19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
20.09.08 / Viele Fragezeichen in Österreich / Die Nationalratswahl am 28. September könnte »italienische Verhältnisse« bringen – Vielfalt von Parteien

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-08 vom 20. September 2008

Viele Fragezeichen in Österreich
Die Nationalratswahl am 28. September könnte »italienische Verhältnisse« bringen – Vielfalt von Parteien

Die Wahl am 28. September 2008 setzt der Gesetzgebungsperiode bereits zur Halbzeit ein vorzeitiges Ende. Das Pikante: Die seit Januar 2007 amtierende SPÖ-ÖVP-Koalition hatte erst im Vorjahr eine Verlängerung der Wahlperiode von vier auf fünf Jahre beschlossen – mit dem Argument der Kostenersparnis.

Aus eben diesen Kostenerwägungen werden vorgezogene Neuwahlen von den Österreichern wenig geschätzt: Als 1995 der damalige ÖVP-Chef und Vizekanzler Wolfgang Schüssel bereits nach einem Jahr die Koalition mit der SPÖ platzen ließ, wurde die ÖVP dafür kräftig abgestraft. Daß Schüssel 2002 – nun als Bundeskanzler und in Koalition mit der mandatsgleichen FPÖ – dasselbe Spiel nochmals wagte, führte ebenfalls zur Schwächung der Regierungsfraktionen. Die ÖVP errang zwar einen grandiosen Sieg, doch der ging zu Lasten des Partners. Bezogen auf den Wählerwillen wurde die Koalition spätestens 2005 zur Minderheitsregierung, als sich die FPÖ-Minister und die meisten FPÖ-Abgeordneten als „Bündnis Zukunft Österreich“ (BZÖ) absetzten und die FPÖ-Basis auf den Schulden sitzen ließen.

Auch ÖVP-Chef Wilhelm Molterer, zugleich Vizekanzler und Finanzminister, dürfte sich verrechnet haben, als er sich – verlockt von Meinungsumfragen oder inspiriert von Schüssel – im Juli von der SPÖ verabschiedete. Die von ihrer Führungskrise angeschlagenen Sozialdemokraten haben sich nämlich erholt und liegen in Umfragen vor der ÖVP. Verkehrsminister Werner Feymann, der Kanzler Alfred Gusenbauer als SPÖ-Chef ablöste, hat zudem im Herausgeber der „Kronen-Zeitung“ Hans Dichand einen mächtigen Verbündeten. Dieses Boulevard-Blatt hat bezogen auf die Bevölkerungszahl die mit Abstand größte Verbreitung weltweit – und wehe dem, der ins Schußfeld von „Onkel Hans“ gerät.

Die Prognosen sind diesmal besonders schwierig, denn die Zahl der wahlwerbenden Gruppen ebenso wie derer, die Chancen auf den Einzug ins Parlament haben, ist so groß wie nie zuvor. Sicher läßt sich sagen, daß SPÖ und ÖVP zusammen so viele Mandate einbüßen werden, daß sich keine gemeinsame Zweidrittelmehrheit mehr ausgeht. Verfassungsänderungen – etwa zur Einführung eines Mehrheitswahlrechts – würden daher künftig die Zustimmung von mindestens drei, wenn nicht vier Fraktionen erfordern und wären damit praktisch unmöglich.

Als sicher gilt, daß die FPÖ unter Parteiobmann Heinz-Christian Strache mit 15 bis 20 Prozent der Stimmen den dritten Platz erreicht. Daß die Spanne so unbestimmt ist, liegt an der Überschneidung mit dem BZÖ. Das BZÖ, bei dem Haider auch formal wieder die Führung übernommen hat, dürfte den Einzug ins Parlament schaffen – entweder durch Überspringen der Vier-Prozent-Hürde oder durch ein Grundmandat in Kärnten.

Die Grünen dürften eher verlieren, und das liegt nicht zuletzt am Wiederantreten des Liberalen Forums (LIF), das bei Zuwanderung, Homo-Ehe und ähnlichen Fragen meist die gleichen (linken) Anliegen hat. Das LIF, das sich 1993 unter Heide Schmidt (Haiders einstiger Stellvertreterin) mit tatkräftiger Hilfe der SPÖ von der FPÖ abspaltete und seit 1999 kein Mandat mehr erreicht hat, könnte diesmal wieder Chancen haben: Dank einem anderen Kuriosum, denn finanziert wird dieses ziemlich linke Forum vom Bauunternehmer Haselsteiner, der in seinen Konzern Strabag den russischen Oligarchen Oleg Deripaska als gleichberechtigten Partner aufgenommen hat.

Nicht ganz auszuschließen ist, daß auch der Tiroler Querkopf und ÖVP-Dissident Fritz Dinkhauser mit seiner Liste ins Parlament einzieht. Die KPÖ wird hingegen wie seit 1959 leer ausgehen. Kaum abschätzbar ist, wieviele Stimmen die Kleinparteien und sonstigen Splittergruppen der SPÖ, der ÖVP und den Grünen wegnehmen werden und wie sehr sich die Politikverdrossenheit auf die Wahlbeteiligung auswirkt. Erstmals sind schon 16jährige wahlberechtigt.

Die Politikverdrossenheit wird durch die Entwicklungen seit dem Neuwahlbeschluß noch verstärkt: SPÖ und ÖVP fanden bei einigen Fragen wieder zusammen, suchen bei anderen aber getrennt die Unterstützung der bisherigen Oppositionsparteien. In der vorletzten Parlamentssitzung brachten die fünf Parteien getrennt insgesamt 50 Anträge ein, die alle mit der Teuerungsrate zu tun haben und leicht als „Wahlzuckerln“ durchschaubar sind. Abgestimmt wird darüber am 24. September, vier Tage vor den Wahlen...        Richard G. Kerschhofer


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren