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04.10.08 / Begegnungen mit Ernst Jünger / Kolloquium in Schloß Neuhardenberg – Jüngers Schriften als Kritik an heutigen Seichtheiten in Theater, Film und Fernsehen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-08 vom 04. Oktober 2008

Begegnungen mit Ernst Jünger
Kolloquium in Schloß Neuhardenberg – Jüngers Schriften als Kritik an heutigen Seichtheiten in Theater, Film und Fernsehen

Bei solch einem Umsturz geht die älteste Aristokratie ins Treffen“, sinnierte Ernst Jünger am Tag nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler. Der Adel als Schöpfer und Verteidiger ewiger Werte und Ernst Jünger als deren wortgewaltiger Sänger – sieht man es so, war der Ort gut gewählt: Denn was eignet sich besserer für ein „Gedankenspiel“ über den deutschen Schriftsteller, als das Haus eines aufrechten Frondeurs?

Im Schloß Neuhardenberg, wenige Kilometer östlich von Berlin, entzog sich am 24. August 1944 der mitverschworene Carl Hans Graf von Hardenberg durch einen Schuß ins Herz dem Zugriff der Gestapohäscher, nicht ohne Sekunden zuvor der Gräfin noch einen lächelnden Gruß entboten zu haben.

„Das Sterben eines Menschen sagt viel über sein Leben aus“ – auch das ist ein Gedanke Jüngers, dem man sich am vergangenen Sonntag im Schloß Neuhardenberg zu nähern versuchte. Auf Einladung des Verlages „Matthes & Seitz Berlin“ und der „Stiftung Schloß Neuhardenberg“ waren ein Dutzend Publizisten gekommen, um über Jüngers aktuelle Bedeutung zu räsonieren: Die Schauspielerin Meike Schlüter las Texte aus seinen Werken, wenn auch am Anfang etwas zu schnell, danach folgten die Kommentare der schreibenden Zunft: Wohlformuliert und akademisch, so daß es viele Gedanken gab, aber kaum ein Spiel: „Abenteuer“, „Waldgang“, „Heroismus“, „Schmerz“ – all das sind zentrale Metaphern in Jüngers Schaffen. Was aber, so fragte man, sagen sie uns heute, den Nachgeborenen im bundesrepublikanischen Sozialstaat? Marion Titze skizzierte dabei arglos die Ausgangslage: Jünger, so scheint es, ist uns heute fremd. Mit „einigem Widerwillen“ habe sie im „Abenteuerlichen Herzen“ gelesen, jenem berühmten Lesebuch der bluttriefenden Metaphern. In einer Gesellschaft, die systematisch Schmerz und Tod verleugne, sei das Martyrium ein kruder Anachronismus, wenngleich dies auch zum Nachdenken einlade.

Das wollte Sibylle Lewitscharoff nicht so stehen lassen: Der Soldat des Ersten Weltkriegs sei Jünger vor allem gewesen, in seiner ästhetischen Apologie der Qual, 17mal verwundet und immer wieder zurück an die Front, dekoriert mit dem „Pour le Mérite“ – welch Ekstase müsse dieser Mann empfunden haben!

Es war die altbekannte These, über die man stritt, Jüngers Ekel vor der versachlichten, bürgerlichen Sekurität, die Suche nach elementarer Erfahrung, so sehr, daß er einst zur Fremdenlegion floh. Nur wenig war aber davon die Rede, daß tiefe Erfahrung und sei sie noch so schmerzlich, auch Grundlage ist für wirkliche Kultur, so wie es auch Nietzsche sah, der Philosoph des tragischen Heroismus. Überhaupt unterließ man es zu oft, in Jüngers Schriften eine Kritik an der modernen Kultur zu lesen und sie auf das Naheliegende zu beziehen: etwa auf die heutigen Seichtheiten in Theater, Film oder Fernsehen.

Da war es schon viel, als Sebastian Kleinschmidt, der Herausgeber der Zeitschrift „Sinn und Form“ an das Ewige der menschlichen Natur zu erinnern schien: Der Schmerz der Welt, so meinte er still, sei unvergänglich. Zumeist aber strichen die Beiträge das „Unzeitgemäße“ des Schriftstellers heraus: Jüngers Waldgänger, ein individualistischer „Anarch“, der in feindlicher Umgebung geistige Unabhängigkeit bewahrt, freut sich, wenn er im Unterholz auf jemanden trifft, der ähnliches im Schilde führt.

Im Video des holländischen Künstlers Theo Ligthart gerät er zu einer verängstigten Frau, die es nach Gesellschaft sehnt. Dem Einheitsdenken, so die versteckte Botschaft des Films, kann man heute offenbar nur schwerlich widerstehen.

Aber – er war auch da, der Sinn für das ewig Wertvolle und Aristokratische, das Jünger in seinen Werken beschrieb, selbst wenn es zuweilen nicht in den gelehrten Sätzen der Referenten steckte: Der Literaturwissenschaftler Cai Werntgen widersprach der Möglichkeit von Jüngerschem Heroentum in unserer Zeit: Angehöriger der „Zivildienstgeneration“ sei er, mit Bildungschancen für alle und staatlicher Rundumversorgung, die Figuren des Stoßtruppführers aus dem Ersten Weltkrieg nötigten ihm heute allenfalls „Skepsis“ ab.

Da runzelten einige der Zuhörer die Stirn und es standen unausgesprochene Fragen im Raum: Gibt es nicht bereits Konvertiten unter uns, die der Lauheit der modernen Kultur die unbändige Kraft orientalischer Dogmen vorziehen – und die nach Gefahr und Bewährung suchen, wenn auch im terroristischen, kriminellen Akt? Ulrich Schacht, zumeist sehr schweigsam, umriß die moderne Malaise und erntete damit Lachen: In Ministerialkreisen, so frotzelte der Dichter, überlege man das Eiserne Kreuz wieder zu verleihen – und man würde fragen: Wofür?     M. Böhm

Foto: Oft geehrt und zugleich heiß umstritten: Ernst Jünger (l.), hier mit Achille Bonito Olivia auf der Biennale in Venedig im Jahre 1993


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