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13.09.08 / »Ich plädiere für ein Bundesland Preußen« / Der Europapolitiker Ingo Friedrich über historische Reparaturarbeiten und das Eingreifen Gottes in die Tagespolitik

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 37-08 vom 13. September 2008

»Ich plädiere für ein Bundesland Preußen«
Der Europapolitiker Ingo Friedrich über historische Reparaturarbeiten und das Eingreifen Gottes in die Tagespolitik

Vom Kaukasus-Konflikt über den Verfassungsprozeßbis zur Werte-Basis der EU: Dr. Ingo Friedrich, seit 1979 Abgeordneter und seit 2007 Quästor im Europäischen Parlament, gibt im Interview mit Konrad Badenheuer einen Rundblick über aktuelle Fragen der Europapolitik.

PAZ: Der Spätsommer 2008 stand im Zeichen des Kaukasus-Konfliktes. Wie bewerten Sie die Rolle Europas dabei?

Friedrich: Entgegen der vielfach geäußerten Kritik glaube ich, daß die EU hier sehr gute Arbeit geleistet hat – vom Sechs-Punkte-Plan Sarkozys mit Saakaschwili im August bis zum Sondergipfel Anfang September. Die EU war handlungsfähig, während die USA durch den Wahlkampf gelähmt waren und auch die Uno nicht so schnell handeln konnte.

PAZ: Moskau hat auf die Gipfelbeschlüsse positiv reagiert und auch aus Washington kam Lob …

Friedrich: … was bestätigt, daß sich die EU erstmals als eigenständige Kraft in einem großen internationalen Konflikt etabliert hat, gleichsam als „Global Player“ im Wortsinne.

PAZ: Wie geht es mittel- und langfristig weiter in den Beziehungen mit Rußland?

Friedrich: Ich setze hier auf einen langfristigen Lernprozeß in Moskau, bei dem verstanden wird, daß militärische Macht nicht mehr gewinnbringend einseitig eingesetzt werden kann. Moskau hat nun zwar zwei Provinzen besetzt, aber was war der Preis? Rußland hat viel von seinem Ansehen als verläßliche und stabilisierende Kraft im internationalen Miteinander verspielt. Aber die Attraktivität eines Landes auf der internationalen Bühne ist heute – anders als zu Zeiten des Kalten Krieges – ein ganz wesentlicher Faktor.

PAZ: Anderswo werden heute alte nationale Konflikte überwunden. Während wir miteinander reden, werden in Oberschlesien …

Friedrich: … die ersten zweisprachigen Ortsschilder enthüllt! Der Vorgang ist mir sehr wichtig. Das ist ein überaus begrüßenswerter Schritt, der für alle in Europa ein Vorbild sein sollte. Es geht dabei um mehr als nur um den Minderheitenschutz, es geht auch um den Umgang mit der Vergangenheit, weil ja gerade in Oberschlesien die Deutschen erst durch Flucht und Vertreibung zur Minderheit geworden sind. Wer nicht weiß, woher er kommt, weiß auch nicht wohin er geht. Die zweisprachigen Ortsschilder sind ein Stück historische Wiedergutmachung. Solche Schritte tragen zur Heilung der Seelen ganzer Volksgruppen und Völker bei. Mit den zweisprachigen Ortsschildern verlieren die Grenzen noch mehr als bisher ihren trennenden Charakter, und alte Konflikte werden entschärft, Verletzungen heilen. Ähnliches ist in Südtirol und im Elsaß gelungen.

PAZ: Gibt es auch aktuelle Beispiele?

Friedrich: Ein aktuelles und leuchtendes Beispiel ist Irland. Dort hat die Kombination von Grenzöffnung und Minderheitenschutz eine deutliche Befriedung ermöglicht.

PAZ: Nord- und Südirland sind aber doch schon seit über 30 Jahren zusammen in der EG/EU?!

Friedrich: Dennoch war die Grenze noch vor fünf Jahren sehr undurchlässig. Dieser Konflikt war auf beiden Seiten tief eingefahren, wenn ich etwa daran denke, daß der Protestantenführer Ian Paisley noch vor fünf Jahren im Europäischen Parlament den Papst als Antichristen bezeichnet hat. Hier hat auch der steigende Wohlstand zur Entspannung beigetragen, der aber seinerseits zum großen Teil eine Frucht der Kooperation ist.

