette trägt einen voluminösen Hut und einen Korb mit drei Flaschen (Champagner?). Seine Tochter Jeanette zelebriert einen vor sich her zu tragenden Topfkuchen. Beide sollten wohl besser auf die Hinterlassenschaft des Esels achten, als so würdevoll einherzuschreiten. Der Violonist ist ein Freund des Hauses mit Namen Kolbe. Das Bild gibt wahrscheinlich den letzten Abschnitt der Reise wieder, denn von der Wohnung Chodowieckis im Haus seiner Schwiegereltern in der Behrenstraße bis zum Dorf Französisch Buchholz waren es 1,5 Meilen (etwa elf Kilometer), was in dem gezeichneten Aufzug nicht zu bewältigen sein dürfte; also ist die Strecke wohl mit der Kutsche zurückgelegt worden.


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