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30.08.08 / »Auf der Suche nach dem moralischen Kitt« / Orientierungslosigkeit: Wer wird moralisch-ethische Wertmaßstäbe setzen, nationale Ethikräte oder das Erbe der christlichen Botschaft?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-08 vom 30. August 2008

»Auf der Suche nach dem moralischen Kitt«
Orientierungslosigkeit: Wer wird moralisch-ethische Wertmaßstäbe setzen, nationale Ethikräte oder das Erbe der christlichen Botschaft?
von Lienhard Schmidt

In einem Interview kurz vor seinem Tode warnte Professor Hans-Georg Gadamer, wir müßten doch eigentlich wissen, daß zum Wissen das Wissen von den Grenzen unseres Wissens gehört. Vor diesem Hintergrund schockiert das Urteil, zu dem Alan Posener im Vorfeld des Weih-nachtsfestes 2007 in der „Welt am Sonntag“ gelangte. Er schrieb, Gott sei kein moralisches Vorbild für die Menschen!

Ostern vergangenen Jahres konnte man noch im „Spiegel“ lesen, daß die Zehn Gebote zum kostbarsten Schatz des kulturellen Gedächtnisses der Menschheit gehören. Wolfgang Ockenfels wies letzten November im Forum der „Welt“ darauf hin, daß uns schon die allgemeine Vernunft die Beachtung der biblisch bezeugten „goldenen Regel“ nahelegt: Was du nicht willst, das man dir tu’, das füg’ auch keinem andern zu. Ockenfels nennt den Dekalog eine „geronnene Menschheitserfahrung“, die für alle verbindlich zu sein verdient und sich damit als Grundlage für ein globales Weltethos eignet.

„Auf der Suche nach dem moralischen Kitt“, so überschrieb Steffen Flath, Bildungsminister in Sachsen, sein Essay über zunehmende Jugendgewalt („Die Welt“, 16. Januar 2008). Er resümiert: Die Individualisierung in allen Teilen der Bevölkerung schreitet unaufhaltsam voran. Unsere Gesellschaft zerfällt. Sie ist sich ihrer gemeinsamen Grundlagen nicht mehr bewußt. Kann es noch überraschen, wenn Papst Benedikt XVI. seine Vorlesung an der Universität La Sapienza in Rom wegen andauernder Studentenproteste absagen mußte? Wo bleibt die von ihrer Gründungsidee zum Wesen der Universität gehörende Verpflichtung zur Autorität der Wahrheit, wo die Bereitschaft zur Toleranz, zum freien Disput?

Nur wenige Sätze aus der inzwischen veröffentlichten Rede des Papstes zeigen, was die Protestler in Rom versäumt haben: „Die Christen der ersten Jahrhunderte haben ihren Glauben nicht als Ausweg unerfüllter Wünsche, sondern als den Durchbruch aus dem Nebel der mythologischen Religion zu dem Gott verstanden, der schöpferische Vernunft und zugleich Vernunft als Liebe ist .... Manches, was von Theologen im Laufe der Geschichte gesagt oder auch von kirchlicher Autorität praktiziert wurde, ist von der Geschichte falsifiziert worden und beschämt uns heute. Aber zugleich gilt, daß die Geschichte der vom christlichen Glauben her gewachsenen Menschlichkeit diesen Glauben in seinem wesentlichen Kern verifiziert und damit auch zu einer Instanz für die öffentliche Vernunft macht ... Die christliche Botschaft sollte von ihrem Ursprung her immer Ermutigung zur Wahrheit und so eine Kraft gegen den Druck von Macht und Interessen sein … Anerkenntnis von Menschenrechten und Menschenwürde sind gewachsen, dafür können wir nur dankbar sein. Aber der Weg des Menschen ist nie einfach zu Ende, und die Gefahr des Absturzes in die Unmenschlichkeit nie gebannt ... die Gefahr der westlichen Welt ist heute, daß der Mensch gerade angesichts der Größe seines Wissens und Könnens vor der Wahrheitsfrage kapituliert. Was bedeutet, daß die Vernunft sich letztlich dem Druck der Interessen und der Frage der Nützlichkeit beugt.“

Alan Posener stützte seine Thesen im wesentlichen auf die im Alten Testament aus der Frühzeit der Herausbildung der ersten monotheistischen Religion stammenden Bilder eines rachsüchtigen und Opfer fordernden Gottes.

Möglich, daß Posener den Gott der Christenheit als moralische Instanz nicht ausgegrenzt hätte, wenn die für La Sapienza gedachte Rede des Papstes ein paar Wochen früher publiziert worden wäre.

Eine Langzeitumfrage des Instituts für Demoskopie in Allensbach stellte schon 1997 fest, daß sich im Verlauf von 25 Jahren ein tiefgehender Wertewandel vollzogen habe. Im Lebensgenuß sahen 68 Prozent der Befragten den Sinn ihres Lebens. 1974 waren es 49 Prozent, damals war noch mehr von Gewissen die Rede, von Religion und Aufgabenerfüllung und gesellschaftlicher Verantwortung. Wer wird in Zukunft moralisch-ethische Wertmaßstäbe setzen, nationale Ethikräte oder das Erbe der christlichen Botschaft?

Die Geschichte sollte uns lehren, der Hybris zu widerstehen, der Versuchung, in grenzenloser Vermessenheit uns selbst zum Maß aller Dinge zu machen.

Altbundeskanzler Helmut Schmidt hat in seiner zu Herzen gehenden Rede am Abend des 20. Juli vor dem Reichstag in Berlin deutlich davor gewarnt, Verführungen zu erliegen, welche die Stimme unseres Gewissens bedrohen.


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