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13.09.08 / Osteuropa zu Fuß / Engländer wanderten von Danzig nach Istanbul

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 37-08 vom 13. September 2008

Osteuropa zu Fuß
Engländer wanderten von Danzig nach Istanbul

Anfang 1990, als in Osteuropa die Zeit des großen Wandels angebrochen war, fuhren drei junge Engländer mit einem polnischen Schiff nach Danzig. Dort brachen sie zu einer 3000 Kilometer lange Wanderung auf, die sie zunächst durch den Westteil des polnischen Ostpreußens führte, dann weiter durch die Slowakei, Ungarn, Siebenbürgen und Bulgarien bis nach Istanbul. Jason Goodwin, Orientalist und seinerzeit Initiator der Unternehmung, veröffentlichte 1993 in England ein Buch über diese ungewöhnliche Fußreise. Zehn Jahre später erschien eine überarbeitete Ausgabe, und erst jetzt wurde eine deutsche Übersetzung aufgelegt, die den Titel trägt „Von Danzig bis nach Istanbul – Zu Fuß durch das alte Europa“. Ein volles halbes Jahr waren die beiden Männer und die jungen Frau seinerzeit abseits der großen Verkehrswege unterwegs, wobei sie zur Orientierung lediglich über eine alte Wehrmachtskarte verfügten. Einige Abstecher in nahegelegene Städte wurden unternommen. Unterwegs trafen sie freundliche und abweisende Menschen, wurden beschenkt und betrogen. Diese Erlebnisse werden unterhaltsam und humorvoll geschildert.

In Polen erregten sie Mißtrauen bei den Bauern, die sie um Erlaubnis zur Übernachtung in einer Scheune baten, wenn sie von ihren Plänen berichteten; daher fingen sie an zu behaupten, sie wären auf dem Weg zur Pilgerstadt Tschenstochau.

Doch warum ist die deutsche Version dieser Reiseerzählung jetzt erst auf den Büchermarkt gelangt? Die Antwort liegt auf der Hand: Wanderbücher sind seit Hape Kerkelings „Ich bin dann mal weg – Meine Reise auf dem Jakobsweg“ gefragt.

Die Tatsache, daß Osteuropa längst in ein neues Zeitalter eingetreten ist, schmälert den Reiz von „Von Danzig bis nach Istanbul“. Seit der Zeit des großen Umbruchs hat sich natürlich jegliche Aktualität längst in Luft aufgelöst. Diesem Umstand hat der Autor, außer im Vorwort, nicht erkennbar Rechnung getragen. In bestimmten Passagen hätte ein neuer Blickwinkel dazu beigetragen, beispielhaft die inzwischen eingetretenen kulturellen und naturräumlichen Veränderungen zu erläutern. Temporeich ist die Erzählung jedoch allemal, ganz im Gegensatz zum freiwillig gewählten Fortbewegungsmittel der drei Engländer, die die restlichen 1200 Kilometer ab Eger nur noch zu zweit zurücklegten. Mark, der junge Künstler, hatte offenbar von Anfang an den Vorsatz gehabt, die berüchtigte Region Siebenbürgen zu meiden, vor der sie gewarnt worden waren.

Genau an dieser Stelle, an der ungarisch-rumänischen Grenze, verdichtet sich die Erzählung. So erfährt der Leser ungleich mehr über den habsburgischen Kulturraum als über Ostpreußen und Polen. Ein Streifzug durch die Geschichte erklärt die historisch-politischen Hintergründe der Tatsache, daß es in Osteuropa nach dem Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Monarchie immer Menschen gegeben hat, „die auf der falschen Seite der Grenze saßen: Deutsche im plötzlich tschechischen Sudetenland; Russen und Ukrainer in Polen; Ungarn in der neu proklamierten Slowakei, Ungarn in Rumänien, Ungarn in Serbien, Ungarn in Kroatien“. Immer wieder waren die Reisenden unterwegs auf deutsche Spuren gestoßen; in Siebenbürgen trafen sie auch die letzten deutschen Zeitzeugen. Goodwin stellt fest, daß dort das Ende einer fast 700jährigen Geschichte absehbar ist, „wenn auch die letzten Alten und Kranken – ‚wir, die geblieben sind‘ – nicht mehr leben“. In Schäßburg, „wo vor drei Jahren ein Labyrinth aus Straßen mit Bürgerhäusern, alten Schenken und Höfen, aus Kutscheneinfahrten und engen Sträßchen, die sich nach oben hin verjüngten, gewesen war, lag jetzt eine breite Fläche aus Schutt, geborstenem Fachwerk und Steinen. Für die Unterstadt war Ceausescus Tod zu spät gekommen“. Nicht nur an diesem Ort hielt das vom Ceausescu-Regime befreite Rumänien manch tiefen Schluck aus der „dunklen Flasche der Depression“ für Jason und Kate bereit. D. Jestrzemski

Jason Goodwin: „Von Danzig bis nach Istanbul – Zu Fuß durch das alte Europa“, Piper, München 2008, geb., 388 Seiten, 22,90 Euro


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