24.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
20.09.08 / Durch Chaos und Tod / Ostpreußin erinnert an Flucht und Vertreibung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-08 vom 20. September 2008

Durch Chaos und Tod
Ostpreußin erinnert an Flucht und Vertreibung

Sie hat es nicht immer leicht gehabt in ihrem Leben: Helga Martin, die in Habichtswald-Dörnberg vor den Toren Kassels ihr Zuhause gefunden hat, berichtet in ihrem kürzlich erschienen Buch „Frühes Ende einer Kindheit“ über ihre Heimat Ostpreußen, den Zweiten Weltkrieg und die anschließende Flucht ihrer Familie.

Der erste Abschnitt ihres Zeitzeugenberichts liest sich wie Astrid Lindgrens „Kinder aus Bullerbü“: Der Gutshof ihrer Eltern wird von einer weitläufigen Familie bewirtschaftet und die kleine Hella verbringt eine unbeschwerte Zeit. Vor den Augen des Lesers entsteht ein romantisch-rustikales Bild von Ostpreußen – einem Land, in dem hart gearbeitet aber auch fröhlich gefeiert wurde.

Doch die Stimmung trübt sich rasch ein und die Schrecken des Krieges werfen ihre Schatten voraus. Als der Vater im August 1939 eingezogen wird, ahnt noch niemand, daß dies der Anfang eines Endes mit Schrecken werden würde. Während die Älteren noch davon sprechen, wie „der Russe“ im Ersten Weltkrieg ins Land kam und später wieder abzog, muß Helgas Familie zunächst auf ihrem Hof ausharren. Inzwischen rückt die Rote Armee immer näher und als sie schließlich doch noch in die Hauptstadt Königsberg fliehen können, müssen sie sich ihren Weg durch Chaos und Tod bahnen.

Nach Ende der Kämpfe in Ostpreußen kehrt Helgas Mutter als Kriegerwitwe mit den drei kleinen Kindern unter abenteuerlichen Umständen zurück nach Hause. Während sie das Gehöft – das nun zu einer Kolchose gehört – mehr schlecht als recht weiter bewirtschaften können, beginnen sie sich mit den neuen Machthabern aus der Sowjetunion zu arrangieren. In diesem Abschnitt geht Helga Martin über die gängigen Schwarz-Weiß-Schemata hinaus, wenn sie über hilfsbereite und freundliche Menschen russischer wie deutscher Nationalität schreibt. Es sind die kleinen Dinge, an denen sie in jener schwierigen Zeit Freude zu finden lernt.

Als sie mit der von Zwangsarbeit und Krankheit geschwächten Mutter und ihren beiden kleinen Geschwistern schließlich in die damalige Sowjetische Besatzungszone ausreisen darf, erscheint ihr das nicht wie eine Befreiung: In einem fremden Landstrich fern der Heimat gelangen sie in ein Dorf Nahe Chemnitz, in dem sie nicht willkommen sind. So ist es nicht verwunderlich, daß sie später die Gelegenheit suchen, in den Westen auszureisen, wo der Familie ein Neuanfang gelingt.

Für Helga Martin ist das Buch die Aufarbeitung ihrer Erinnerungen und Erlebnisse, die sie bis auf den heutigen Tag bewegen. So ist zwar keine große Literatur, aber eine sehr persönliche Dokumentation entstanden, die sie mit Briefen anderer Zeitzeugen angereichert hat. Ihr Mann und ihr erwachsener Sohn haben der Autorin beim Abfassen ihrer Jugenderinnerungen geholfen. Für alle drei ist es ein spannender und schmerzlicher Prozeß gewesen, in dessen Verlauf viele Fragen aus der Vergangenheit beantwortet aber auch neue aufgeworfen wurden. Es komme ihr darauf an, daß die Geschehnisse in Ostpreußen nicht vergessen werden, so Helga Martin. Der Gedanke an Rache liegt ihr fern, es kommt ihr vielmehr darauf an, daß so etwas Schreckliches nie mehr geschehen darf.         Christoph Kaupat

Helga Martin: „Frühes Ende einer Kindheit“, BoD, Norderstedt 2008, broschiert: 144 Seiten, 9,20 Euro


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren