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11.10.08 / US-Raketen in Polen als machtpolitisches Signal / Wenn es nur um die Raketenabwehr ginge, wäre das US-System in der Türkei besser stationiert – Aufrüstung in Königsberg?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-08 vom 11. Oktober 2008

US-Raketen in Polen als machtpolitisches Signal
Wenn es nur um die Raketenabwehr ginge, wäre das US-System in der Türkei besser stationiert – Aufrüstung in Königsberg?

Mißstimmung zwischen den USA und Rußland, innerhalb Europas und zwischen Europa und den USA. Und alles wegen zehn amerikanischer Abwehrraketen in Polen und dem zugehörigen Radar in Tschechien, die gegen eine iranische Raketendrohung schützen sollen. Was soll das Ganze? Ziel der amerikanischen nationalen Raketenabwehr (National Missile-Defense/NMD)  ist es, „das Gebiet der Vereinigten Staaten gegen begrenzte ballistische Raketenangriffe – ob unbeabsichtigt, ungenehmigt oder vorsätzlich – zu verteidigen“. Die Abfangraketen sollen die gegnerischen Raketen durch Aufprall (gilt für die Raketen in Polen) oder konventionelle Detonationen möglichst außerhalb der Atmosphäre zerstören.

Der mit 70 Nobelpreisträgern als Sponsoren der Objektivität verpflichtete „Bund amerikanischer Wissenschaftler“ (Federation of American Scientists/FAS) hat intensiv Wirkmechanismen, Organisation und Standorte des Projekts untersucht. Danach sollen ab 2010 maximal 50 Interkontinentalraketen (ICBM) abgefangen werden können, zur Zeit sind es 25.

Mit den bilateralen Verträgen vom 8. Juli und 14. August sollen bis 2011 ein weitreichendes Radar südlich von Prag und zehn Abfangraketen in Nordpolen zur Abwehr iranischer Raketen gegen Europa und die USA befähigen.

Die Sinnhaftigkeit des Aufwandes zur Abwehr ballistischer Raketen wird technisch bezweifelt, weil bisherige Abfangtests nur teilweise erfolgreich waren und weil es mehrere Möglichkeiten gibt, Raketen und Gefechtsköpfe zu schützen. Die USA können aber allen denkbaren Bedrohungen durch Interkontinentalraketen die glaubhafte vernichtende Vergeltung entgegenhalten. Ein rational kalkulierter Angriff dieser Art auf die USA läßt sich daher ausschließen. Nicht auszuschließen ist jedoch ein Angriff nach dem Kalkül von Selbstmordattentätern. Daher kann die amerikanische Führung zu Recht der Auffassung sein, jede, wenn auch nur lückenhafte Chance zum Schutz ihres Landes wahrnehmen zu müssen, also eine NMD aufzubauen.

Ob und wann der Iran jemals die USA mit Interkontinentalraketen angreifen könnte, steht in den Sternen. Im schlechtesten Fall, von dem die USA sicherheitshalber ausgehen, könnte das aber nach 2010 der Fall sein. Teile Europas könnte der Iran schon jetzt oder bald zumindest mit bakteriologischen und chemischen Gefechtsköpfen angreifen. Dies könnte allerdings nur irrational begründet sein, denn mit den englischen und französischen Nuklearwaffen wäre ein vernichtender Gegenschlag möglich.

Geht man von dem von der FAS Verlautbarten als zutreffend aus, so läßt sich sagen: So gut eine „kaspische Lösung“ zusammen mit Rußland aus technischer Sicht wäre, sie gäbe den USA nicht die volle Verfügungsgewalt über ihr System. Deshalb kommt sie für die USA  nicht in Frage.

Warum aber wählen die USA nicht die politisch viel unproblematischere Stationierung des Systems beim sicheren Verbündeten in der Südost-Türkei? Es kann nicht nur daran liegen, daß das System dann durch iranische Kurzstreckenraketen oder Jagdbomber gefährdet wäre. Denn dagegen ist eine sichere Abwehr verfügbar. Es drängt sich mithin der Eindruck auf, daß ein möglicherweise wichtiger Grund für die Stationierung des Raketenabwehrsystems in Polen und Tschechien darin liegt, daß das Radar dort für einen Blick nach Rußland hinein bestmöglich positioniert ist. Das X-Band-Radar in Tschechien ist zwar kein Überwachungsradar, aber es erfaßt nach Vorwarnung durch Satelliten Ziele mit seiner gebündelten Strahlung sehr genau. Somit kann es auch präzise Daten von allen Raketen und anderen Körpern ab dem höheren Luftraum weit nach Rußland hinein (2000 bis über 4000 Kilometer gemäß FAS) liefern, was mit Satelliten und anderen Mitteln nicht möglich ist.

Der wesentliche Grund für das nicht vorher in der Nato abgestimmte bilaterale Vorgehen der USA dürfte aber darin liegen, daß sie die aus der sowjetischen Zeit herrührenden Ängste vor Rußland ausnutzend gerne die Gelegenheit ergriffen haben, sich militärisch ein weiteres Standbein in Europa zu schaffen. Damit zeigen sie, wer in Europa auch gegen alle Widerstände machtpolitisch das Sagen hat. Besonders aber können sie damit eine Einigkeit Europas gegen die USA sehr erschweren und dadurch ihre Rolle in Europa stärken.

Wenn allerdings russischerseits gesagt wird, die zehn Raketen in Polen hätten den Zweck, den USA eine risikolose Erstschlagfähigkeit zu geben, weil sie die Rußland danach noch verbliebenen Raketen abfangen könnten, so ist dies angesichts der über 1000 russischen Nuklearträger nicht ernst zu nehmen. Dasselbe gilt für die russischen Drohungen, im Königsberger Gebiet, in dessen Nähe die Raketenbasis entstehen soll, aufzurüsten, dort zusätzliche taktische Raketen zu dislozieren, oder Nuklearraketen auf das US-System zu programmieren – denn welche Fähigkeiten würden dadurch geschaffen, die Rußland nicht ohnehin schon hätte?     Manfred Backerra


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