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18.10.08 / Ost-Deutsch (87): Schiene

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-08 vom 18. Oktober 2008

Ost-Deutsch (87):
Schiene
von Wolf Oschlies

Darum habe ich immer eine Kamera bei mir, um etwa in einer mazedonischen Stadt ein Ladenschild aufzunehmen, das „sini za klizni vrati“ anbietet: Schienen für Gleittüren. Die brauche ich zwar nicht, aber das deutsche Wort „sina“ (Schiene) freut mich, zumal es in meiner Sammlung osteuropäischer Germanismen bereits in vielerlei Bedeutung festgehalten ist.

Sprachgeschichtlich ist die Schiene uralt, da sie (vermutlich) von der indogermanischen Wurzel „skei-„abstammt und „schneiden, spalten“ bedeutet. Alt-(scina) und Mittelhochdeutsch (schine) stand sie für das Schienbein. Die technische Bedeutung von Bahngleis bekam sie im 18. Jahrhundert, nachdem um 1750 im Harzer Bergbau erstmals „Schienen“ zum Einsatz kamen. In diesem Wortsinn lebt die Schiene auch bei Slawen. Wie zum Beispiel aus einem bosnischen Witz zu erkennen ist: „Najvise ljudi umire u krevetu, a najmanje na zeleznickim sinama. Naravoucenje: spavajte na sinama“ – Die meisten Leute sterben im Bett, die wenigsten auf Eisenbahnschienen. Also: Schlaft auf Schienen. Noch direkter ist eine mazedonische Meldung: „Patnicki voz izleta od sinite“ – Ein Personenzug sprang aus den Schienen. Ganz ähnlich bei Tschechen: „Kola obou vozu pevne vezi v neuprosnach sinach“ – Die Räder beider Züge rollen fest in den unerbittlichen Schienen. Oder im übertragenen Sinne bei Kroaten: Der Schiedsrichter „izbacio Zagreb iz pobednickih sina“ (warf Zagreb aus den Siegerschienen).  

Bei Bulgaren dominiert die medizinische Schiene: „meka sina za pyrsti“ (biegsame Fingerschiene), „naduvaema sina“ (aufblasbare Schiene). Bei Russen bezeichnet „sina“ neuerdings auch Verbindungskabel an Computern oder das Führungsstück in Rolläden: „Sina integriruetsja nezametno v korpus“ (die Schiene ist unsichtbar in den Korpus integriert). Althergebracht ist die russische Bedeutung von „Autoreifen“: „Zimnye siny“ (Winterreifen), „sportskie siny“ (Sportreifen) und worauf Fahrzeuge sonst noch rollen. Diesen ungewöhnlichen Wortsinn haben auch Ukrainer im Sprachgebrauch: „Znos perednich i zadnich sin“ – der Zustand von Vorder- und Hinterreifen. Wer diese deutschen Schienen wann legte, wissen nicht einmal akribische etymologische Wörterbücher.


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