PAZ: Wie geht es weiter im Verfassungsprozeß?

Friedrich: Wir erwarten, daß 26 von 27 EU-Ländern den Vertrag von Lissabon ratifizieren, und Irland dann selbst eine Lösung findet. Eine Möglichkeit wäre, daß das irische Parlament Teile der Vereinbarung auf den Weg bringt, was trotz des Referendums möglich wäre, weil Lissabon ja keine Verfassung ist. Die Alternative wäre ein zweites Referendum zu gegebener Zeit. Falls das Ergebnis wieder ein Nein wäre, müßte die Folge in der Tat eine Veränderung des Status von Irland innerhalb der EU sein – unterhalb der Schwelle von Austritt oder Ausschluß. Diese Statusveränderung müßte vorher geklärt und bekanntgemacht werden, damit die Menschen wissen, worüber sie überhaupt abstimmen.

PAZ: Das war bei der letzten Abstimmung nicht klar?

Friedrich: In der Tat – und zwar in einem doppelten Sinne. Niemand wußte, was die Folge eines „Nein“ wäre. Und viele Iren wußten nicht, was in dem Vertragswerk steht, das ja mehrere Hundert Seiten umfaßt. Laut Umfragen war das sogar der Hauptgrund derer, die mit Nein gestimmt haben.

PAZ: Stichwort „Statusveränderung“. Könnte eine „abgespeckte“ Mitgliedschaft eine Option für das eine oder andere beitrittswillige Land in Osteuropa sein?

Friedrich: Wir arbeiten an solchen Modellen, die man „EWR plus“ oder „Vollmitgliedschaft minus“ nennen könnte oder auch „maßgeschneiderte Partnerschaft“. Denn es gibt eine Reihe von Ländern, von der Ukraine über Montenegro und Serbien bis hin zur Türkei und eventuell auch Georgien oder Armenien, die zum Teil europäisch sind und die wir  – mit oder ohne die langfristige Perspektive der Vollmitgliedschaft – aus guten Gründen näher an die EU heranführen wollen. Aber vorerst kann die EU eben keine neuen Vollmitglieder aufnehmen, mit der einen Ausnahme Kroatiens, das längst hätte aufgenommen werden sollen.

PAZ: Immer wieder wird nach den geistigen Grundlagen der EU gefragt. Der Gottesbezug konnte nicht in den Verfassungsvertrag hineingebracht werden, aber die Fahne mit dem Sternenkranz gilt als religiöses Symbol ...

Friedrich: Da gab es im Jahre 1983 eine Art List der Geschichte oder wenn Sie so wollen ein geheimnisvolles Eingreifen Gottes in die Niederungen der Tagespolitik.

PAZ: Wie das?

Friedrich: Es gab damals nicht weniger als vier Fahnen Europas: Das grüne E der Europa-Bewegung, das halbrunde E der Kommission, ein Wappen des Parlaments mit Lorbeerkranz und dazu eben den goldenen Sternekranz auf blauem Grund, der damals aber nur das Symbol des Europarates war. Als ein aus der Wirtschaft kommender Europapolitiker wollte ich 1979 durch die Konzentration auf nur noch eine Fahne die „corporate identity“ der damaligen EG stärken. Von den vier vorhandenen Symbolen gefiel mir der Sternenkranz am besten, also habe ich eine Mehrheit dafür gesucht und dann 1983 auch gefunden. Daß diese Fahne auch einen religiösen Inhalt hat, habe ich erst viel später erfahren, als sie offiziell am Gebäude der Europäischen Kommission gehißt wurde.

PAZ: Wer hat es Ihnen eröffnet?

Friedrich: Otto v. Habsburg erklärte mir augenzwinkernd, daß ich als in solchen Dingen ahnungsloser Protestant wohl gar nicht wüßte, daß ich ein marianisches Symbol zur Fahne Europas gemacht hätte. Die „Frau mit dem Sternenkranz“ im 12. Kapitel der Offenbarung des Johannes wird in der christlichen Tradition mit Maria identifiziert. Tatsächlich soll der Künstler, der im Jahre 1953 diese Fahne für den Europarat entwarf, von einer Marienstatue im Straßburger Münster mit zwölf goldenen Sternen vor blauem Hintergrund inspiriert worden sein. Ganz sicher wird sich das wohl nicht mehr klären lassen, weil verschiedene Versionen über den Ursprung dieser Fahne kursieren.

PAZ: Wenn wir bei den Anekdoten sind: Der damalige Präsident des Europäischen Parlaments, Pat Cox, hat im Jahre 2003 die Sudetendeutschen mit einer warmherzigen Video-Grußbotschaft zu ihrem Pfingsttreffen überrascht. Sie waren damals Vizepräsident. Haben Sie das auch mit verursacht?

Friedrich: Hier ist mein Beitrag geringer. Die Idee geht wohl auf Bernd Posselt zurück; aber bevor er letztlich zusagte, hat Cox mich gefragt, ob das eine gute Idee sei. Ich habe ihn nachdrücklich zu dieser sicher überraschenden Geste ermutigt, und er hat es nach eigenem Bekunden nicht bereut.

PAZ: Wird Ihrer Ansicht nach das kulturelle und politische Erbe Preußens genug wahrgenommen und anerkannt?

Friedrich: Eindeutig nein. Die Bedeutung Preußens für Deutschland und Europa wird bei weitem unterschätzt. Tugenden wie Gemeinsinn, Unbestechlichkeit, Klarheit der eigenen Position, Sparsamkeit und Toleranz sind auch heute noch grundlegend. Um dieses unverzichtbare Erbe Preußens stärker ins Bewußtsein zu heben, plädiere ich für ein Bundesland Preußen, das mit der nach wie vor sinnvollen Vereinigung von Berlin und Brandenburg entstehen könnte. Der Name Brandenburg könnte auf der Ebene der Regierungsbezirke weiterleben.

PAZ: Stehen dem nicht alliierte Beschlüsse entgegen?

Friedrich: Das Kontrollratsgesetz zur Auflösung Preußens vom 25. Februar 1947 müßte das vereinte und souveräne Deutschland wohl nicht mehr binden, es sollte sich jedenfalls durch Verhandlungen als Hindernis für ein solches Bundesland aus der Welt schaffen lassen. Wir haben ja auch in anderen Bereichen seit dem Zweiten Weltkrieg immense „Reparaturarbeiten“ leisten müssen und erfolgreich geleistet – von der Rückkehr Deutschlands in die internationale Gemeinschaft bis zur Wiedervereinigung. Wenn es einen Weg für ein Bundesland Preußen gäbe, wäre das jedenfalls der historischen Leistung und Bedeutung Preußens nur angemessen.

PAZ: Hat diese Sympathie des fränkischen Bayern Friedrich für Preußen einen biographischen Hintergrund?

Friedrich: Meine Familie stammt ursprünglich aus Schwaben und Pommern, lebte dann aber rund 100 Jahre lang in Wolhynien. In den frühen vierziger Jahren wurden meine Eltern nach Kutno im damaligen „Reichsgau Wartheland“, der früheren preußischen Provinz Posen umgesiedelt, wo ich 1942 auf die Welt kam.

PAZ: Dann wurde auch Ihre Familie vertrieben?

Friedrich: Mein Vater war noch im Krieg, meine Mutter kam Ende Januar 1945 gerade noch rechtzeitig mit einem der letzten Züge heraus.

PAZ: Herr Friedrich, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

 

Dr. Ingo Friedrich ist Wirtschafts- und Europapolitiker, Mitglied im Präsidium des Europäischen Parlaments und stellvertretender CSU-Vorsitzender.

Foto: Denkwürdiger Tag: Landrat Adam Hajuk (r.) und der Gemeinde-Vorsitzende Alojzy Pieruszka enthüllen am 4. September 2008 eines der ersten zweisprachigen Ortsschilder in der Republik Polen.


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