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20.09.08 / Militär- und Wirtschaftsregion / Gut die Hälfte der heutigen Königsberger Bevölkerung ist mit der Armee verbunden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-08 vom 20. September 2008

Militär- und Wirtschaftsregion
Gut die Hälfte der heutigen Königsberger Bevölkerung ist mit der Armee verbunden

O alte Sowjetherrlichkeit, wohin bist du entschwunden? Nach Königsberg, antwortete am 1. September Jurij Sawenko, Ex-Bürgermeister der Stadt und nunmehriger Vizechef des Verteidigungsausschusses der „Staatsduma“, des russischen Parlaments. Als „pervaja lastoschka“ (erste Schwalbe) eines ganzen Pulks von Generälen und Abgeordneten, die im Königsberger Gebiet die seit Juli geplante „auswärtige Sitzung des Verteidigungsausschusses“ abhalten wollten, war er in die Pregelmetropole gekommen. Die überwiegend russischen Einwohner begrüßten ihn freundlich, bestürmten ihn aber mit „rein lokalen Problemen“, was Sawenko gar nicht gefiel.

Königsberg samt dem umgebenden Gebiet des Verwaltungsbezirks mit seinen 13600 Quadratkilometern und knapp einer Million Einwohnern ist eine Region von geopolitischer Doppelnatur. Zum einen ist sie eine russische Exklave in der EU, ohne Landverbindung mit Rußland, da von den EU-Staaten Litauen und Polen umgeben. Zum anderen ist sie der westliche „Vorposten“ Rußlands. Als dieser war es bis 1991 als militärisches Sperrgebiet hermetisch von der restlichen Welt abgeriegelt  und ist bis heute fest in militärischer Hand. Zwar wurden die dort stationierten Truppen von einst 120000 auf derzeit 25000 reduziert, aber in Pillau ist die Baltische Flotte stationiert. Deren rund 180 Schiffe mögen technisch veraltet sein, stellen aber doch eine bedrohliche Macht dar. In Krisenzeiten (wie den jetzigen) wird immer wieder gemunkelt, sie seien mit Atomwaffen bestückt, was Mos-kau bestreitet. Es ist auch unwahrscheinlich, zumal die „operativ-strategische Gruppe Kaliningrad“ nach Erkenntnissen des österreichischen Verteidigungsministeriums konventionell bis an die Zähne bewaffnet ist: Sie soll über 2000 Panzer, 345 Raketenwerfer und Geschütze verfügen, außerdem über 18 SS-21-Raketen, rund 130 Hubschrauber und Kampfflugzeuge, dazu Marineinfanterie und die Küstenverteidigung.

Was soll dieses Waffendepot an der „Schüssel“ Ostsee und inmitten der EU? Zwar sind junge Königsberger  nicht wehrwilliger als ihre Altersgenossen anderswo in Rußland. Aber laut den jüngsten „politischen Prinzipien“ von Präsident Medwedew muß Rußland „das Leben und die Würde russischer Menschen schützen, wo immer sie sich befinden“. Darum werden eifrig propagandistische Parallelen zwischen dem Kaukasuskrieg 2008 und dem Zweiten Weltkrieg gezogen und mit Vorliebe von Königsberg aus verbreitet. Dieser Ort garantiert Außenwirkung gen Westen, Binnenwirkung in ganz Rußland und militärisch disziplinierte Staffage in der Stadt, nachdem diese über sechs Jahrzehnte lang dazu erzogen wurde. Gut die Hälfte der Königsberger Bevölkerung ist mit der Armee verbunden: Soldaten, deren Familienangehörige, technisches und administratives Personal, „Veteranen“ usw. Dies spiegelt die Nachkriegsgeschichte der Stadt wider. Am 27. Juli 1944 hatte sich Stalin mit polnischen Kommunisten auf eine Teilung Ostpreußens geeinigt, ab Sommer 1945 wurden dort vorwiegend demobilisierte Rotarmisten angesiedelt, am 7. April 1946 wurde die damalige „Kenigsbergskaja oblast“ Rußland angegliedert, am 4. Juli 1946 die Stadt nach Michail Iwanowitsch Kalinin, vormals sowjetischer Staatspräsident, umbenannt. Die Grenze zu Polen hat man mehrfach „korrigiert“, zuletzt 1954 und immer zugunsten Rußlands. Die zunächst noch zahlreichen Deutschen verschwanden durch massenhaften Hungertod, direkte Gewalt und Deportationen rapide, die letzten 25000 wies man 1948 fast ausnahmslos nach dem westlich von Oder und Neiße gelegenen Teil Deutschlands aus. Wie sich die weitere Bevölkerungsentwicklung genau gestaltete, ist bis heute nicht zu erfahren. 1946 starteten Besiedlungsprogramme, für die in Zentralrußland heftig geworben wurde, aber der Zustrom kehrte sich ab den frühen 1950er Jahren in eine Landflucht um. Bis 1969 war die Region selbst für Russen nur mit Sondergenehmigung zugänglich, der „größte Flugzeugträger der Sowjetunion“ wurde von Militärs gut bewacht.

