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04.10.08 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-08 vom 04. Oktober 2008

Unwiderstehlich / Wie deutsche Politiker an der Wall Street pokern ließen, warum sie jetzt so schimpfen  müssen, und wieso alle das Schrödern lernen
Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

Alles besser gewußt zu haben ist ein betörendes Gefühl. Tja, das haben sie jetzt davon, die Amis, diese Gierhälse. Alles in Schutt und Asche. Man mag schon gar nicht mehr  nachtreten, so was von am Boden liegen die.

Solch zarte Gefühle des Mitleids kann sich ein Politiker allerdings nicht leisten. Merkel, Steinbrück und zahllose weitere Entscheidungsträger in Deutschland haben allen persönlichen Grund, so deftig, wie sie nur können, auf die verantwortungslosen Wall-Street-Boys und den Leichtfuß im Weißen Haus zu schimpfen. Poltern sie nicht laut genug, könnten die Deutschen nämlich das Stöhnen und Ächzen jener Geister hören, die ihre eigenen Politiker selbst gerufen haben.

Es sind die Geister wilder Finanzspekulationen unter den Augen der deutschen Politik. Sie rumoren in staatlichen Banken und (teil)privatisierten Staatsunternehmen, sie ziehen ihre Bahnen sogar durch manch öffentliche Kanalnetze und tummeln sich in unseren Verkehrsbetrieben.

Ja, es klingt ernüchternd, aber unsere Politiker haben von der Kommunal- bis zur Bundesebene bei dem sündigen Fest an der Wall Street jahrelang mitgefeiert und sich nach Kräften am Büffet bedient.

Oder hat irgendein Finanzminister mal nachgefragt, womit seine Landesbank eigentlich die fetten Gewinne machte, die ihm so köstliche Überschüsse in den Haushalt spülten? Daß diese Gewinne aus spekulativen Hochseilakten stammten, war ihm egal, solange nur die Kohle stimmte.

Und die Kohle stimmte fürwahr, auch bei den gefeierten Privatisierungen. Daß bei der Deutschen Telekom eine der verfemten Heuschrecken eingestiegen ist, störte da nicht weiter. Hauptsache, die Jungs blechen ordentlich, damit der Minister fürs Folgejahr ein aalglattes Budget vorlegen konnte. Was die Heuschrecke mit dem Anteil vorhat, auf welcher Kapitalmarkt-Freibank der Telekom-Posten mal landen könnte? Wurst.

In Kürze fliegt die Deutsche Bahn auf den Wühltisch der geldtriefenden Finanzinvestoren. Seit Jahren hat Bahn-Chef Hartmut Mehdorn nichts anderes mehr zu tun, als das Prachtstück so lecker zu garnieren, daß den hungrigen Finanzinsekten die Rüssel jucken. Was die dann mit ihrer Beute vorhaben? Wen interessiert’s. Das regelt der Markt ganz von allein.

Deutsche Stadtregierungen wollten auch ran an diese Bouletten und entdeckten um das Jahr 2000 das „Cross-Border-Leasing“.  Das ist ein englisches Wort und wirkt wohl schon deshalb unwiderstehlich sexy auf deutsche Kommunalpolitiker, die sich in der großen weiten Welt zu Hause fühlen.

Konkret lief das so: Eine Stadt wie Bochum oder Wuppertal verkaufte ihr Kanalnetz oder die Verkehrsbetriebe an einen US-Investor, und mietete den ganzen Kram postwendend wieder zurück.

Kleinkarierte Provinzler maulten, da würde der von den Bürgern finanzierte öffentliche Besitz für ein Linsengericht an irgendwelche windigen Geldgeier verhökert, nur damit die Stadtregierung kurzfristig ihren maroden Etat in den Griff bekommt.

Weltoffene Dynamiker hingegen entdeckten voller Begeisterung den „win-win“-Effekt. Beide Seiten, die Stadt ebenso wie der US-Investor, würden gleichermaßen profitieren, mit anderen Worten: Zwei plus zwei ist gleich sechs.

Geht gar nicht, diese Rechnung?  Aber sicher doch, das war sie ja gerade, die „Magie des Marktes“, vor der wir seit den 90ern ehrfurchtsvoll im Staube lagen. Bis über Nacht aus sechs plus sechs null wurde.

Vor dieser Null geht den Stadtvätern nun gewaltig die Muffe. Sie hatten ihre „Cross-Border-Leasings“ nämlich über den US-Versicherer AIG abgesichert, der kürzlich nur per Verstaatlichung vorm sicheren Absturz bewahrt wurde. Infolge der Nahtod-Erfahrung hat der Ruf von AIG Schaden genommen, wodurch der Versicherer die Bonitäts-Bestnote AAA einbüßte.

