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06.09.08 / »Völker der Welt, schaut auf diese Stadt!« / Vor 60 Jahren hielt Ernst Reuter im belagerten West-Berlin seine denkwürdige Rede – Weichenstellung für die Wende von 1989

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 36-08 vom 06. September 2008

»Völker der Welt, schaut auf diese Stadt!«
Vor 60 Jahren hielt Ernst Reuter im belagerten West-Berlin seine denkwürdige Rede – Weichenstellung für die Wende von 1989

Die Rede Ernst Reuters vor 300.000 Berlinern am 9. September 1948 bildet einen Höhepunkt der Selbstbehauptung der Demokratie gegen den Totalitarismus. Letztlich gab die moralische Stärke den Ausschlag.

Als General Lucius D. Clay, der legendäre „Vater der Luftbrücke“, 1980 hochbetagt mit dem Konrad-Adenauer-Freiheitspreis geehrt werden sollte, verweigerte Berlins Regierender Bürgermeister Dietrich Stobbe barsch das erbetene Grußwort. Stattdessen versuchte seine Senatskanzlei, gemeinsam mit der von Ex-Bürgermeister Willy Brandt geleiteten Bonner SPD-„Baracke“, mit allen möglichen Tricks, diese Preisverleihung im New Yorker „Waldorf Astoria“ zu hintertreiben – offenbar sollten die „Völker der Welt“ nicht mehr darauf schauen, was damals, 32 Jahre zuvor, in „dieser Stadt“ geschehen war. Die tapfere und letztlich erfolgreiche Abwehr kommunistischer Weltherrschaftsgelüste sollte aus dem Gedächtnis verdrängt werden. Denn nichts durfte die Brandt-Bahrsche Ostpolitik stören; „Wandel durch Annäherung“ war zum „Wandel durch Anbiederung“ geraten.

Daß dieses schäbige Spiel, dieses Verdrängen und Verbiegen der eigenen Geschichte, am Ende doch nicht aufgehen sollte, dafür hatte ein Amtsvorgänger von Brandt und Stobbe gesorgt. Ernst Reuter, Regierender Bürgermeister von Berlin von 1948 bis 1954, hielt am 9. September 1948 vor den Ruinen des Reichstags eine Rede, deren Kernsätze bis heute immer wieder zitiert werden. „Ihr Völker der Welt … Schaut auf diese Stadt und erkennt, daß ihr diese Stadt und dieses Volk nicht preisgeben dürft!“

Diese so einfachen und zugleich so beschwörenden Worte wurden – auch ohne Internet und Satelliten-TV – um die Welt getragen, bewegten die Menschen nicht nur in Amerika, England, Frankreich und Italien (diese Länder hatte Reuter namentlich angesprochen). Sie wurden auch auf der anderen Seite vernommen, im sowjet-kommunistischen Machtbereich. Hier säten sie erste Zweifel, ob es wirklich gelingen würde, „diese Stadt“ so einfach auszuhungern und sich dann, getreu der Leninschen Salami-Taktik, Scheibchen um Scheibchen vom noch freien Teil der Welt abzuschneiden und anzueignen.

Auch wenn es noch viele Monate dauern sollte, bis Moskau die Blockade West-Berlins aufgab, und noch Jahrzehnte, bis endlich der Eiserne Vorhang fiel, der Berlin, Deutschland, Europa und die „Völker der Welt“ teilte – es war Ernst Reuter, der mit seiner Rede vom 9. November 1948 die Weichen gestellt hatte.

Wenn wir heute im Rückblick 60 Jahre danach verstehen wollen, wie die Welt von 1948 aussah, im Großen und im Kleinen, ist es hilfreich, Ernst Reuters Rede ganz zu lesen und nicht nur jene wenigen Sätze, die so gern zitiert werden und inzwischen sogar dazu herhalten müssen, die Wahlchancen amerikanischer Präsidentschaftsbewerber zu steigern. (Ob dies gelingt, bleibt abzuwarten.)

„Schaut auf diese Stadt … schaut auf Berlin!“ – das ist an die „Völker der Welt“ gerichtet. Aber die 300000 Berliner, die sich da unter widrigsten Umständen – und ganz ohne Party und Fan-Meile wie jüngst bei Barack Obama – im Herzen der Hauptstadt versammelt haben, für Reuter sind sie nicht nur Kulisse für dramatische Hilfsappelle an alle Welt. Er spricht sie immer wieder direkt an, auch wenn er ihnen nichts Konkretes versprechen konnte.

Die Zukunftsaussichten – heute würde man sagen: Perspektiven – waren düster in diesen Tagen. Das Leben in Berlin war ein täglicher Kampf ums Überleben. Über zwei Millionen West-Berliner waren seit dem 24. Juni von nahezu allen Versorgungswegen abgeschnitten – „technische Schwierigkeiten“ hatten „zu einer Unterbrechung des Eisenbahn- und Straßenverkehrs auf den Transitstrecken geführt“, wie die sowjetisch kontrollierte Zonen-Presse es zynisch formulierte.

Der politische Hintergrund war jedem klar: Mit der Währungsreform in den drei Westzonen Deutschlands hatte Moskau einsehen müssen, daß es kurz- und mittelfristig seinen Machtbereich nicht über die Grenze der eigenen Besatzungszone würde ausweiten können. Greifbar schienen lediglich die drei Westsektoren der geteilten Hauptstadt. Und die wollte man sich holen, freilich nicht mit militärischen Mitteln, sondern auf dem „klassischen“ Wege der Belagerung.

Die 300000 Berliner, die am 9. September dem Ruf ihres Bürgermeisters gefolgt waren, wußten seit zehn Wochen wieder, was Hunger ist. Hinzu kam die Angst vor frostigen Zeiten, falls die Blockade den Winter über andauern sollte (was ja auch der Fall war). Aber sie wußten auch, wie man Hunger, Kälte und andere Nöte überwinden kann. Das wollten sie an diesem denkwürdigen Tag den „Völkern der Welt“ zeigen. Ernst Reuter fand auch dafür die richtigen Worte: „Wir haben unsere Pflicht getan, und wir werden unsere Pflicht weiter tun.“ Damit nahm er die „Völker der Welt“ in die Pflicht: „Tut auch ihr eure Pflicht!“

In dieser Passage zeigt sich die wahre Größe seiner Rede: „Helft uns … nicht nur mit dem Dröhnen eurer Flugzeuge, … sondern mit dem standhaften Einstehen für die gemeinsamen Ideale, die allein unsere und auch eure Zukunft sichern können.“ Es war die Vision vom „Tag der Freiheit“, mit der er seinen Berlinern und „Dem Deutschen Volke“ – dies stand, in Stein gehauen, über der Versammlung vor dem Reichstag – Kraft gab. Die Kraft dieser Vision, die Gewißheit: „Diesen Kampf, den werden wir gewinnen!“ – das war auch eine Kampfansage an das Motto des kommunistischen Schriftstellers Bert Brecht „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“. In einer belagerten Stadt standzuhalten, das schafften die Berliner mit Hilfe der westalliierten Rosinenbomber, vor allem aber aus eigener Kraft. Doch sie wußten auch, daß Überleben mehr ist als Sattwerden. Und so konnte ihr Bürgermeister Ernst Reuter den „Völkern der Welt“ diese Botschaft vermitteln: Als erstes kommt eben doch die Moral – schaut auf Berlin! Hans-Jürgen Mahlitz

Foto: Dramatischer Appell an die Welt: Berlins Bürgermeister Ernst Reuter (SPD) bei seiner historischen Rede am 9. September 1948


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