Wichtigster ziviler Wirtschaftszweig war der Fischfang, der zehn Prozent aller sowjetischen Fänge ausmachte, wobei Königsberg nur von Murmansk und Wladiwostok übertroffen wurde. Der Niedergang der Sowjetunion löste auch den Niedergang Königsbergs aus. Militärs fanden sich plötzlich in materieller Not und Wohnungselend wieder, das zivile Projekt der Sonderwirtschaftszone „Jantar“ (Bernstein) kam nicht auf die Beine. Die Stadt war bald berüchtigt für Bandenkriminalität, Drogenhandel, Alkoholismus, Aids und Umweltzerstörung. Überlegungen, der Region den alten Namen zurückzugeben, sie einem Nachbarn anzuschließen oder gleich an die Bundesrepublik Deutschland zu verschenken, konnte Präsident Boris Jelzin 1993 nur per Dekret stoppen.

Die Wende für „Kenig“ (wie die Stadt bei Einheimischen mittlerweile heißt) kam ab Juli 2005 mit den 750Jahrfeiern Königsbergs. Seither boomen Industrie und Bauwesen, 300000 Neusiedler aus ehemaligen Sowjetrepubliken könnten in der Region Arbeit finden. Doch Interessenten gibt es kaum, da Königsberg durch seine Lage als Exklave bei Russen eine Art Klaustrophobie erzeugt. 2003 führten Litauen und Polen eine Visapflicht für das Gebiet ein, die 2007 nochmals verschärft wurde: 35 Euro für ein Visum sind für Königsberger Russen sehr viel Geld. Polen bemüht sich um eine sehr liberale Visapraxis, schon um seine weitergehenden Pläne zu fördern, die der „Polnisch-Russische Rat für Kooperation“ betreibt – vom kleinen Grenzverkehr bis zur grenzübergreifenden Zusammenarbeit von Firmen.

Die neuen Spannungen zwischen Rußland und der EU gefährden diese Pläne zwar nicht, fördern sie aber auch nicht. Die Region Königsberg ist in nahezu allen Lebensbereichen auf russische Hilfe angewiesen, und die entsprechenden Hilfswege führen zumeist über Litauen, das auch von russischen Gas- und Öllieferungen abhängt. Was hier im Kleinen praktiziert wird, gilt auch im Großen. Die EU und Rußland wissen, daß sie einander ein bißchen triezen können – , etwa mit der Verzögerung der Gespräche über den Partnerschaftsvertrag oder die russische Mitgliedschaft in der Welthandelsorganisation –, aber eine große Konfrontation, gar einen neuen Kalten Krieg, wollen beide Seiten nicht. Unter der momentanen „Abkühlung“ leiden vor allem die Königsberger, die darob bereits bei Präsident Medwedjew vorstellig wurden. Der kann auch nichts für sie tun. Die Militärs organisieren derweil Königsberger Solidaritätskundgebungen und Hilfssendungen nach Südossetien. Und der Verteidigungsausschuß der Russischen Duma will bis zum 6. September unter seinem Vorsitzenden Viktor Sarasin (und in Kooperation mit lokalen Militär- und Sicherheitskräften) vor Ort tagen. Thema der Beratung: „Über die gesetzliche Absicherung der Funktion und der Modernisierung der im Königsberger Gebiet stationierten Truppen unter den Bedingungen der fortgesetzten Osterweiterung der Nato“.  Wolf Oschlies


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