In den tollen Verträgen, welche die deutschen Stadtkämmerer abgeschlossen haben, steht nun leider, daß sie zusätzliche Sicherheiten ranschaffen müssen, wenn die Bonität des Versicherers schwächelt – damit der US-Investor weiter ruhig schlafen kann. Dafür haben sie nur wenige Wochen Zeit. Zusätzliche Sicherheiten! Was bloß? Müssen sie am Ende die halbe Stadt verpfänden, um ihre Abwasserkanäle, die ja gar nicht mehr die Ihren sind, weiter nutzen zu können? Und wenn die „zusätzlichen Sicherheiten“ nicht ausreichen, um den US-Kanalnetzbesitzer gnädig zu stimmen – müssen die Bürger dann wieder hinters Haus, wenn’s drückt?

Die haben Sorgen, lachen da bitter die Stadtväter von München, Frankfurt am Main oder Münster. Jene schlauen Füchse haben einen Teil ihrer Steuereinnahmen bei der Geldspielbude Lehman Brothers angelegt, um beim großen Fressen dabei zu sein. Münsters Steuergeldverwalter haben sogar noch am 15. August 15 Millionen Euro auf ein Lehman-Konto überwiesen, als bei der US-Investmentbank bereits der Mörtel aus den Fugen rieselte.

Kurz darauf brach Lehman Brothers zusammen. Jetzt bibbern und bangen die Stadtoberen nur noch, daß für sie wenigstens ein paar Krümelchen  vom Tische des Konkursverwalters fallen.

Wer so kräftig dabei war, der hat nur noch eine Chance, um sich reinzuwaschen: Gegen die skrupellosen Amis moralisieren, bis es quietscht. Ergo verhalten sich die gestrauchelten deutschen Zocker wie bigotte Honoratioren, die im Bordell beklaut wurden: Wenn wir geahnt hätten, was für ein verderbtes Etablissement das ist – also niemals wären wir da rein! Wir fordern strengste Auflagen für den Betrieb dieses haltlosen Sündenpfuhls!

Da trifft es sich, daß ein bißchen Stänkern gegen die USA beim hiesigen Volk glänzend ankommt. Wir erinnern uns: Zwar hatte der gräßliche Bush noch mit keiner Silbe um deutsche Truppen für seinen Irakkrieg gebeten. Dennoch bestieg Gerhard Schröder im August 2002 in Goslar das Podium und schrie mannesmutig: „Niemals!“

Er hätte das, wie es Gepflogenheit ist, Washington auch per diskreter diplomatischer Note mitteilen können. Dann hätte es hierzulande aber kaum einer mitbekommen. Eine Kurzmeldung in der Tagesschau vielleicht – völlig wertlos in dem Bundestagswahlkampf 2002, der für Schröder nach den damaligen Sommerprognosen übel hätte ausgehen können. Also machte er es so geräuschvoll wie möglich. Dafür flogen ihm die Herzen der Deutschen zu und wenige Wochen später auch ihre Stimmen.

Kein Wunder, daß Schröder wieder groß im Kommen ist. Bei Frank-Walter Steinmeier hatte man zuletzt den Eindruck, als imitiere er sogar die knarzende Stimme des Alt-Kanzlers. Finanzminister Peer Steinbrück, seines Zeichens Oberaufseher der KfW, der Mutterbank des verbrannten Wall-Street-Spielers IKB, kann auch ganz passabel schrödern. Im Bundestag haute er den Amis links und rechts welche runter, verkündete freudig das Ende der USA als Weltmacht und erteilte den Yankees genau jene Lehren, gegen die seine IKB verstoßen hatte. Das wird Punkte bringen beim Wahlvolk.

Angela Merkel hat die vergangenen Jahre in ihrem Elefantengedächtnis komplett abgespeichert. Sie hat nicht vergessen, wie hilflos die anfangs siegessichere Union 2002, hin- und hergestoßen zwischen Wählerbedienung und USA-Treue, am Ende unterlag. Das soll kein zweites Mal passieren. Deshalb hört man jetzt auch von der Kanzlerin erstmals erstaunlich US-kritische Töne. Allerdings ist der blöde Bush ja auch bald Schnee von gestern. Da kann man sich mal was rausnehmen, ohne gleich von Washingtons Favoritenliste zu kippen.

2002 war zudem überhaupt nicht ihr Wahlkampf, da war der Stoiber Kanzlerkandidat. Wenn der seinerzeit gewonnen hätte, wäre Merkel nie Regierungschefin geworden und Gabriele Pauli noch immer Mitglied der CSU. So hat doch alles auch sein Gutes gehabt, damals.


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