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13.09.08 / Zensur bei Literatur / SED überzog Autoren mit Verboten und Streichungen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 37-08 vom 13. September 2008

Zensur bei Literatur
SED überzog Autoren mit Verboten und Streichungen

Der 1933 geborene Journalist Klaus Höpcke war von 1973 bis 1989 Leiter der „Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel“ im DDR-Kulturministerium und somit als höchster Zensurbeamter seines Staates letztendlich verantwortlich dafür, ob ein eingereichtes Manu-skript die vom Verfasser ersehnte „Druckgenehmigung“ erhielt oder nicht. Über diese schier unbeschreiblichen Vorgänge freilich, wie mit Gutachten und Gegengutachten seit 1946 („Kultureller Beirat für das Verlagswesen“) und dann seit 1951 („Amt für Literatur und Verlagswesen“) bis zum Untergang des SED-Staats 1989 Zensur ausgeübt wurde, wird man auch in der bisher letzten Auflage (1996) der „Kleinen Literaturgeschichte der DDR“ des Bremer Germanisten Wolfgang Emmerich kaum etwas finden. Schließlich waren diese „gigantischen Archivbestände“ im ehemaligen Ministerium am Berliner Molkenmarkt erst in den Jahren nach 2000 erschlossen worden. Für die inzwischen verstorbene Germanistin Simone Barck (1944–2007) und den Leipziger Professor für Medienwissenschaft Siegfried Lokatis (1959), die beiden Autoren des vorliegenden Buches „Zensurspiele – Heimliche Literaturgeschichten aus der DDR“, aber wurde der unsägliche Nachlaß der 1963 gegründeten „Hauptverwaltung“ zur unerschöpflichen Fundgrube einer Politik zur Verhinderung von Literatur.

Veröffentlicht wurden diese 107 Beiträge als Kolumnen der „Berliner Zeitung“, dem ehemaligen SED-Bezirksorgan, und liegen nun in Buchform vor. Die Sachkenntnis der beiden Autoren, auch die des aus Bochum stammenden Professors, ist frappierend. Sie kennen Namen und Aufgabengebiete von Zensoren und politisch-ideologische Vorgänge bis in die feinsten Verästelungen, und ihre Veröffentlichungen weisen sie als intime Kenner der DDR-Geschichte aus. Für den Leser, der oft, wenn er die hanebüchenen Bewertungen von Literatur liest, nur in brüllendes Gelächter ausbrechen kann, sind die 296 Seiten eine höchst vergnügliche bis spannende Lektüre, eine DDR-Literaturgeschichte, gegen den Strich gebürstet.

Dabei ist der Literaturbegriff weit gefaßt, auch Sachbücher aus allen Lebensbereichen wie Reiseführer, Koch- und Tierbücher sind einbezogen, gezeigt wird auch, wie die Zensurpraxis rück-wirkend auf Werke des so hochgerühmten „progressiven Erbes“, beispielsweise die Bücher Kurt Tucholskys (1890–1935), angewandt wurde.

Allein die Begriffe „Begutachtung“ und „Druckgenehmigungsverfahren“, die für die sozialistische Zensurpraxis verwendet wurden, zeigen, wie schamlos und nur kümmerlich getarnt man das weiterführte, was in den deutschen Kleinstaaten im 18. / 19. Jahrhundert bis ins Königreich Preußen zur Hochform aufgelaufen war, vom „Dritten Reich“ ganz zu schweigen. So war der westdeutsche Journalist Paul Distelbarth (1879–1963) von der „Heilbronner Stimme“, kein Kommunist, aber ein linker Protestant, im Mai 1953 sympathisierend durch die Sowjetunion gereist und hatte dann seinen unkritischen Reisebericht „Rußland heute“ im Rowohlt-Verlag veröffentlicht.

Sein Ost-Berliner Reisegefährte Günter Wirth vom DDR-CDU-Vorstand wollte dieses Buch in einem DDR-Verlag unterbringen, wo es aber drei Jahre mit immer neuen Verdikten liegen blieb, zuletzt gab es 117 „negative und dubiöse Stellen“.

Schließlich erschien das Buch 1956, stark zensiert als „Rußland – Bericht einer Reise“ und „nur für den CDU-internen Vertrieb zugelassen.“

Selbst der längst verstorbene Aufklärer Denis Diderot (1713–1784) aus Frankreich blieb mit seinem Schlüsselroman „Die geschwätzigen Kleinode“ (1748) von kleinlicher Kritik nicht verschont. Die 1965 eingereichte Übersetzung des Romanisten Manfred Naumann blieb bis 1976 liegen. Wo man auch nachschaut in diesem Buch: Verbote, Streichungen, Umschreibungen.             Jörg Bilke

Simone Barck / Siegfried Lokatis „Zensurspiele – Heimliche Literaturgeschichten aus der DDR“, Mitteldeutscher Verlag, Halle 2008, 296 Seiten, 20 Euro


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