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20.09.08 / »Frisch, fromm, fröhlich, frei« / Was von Turnvater Jahn und seiner Bewegung geblieben ist – Kein ganz einfacher Charakter

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-08 vom 20. September 2008

»Frisch, fromm, fröhlich, frei«
Was von Turnvater Jahn und seiner Bewegung geblieben ist – Kein ganz einfacher Charakter

Im Prignitz-Dorf Lanz steht eine uralte Kastanie. Unter ihren Zweigen soll Anno 1813 Friedrich Ludwig Jahn (1778–1852) junge Brandenburger zum Kampf gegen Napoleon eingeschworen haben. Gemeinsam zogen die Burschen mit ihm nach Breslau und schlossen sich dort dem Lützowschen Freikorps an. Diese Anekdote erzählt man sich jedenfalls in dem nicht weit von Wittenberge gelegenen 1000-Einwohner-Dorf, wo Brandenburg an Sachsen-Anhalt und Niedersachsen grenzt. Eine Gedenktafel am Baum und ein Museum erinnern an die patriotische Tat des Pfarrersohnes, der vor 230 Jahren in dem Elbe-Dorf das Licht der Welt erblickte. Dank eines sportbegeisterten Bürgermeisters ist Lanz noch immer ein gutes Pflaster für Turn-Traditionen sowie für den Kinder- und Freizeitsport.

Auch eine Eiche erinnert an Jahn. Der 25 Meter hohe Baum steht im Berliner Stadtteil Neukölln. In den Ästen der 500 Jahre alten Eiche soll sich vor bald 200 Jahren so mancher junge Mann mit Klimmzügen abgemüht haben. In der Hasenheide hat Jahn nämlich Deutschlands ersten Turnplatz eingerichtet. Das war 1811 und der junge Mann aus Prignitz hatte am Gymnasium zum Grauen Kloster eine Hilfslehrer-Stelle inne. Jahn war nur Hilfs-Lehrer, da er selbst kein Abitur hatte. Zwar hatte er gehofft, dies würde nicht weiter auffallen und so hatte er sich 1796 an der Universität Halle zum Theologiestudium eingeschrieben, doch verschiedene Gründe zwangen ihn zum Verlassen der Hochschule. In den folgenden sieben Jahren besuchte er zwar mehrere Universitäten, doch immer wieder wurde er auch wegen schlechter Führung rausgeworfen. 1800 wurde ihm der Prozeß gemacht, der für Jahn mit einem Verbot für alle deutschen Universitäten endete. Doch der sich zum Lehren Berufene gab nicht auf. Erst arbeitete er als Hauslehrer, bewarb sich 1810 dann in Königsberg auf eine Oberlehrerstelle – und fiel durch die Prüfung. Erst in Berlin klappte es dann mit einer Anstellung, wenn auch nur als Hilfslehrer. Zweimal in der Woche zog Jahn dort mit seinen Jungen ins Grüne, um in der Hasenheide Leibesübungen zu absolvieren.

Heute ist Neukölln ein „sozialer Problem-Bezirk“. Nicht nur was die überdurchschnittliche hohe Arbeitslosigkeit, den Ausländeranteil oder die Zahl der Gewalttaten betrifft. Hier ist man – wie auch anderswo in Berlin – zu dick. Eine der Ursachen heißt Bewegungsmangel, vor allem bei Kindern und Jugendlichen. Deutschlandweite Untersuchungen haben ans Licht gebracht: Nicht weniger als 40 Prozent der Zwölfjährigen haben Kreislauf-Probleme. Jeder zweite leidet an Muskelschwäche, und jeder fünfte hat Übergewicht. Bewegungsmangel ist neben falscher Ernährung die Hauptursache. Eltern joggen, Kinder hocken, meinen Experten. Hocken heißt, daß immer mehr Sprößlinge am PC sitzen.

Zu Jahns Zeiten, also im ausgehenden 18. Jahrhundert, war das umgekehrt, zumindest in seinem Elternhaus. Während der Vater im Pfarrhaus arbeitete, streifte der Junge mit Gleichaltrigen durch die Gegend. Von einem alten Grönlandfahrer lernte Jahn schwimmen – in der Elbe. In Lanz soll er auch die ersten Anregungen für die Konstruktion eines Schwebebalkens bekommen haben. In seiner Zeit als Lehrer in Berlin entsteht eine seiner wichtigsten Schriften – „Das deutsche Volkstum“. Jahn will Turnen als politische Angelegenheit verstanden wissen. Als Allheilmittel zur moralischen Reife und als Königsweg zur politischen Einheit. Der Leitgedanke „Frisch, fromm, fröhlich, frei!“ ist für ihn Weg und Ziel zugleich. Turnen werde zu Vaterlandsliebe führen und sei Voraussetzung für die Wehrerziehung. Die Ursachen für die deutsche Kleinstaaterei findet Jahn allerdings bei anderen. Sätze wie „Polen, Franzosen, Pfaffen, Junker und Juden sind Deutschlands Unglück“ haben dem glühenden Patrioten Generationen später den Vorwurf eingebracht, ein Wegbereiter für Volksverhetzung und Rassismus gewesen zu sein.

Als nach der endgültigen Niederlage Napoleons und dem Wiener Kongreß von 1814/1815 die erhofften politischen Reformen ausblieben, riefen Turner und Studenten nach geistiger und politischer Freiheit und staatlicher Einheit. Einer der Wortführer ist Jahn. Höhepunkt ist das Wartburg-Treffen der Burschenschaften von 1817. Besonders die Forderungen nach deutscher Einheit und einer Verfassung liegen den Fürsten „schwer im Magen“: Konsequent zu Ende gedacht, hätte es das Aus ihrer Souveränität bedeutet. So machte die Justiz aus Turnern Staatsfeinde. Die sogenannte „Demagogen-Verfolgung“ beginnt. Im März 1819 wird der Turnplatz Hasenheide geschlossen, am 13. Juli Jahn verhaftet. Eine sechsjährige Gefängnis-Odyssee beginnt – Küstrin, Kolberg, Spandau. Im März 1825 wird er begnadigt – allerdings mit Auflagen. Weil er sich in keiner Stadt mit einer Universität oder einem Gymnasium niederlassen darf, zieht er nach Freyburg an der Unstrut. Erst 1842 wird er rehabilitiert. Durch König Friedrich Wilhelm IV., der selbst in seiner Jugend den Turnplatz in der Hasenheide besucht hat.

Noch einmal mischt Jahn im politischen Leben mit. 1848 zieht er als Abgeordneter in die Frankfurter Nationalversammlung ein. Von seinen einstigen Anschauungen ist nur wenig zu spüren. Der 70jährige fühlt sich Ruhe und Ordnung sowie dem Hause Hohenzollern verpflichtet. Im Oktober 1852 ist Turnvater Jahn in Freyburg gestorben. 1905 wurde in Preußen Turnen zum Pflichtfach – sowohl für Mädchen als auch für Jungen. Die Hasenheide, Deutschlands erster offizieller Turnplatz, gilt inzwischen in Berlin als fest in der Hand der Drogenszene. Karel Chemnitz


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