18.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
13.09.08 / Die »Kunst«, am Volk vorbeizuregieren / Eine Demokratie braucht mündige Bürger, doch die werden immer mehr zur aussterbenden Gattung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 37-08 vom 13. September 2008

Die »Kunst«, am Volk vorbeizuregieren
Eine Demokratie braucht mündige Bürger, doch die werden immer mehr zur aussterbenden Gattung

Es ist Zeit, Europa neu zu denken – dieses Resumée zog ein bekannter Kolumnist nach Irlands Nein zum Vertrag von Lissabon. Er stellte in diesem Zusammenhang auch die Frage, ob es Europa wirklich nütze, wenn der Rat der Regierungschefs, also die Exekutivgewalt, selbst bestimmen darf, welche Zuständigkeiten er sich anmaßt. „Selbstermächtigung tut keiner Regierung gut.“ Soweit das Zitat, das uns zu einem Phänomen führt, das auch für das Verhalten eines leider viel zu großen Teils der politischen Entscheidungsträger in der Bundesrepublik Deutschland typisch geworden ist: Die Kunst, am Volk vorbei zu regieren.

Formell ist natürlich alles in Ordnung, freie Wahlen, die es dem Parlament ermöglichen, eine mehrheitsgestützte Regierung einzusetzen. Die Judikative achtet darauf, daß Exekutive wie Legislative die Regeln der Verfassung beachten, gegebenenfalls hilft der Bundespräsident noch etwas nach. So weit so gut.

Für den Wähler wird aber die Beurteilung dessen, was an die Regierungsmacht gelangte Parteien wirklich leisten (vor dem Hintergrund der Ziele, die sie vor der Wahl verkündet haben), laufend schwieriger. Zum einen entfernen sich – vorneweg die ehemals großen Volksparteien – von ihren Grundsätzen und passen sich zeitgeistlichen Trends an, einem Gemisch aus Emotionen, oft utopischen Träumereien oder Rückfällen in Restbestände gescheiterter Ideologien. Zum anderen bewirkt das derzeit erkennbare Fünf-Parteien-System in Verbindung mit dem Absacken der alten Volksparteien, daß Regierungsbildung nur noch in Koalitionen, möglicherweise zwischen drei Parteien möglich ist.

Das Gemisch aus Kompromissen, was eine solche Regierung dann auszeichnet, macht es dem Wahlvolk noch schwerer, festzustellen, was die von ihm gewählte Partei aus ihrem Wahlprogramm hat realisieren können. Daraus wächst eine Mentalität, die zu nachhaltigem Politikverdruß führen und bei Erreichen der Schmerzgrenze zu radikalen Reaktionen neigen kann.

Vorerst signalisiert uns die wachsende Zahl der Nichtwähler Unzufriedenheit mit der Qualität der Leistungen politischer Parteien. Bei Europa-, Landtags- und Kommunalwahlen sind die Nichtwähler meist schon die stärkste „Partei“. Kritische Kommentatoren sprechen häufiger von der Verwaltungsmentalität der politischen Klasse, die sich ja in der Tat in der Häufung von Vorschriften, Regeln und Gesetzen widerspiegelt. Entbürokratisierung ist zwar in Sonntagsreden ein Beifall sichernder Dauerbrenner. Die Praxis ist aber, von wenigen Ausnahmen abgesehen, von weiterer Gängelei gekennzeichnet.

Die Daseinsberechtigung von „Staat“ degeneriert zur Organisation eines Ameisenhaufens, wenn seine Legitimation nicht mehr auf dem Leitsatz: „Soviel Staat wie nötig“ beruht, sondern dem Motto folgt: „Soviel Staat wie möglich.“ Gewaltenteilung wird dann rasch zu einer Farce und der mündige Bürger zum Freiwild.

Mit Lemmingen ist aber keine freiheitliche Demokratie zu machen, sie bedarf verantwortungsbewußter mündiger Bürger, die auf allen Ebenen der Gesellschaft ihre Ansichten deutlich machen, ob politisch korrekt oder auch einmal gegen den Strom geschwommen, nicht medial oder sonstwie „gesteuert“, freie Meinung sachlich fundiert, Volkes Stimme auf Qualitätsstufe 1.

Für bestimmte Fischsorten, für Eisbären, Vogelarten, Pflanzen und vieles mehr ist die moderne Gesellschaft um Artenschutz bemüht. Mündige Bürger sind in unserem Lande zwar das Salz einer Demokratie, werden aber zur aussterbenden Gattung, wenn demokratiefeindliche Zeitgeistlawinen nicht gebändigt werden. Persönlichkeits- statt Listenwahl und Mehrheits- statt Verhältniswahlrecht könnten doch Wege eröffnen, welche die Beurteilung der Qualität politischer Tätigkeit wesentlich erleichtern. Wer wirklich gut ist, muß sich ja nicht fürchten.         Lienhard Schmidt


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren