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20.09.08 / Anklage ohne Verbrechen, Suizid ohne Motiv

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-08 vom 20. September 2008

Anklage ohne Verbrechen, Suizid ohne Motiv

Als der Prozeß gegen die OKW-Generale am 5. Februar 1948 eröffnet wurde, blieb ein Platz leer. An diesem Morgen waren die Häftlinge nach dem Frühstück zu ihren Zellen zurückgeleitet worden, als einer von ihnen plötzlich aus der Reihe sprang und sich in den zentralen Lichthof des Nürnberger Gerichtsgefängnisses stürzte. Wenige Stunden später war Generaloberst Johannes Blaskowitz tot. Seine Mitangeklagten reagierten betroffen, gab es doch kaum einen Zweifel an seinem Freispruch.

Blaskowitz wurde am 10. Juli 1883 in Paterswalde, Kreis Wehlau, als Sohn eines Pfarrers geboren. Schon mit elf Jahren trat er in das preußische Kadettenkorps ein und wurde an seinem 17. Geburtstag zum Leutnant befördert. Bereits im Ersten Weltkrieg wurde er hoch dekoriert. Seine Fähigkeit, die Achtung und Zuneigung seiner Soldaten zu gewinnen, war und blieb eine seiner herausragenden Eigenschaften. Im Polenfeldzug 1939 befehligte Blaskowitz die 8. Armee, erhielt als einer der ersten Soldaten das Ritterkreuz und wurde zum Generaloberst befördert, obwohl Hitler sich mit ihm wegen seiner Angriffsführung überworfen hatte. Auf den neu geschaffenen Posten des Oberbefehlshabers Ost versetzt, unterstanden ihm neben den in Ostpreußen beheimateten Truppen die in Polen verbliebenen deutschen Verbände, nicht jedoch die Verwaltungsorgane und die Polizei- und Sonderverbände des Reichssicherheitshauptamtes. Deren brutale Maßnahmen gegen die polnische Bevölkerung lösten bei Blaskowitz offene Entrüstung aus. Aktive Gegenmaßnahmen konnte er indes nicht ergreifen, war er als Inhaber der militärischen vollziehenden Gewalt doch ausschließlich für die militärische Sicherheit, nicht jedoch für Verwaltungsaufgaben und solche der Innenpolitik zuständig.

Jedoch informierte Blaskowitz, der sich von den Verbrechen „angewidert und abgestoßen“ fühlte, in mehreren Berichten seine Vorgesetzten über die Gewaltakte, welche „die Ehre des ganzen deutschen Volkes besudelten“. Blaskowitz klagte auch über die „maßlose Verrohung und sittliche Verkommenheit“ auf deutscher Seite. Er konnte und wollte nicht erkennen, daß diese Vorgänge keine Exzesse einzelner Einheiten waren, sondern daß die Regeln der Menschlichkeit und des Völkerrechts auf allerhöchsten Willen außer Kraft gesetzt waren

Als Hitler die Berichte vorgelegt wurden, mokierte er sich über derart „kindliche Einstellungen“ und ließ Blaskowitz unter Anspielung auf dessen von vielen als auffallend empfundene Frömmigkeit wissen, mit „Heilsarmeemethoden“ führe man keinen Krieg.

Doch Blaskowitz ließ nicht locker. In einer Denkschrift im Januar 1940 an den Oberbefehlshaber des Heeres, v. Brauchitsch, wählte er drastische Worte: „Die Einstellung der Truppe zur SS und Polizei schwankt zwischen Abscheu und Haß. Jeder Soldat fühlt sich angewidert und abgestoßen durch diese Verbrechen, die in Polen … begangen werden.“ Nicht zuletzt diese Einstellung, die selbst für einen hochrangigen Befehlshaber mit persönlichen Risiken verbunden war, machte eine Verurteilung in Nürnberg unwahrscheinlich. Blaskowitz konnte wohl von Glück sagen, daß er im Mai 1940 auf Betreiben von Generalmajor Karl Herrmann Frank „nur“ nach Frankreich versetzt wurde. Auch hier bemühte er sich um ein konstruktives Verhältnis zur Bevölkerung. Im Januar 1945 wurde er mit der Führung der Heeresgruppe H in Holland beauftragt, wo er am 5. Mai kapitulierte, nachdem er im Einvernehmen mit den Alliierten Maßnahmen zur Behebung der Ernährungskrise der Bevölkerung eingeleitet hatte.

Es mag verwundern, daß Blaskowitz nie Kontakt zum militärischen Widerstand gefunden hat, sondern dem NS-Regime bis zum Schluß diente. Als unpolitisch-konservativem Berufsoffizier und gläubigem Christen lag ihm ein Bekenntnis zur Ideologie des Nationalsozialismus fern, auch wenn er dessen nationalen Zielen aufgeschlossen gegenüberstand und kein Gesinnungsgegner des Nationalsozialismus war. Neben seinem beruflichen Professionalismus schlossen Blaskowitz‘ christlich-moralischen Überzeugungen für ihn jeden eigenen politischen Ehrgeiz aus.

In der Kriegsgefangenschaft war Blaskowitz für die historische Abteilung der US-Armee tätig, was seine Auftraggeber nicht davon abhielt, ihn als Kriegsverbrecher anzuklagen. Als ritterlicher preußischer Offizier alter Schule wollte er sich durch seinen Freitod nicht seiner Verantwortung, wohl aber den Richtern des Feindes entziehen. Bald kursierten Gerüchte, Blaskowitz sei durch mitinhaftierte SS-Leute über die Brüstung der Rotunde in den Tod gestoßen worden. Ein Suizid paßte in der Tat nicht zu seinen religiösen Überzeugungen, doch die Gerüchte über einen Mord konnten nie bewiesen oder widerlegt werden.        J. H.

Foto: Rudolf Lehmann plädiert auf „nicht schuldig“: Der ehemalige Chef der Rechtsabteilung des Oberkommandos der Wehrmacht wurde schließlich wegen des „Kommissarbefehls” zu sieben Jahren Haft verurteilt, drei davon mußte er absitzen.


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