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11.10.08 / Weisheiten eines Kanzlers a.D. / Helmut Schmidt über seine Erfahrungen und Erkenntnisse

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-08 vom 11. Oktober 2008

Weisheiten eines Kanzlers a.D.
Helmut Schmidt über seine Erfahrungen und Erkenntnisse

Nur wenige Monate vor seinem 90. Geburtstag hat Helmut Schmidt, der von 1974 bis 1982 Bundeskanzler war, ein neues Buch herausgebracht. „Außer Dienst – Eine Bilanz“ heißt das neueste Werk, was nicht als eine ergänzende Autobiographie gedacht ist, sondern Gedanken des langjährigen SPD-Politikers zu Politik, zur Gesellschaft und zu seinen eigenen Erlebnissen enthält.

Man mag über den Kanzler Schmidt denken, was man will, als Kanzler außer Dienst ist er ein Sympathieträger über alle Parteigrenzen hinweg, der durch seine Distanz zum Politikalltag erfrischende Kommentare liefert. Auf ihn paßt die englische Bezeichnung des elder statesman, dem von allen Seiten Respekt entgegengebracht wird. Das gibt ihm eine gewisse Narrenfreiheit, die er geschickt nutzt, indem er Dinge sagt, die andere nicht sagen dürfen.

„Außer Dienst“ ist allerdings nicht derart rhetorisch brillant oder bissig, wie man es von Helmut Schmidt aus Interviews gewohnt ist. Gerade zu Beginn des Buches geht er detailiert auf seine politischen und publizistischen Weggefährten ein. Bedauerlicherweise geht der Autor, der seit 1983 Mitherausgeber der Wochenzeitung „Die Zeit“ ist, davon aus, daß jeder seiner Leser die genannten Personen und ihr Wirken kennt. So ist das Kapitel „Erfahrungen verändern Maßstäbe“ manchmal zäh zu lesen. Manche Nöte eines Kanzlers schildert er jedoch sehr anschaulich. „Ein Regierungschef, der ein Kabinett zu bilden hat, gleicht ein wenig einem Regisseur, der die Rollen zu besetzen hat ... Zugleich drängen sich ihm aber ganz andere Fragen auf: Wer hat die älteren Anrechte? Wer hat die stärkeren Bataillone unter den Abgeordneten? Sind die Bayern, sind die Leute aus dem Osten oder aus Nordrhein-Westfalen ausreichend berücksichtigt – und wenn nicht: Muß ich für diese oder jene Region jemand aus der Landespolitik holen? Viele Landespolitiker bringen zwar Verwaltungserfahrung mit, aber etwa von der Außen- und Europapolitik oder der Steuerpolitik haben sie keinen Schimmer.“

Schmidt berichtet von seinen Reisen nach Asien, Afrika und Lateinamerika, die ihn zu der Überzeugung geführt haben, daß man deutsche und demokratische Maßstäbe nicht dorthin übertragen könne.

In einem schwungvolleren Kapitel geht Helmut Schmidt darauf ein, daß man aus der Geschichte lernen könne. Allerdings: „Je mehr wir unser Geschichtsbewußtsein auf die Nazi-Zeit beschränken, auf den Fehlschlag des Weimarer-Demokratie-Versuchs, auf den von Hitler ausgelösten Zweiten Weltkrieg und seine katastrophalen Folgen, je stärker wir uns auf den Holocaust und die übrigen Verbrechen der Nazi-Zeit konzentrieren, desto stärker reagieren wir Deutsche mit Nervosität und auch Angst vor Veränderungen.“

Immer wieder beruft sich der Autor auf christlich-moralische Werte, nennt zwar mögliche Defizite der Demokratie, betont aber, daß sie bei weitem die „beste Regierungsform darstellt, die wir kennen“. Zudem hat sich im Laufe der Jahrzehnte bei dem Kanzler der sozial-liberalen Koalition die Meinung vertieft, daß zu viel Staat in „bürokratischer Erstarrung“ endet. Interessanterweise nennt er nur die Gesetzesflut ab 1990 – bis 1987 war Helmut Schmidt zumindest noch als Bundestagsabgeordneter gestaltend in der Politik tätig.

Aber auch auf Probleme während seiner Regierungszeit geht der Kanzler, in dessen Amtszeit der Terror der linksextremistischen Rote Armee Fraktion fiel, ein. „Die Konflikte mit linken Ideologen und auch sachliche Konflikte mit unseren nahezu unersättlichen Sozialpolitikern haben sich fortgesetzt. Dazu kamen die Forderungen der von jungen Intellektuellen propagierten ,neuen sozialen Bewegungen‘: vom Natur- und Umweltschutz über den Feminismus und die Emanzipation der Homosexuellen bis zur Sehnsucht der Friedensbewegung. In den meisten dieser vornehmlich aus der 68er Studentenbewegung hervorgegangenen ,alternativen‘ Bestrebungen steckte ein richtiger, wünschenswerter Kern. Aber die Radikalität und Ausschließlichkeit, mit der die Forderungen vorgebracht wurden, drohten bedeutendere Themen und wichtigere Aufgaben von der Tagesordnung zu verdrängen.“          Bel

Helmut Schmidt: „Außer Dienst – Eine Bilanz“, Siedler, München 2008, geb., 350 Seiten, 22,95 Euro


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