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18.10.08 / Das Geld, die Gier und der Hebel / »Die BaFin hat nicht zum ersten Mal versagt« – Hans-Joachim Selenz über die Gründe der Finanzkrise

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-08 vom 18. Oktober 2008

Das Geld, die Gier und der Hebel
»Die BaFin hat nicht zum ersten Mal versagt« – Hans-Joachim Selenz über die Gründe der Finanzkrise

Die Börsen-Zuckungen weltweit erinnern mittlerweile an Fieberkurven eines Todkranken. Tagesverluste im zweistelligen Prozentbereich sind keine Seltenheit. In kurzer Zeit haben sich Milliardenwerte in Wohlgefallen aufgelöst. Zunehmend ist Panik im Spiel.

Dabei geht es längst nicht mehr nur um die geplatzte US-Immobilienblase. Die Finanzkrise kriecht über Grenzen und Ozeane und greift nun auch auf die Realwirtschaft über. Gründe sind unkontrollierte Gier sowie Struktur-Defizite des globalen Finanzgebäudes. Erste Not-Reparaturen haben bis dato noch keine erkennbare Wirkung gezeigt.

Das wird verständlich, wenn man die fragile Statik des Gebäudes betrachtet. Die Finanzprodukte, aus denen es erbaut ist, sind selbst vielen sogenannten Finanzexperten nicht bekannt. Klaus-Peter Müller, Ex-Commerzbank-Chef und aktueller Präsident des Bundesverbandes Deutscher Banken, bekennt freimütig, es gäbe Finanzprodukte, die selbst er nicht verstanden habe. Da geht es ihm wie vielen seiner Kunden. Die bangen nun um ihre sauer ersparten Einlagen. Was war geschehen?

Um Renditen von 20 Prozent und mehr einzufahren, ­und zwar Jahr für Jahr, ­war konventionelles Handeln mit Wertpapieren für einen modernen Banker schon lange nicht mehr ausreichend. Zu einem der wichtigsten Werkzeuge innovativer Finanzakrobaten entwickelte sich daher der Hebel. Mit seiner Hilfe kann man mit geringen Kräften gewaltige Massen bewegen. Merke: ,,Gewaltig ist des Werkers Kraft wenn er mit dem Hebel schafft.“ Mit dem Hebel erschufen die alten Ägypter bereits die Pyramiden. Der Hebel hat die Entwicklung der Menschheit entscheidend beeinflußt. Zum Positiven. Doch schon der antike Mensch wußte, daß man mit dem Hebel vorsichtig zu Werke gehen muß. Läßt man ihn zur Unzeit los, teilt er schwere Schläge aus. Das kann sogar tödlich enden. An diesem Phänomen hat sich nichts geändert. Daher ist es auch heute noch wichtig, einen Hebel erst dann loszulassen, wenn sich die zu bewegende Masse in einer stabilen Position befindet.

Moderne Finanzhebel wie Optionsgeschäfte ermöglichen es beispielsweise, große Aktienmengen mit vergleichsweise geringem Kapitaleinsatz zu bewegen. Der Kunde erwirbt dabei das Recht, Aktien an einem definierten Termin zu einem bestimmten Wert zu kaufen oder zu verkaufen. Der finanzielle Einsatz beträgt lediglich einen Bruchteil des Aktienwertes. Je nach Kursverlauf kann ein solches Geschäft zu hohen Gewinnen führen. Verläuft der Kurs jedoch anders als vorgestellt, kann am Ende einer solchen Börsen-Wette auch der Totalverlust stehen.

Bei Turbo-Bankgeschäften mit Derivaten ist zudem nicht nur für Laien die zu bewegende Finanzmasse bisweilen schwer erkennbar. Ebenso derjenige, der den Finanzhebel final in der Hand hält. Eine Folge globaler ,,Risiko­streuung“: Das globale Finanzgebäude steht in der Folge auf einer Vielzahl derartiger Hebel, die sich gegenseitig stützen und mit deren Hilfe sich einzelne Banker Milliarden in die eigene Tasche geschoben haben.

Kommen die Finanzmassen am anderen Ende des Hebels allerdings in Bewegung, wie in den letzten Wochen geschehen, so schlägt der Hebel zu, wird gleichsam zur Brechstange. Spätestens hier wird klar, daß viele unserer Banker im Physik-Unterricht nicht aufgepaßt haben. Denn bereits der alte Grieche Archimedes wußte, daß man mit einem Hebel und einem festen Punkt die Welt aus den Angeln heben kann. Genau das proben nun die Banker. Weltweit.

Zwischenzeitlich sind so viele Finanzmassen in Bewegung, daß man den schlagenden Hebeln gar nicht mehr ausweichen kann. Erste Opfer unter Bankern selbst sind zu beklagen. Die beginnen derweil schon nach dem Staat zu rufen. Noch vor Monaten ein schlechterdings undenkbares Szenario. Man fordert Steuermilliarden, um das Finanzgebäude zu retten. Das zeigt bedenkliche Schieflagen. Statt das Geld in Bildung, Infrastruktur und damit in Zukunft zu investieren, soll die mutwillig außer Kontrolle geratene Statik der Finanzbranche stabilisiert werden. Der Bürger zahlt.

Die deutsche Kontrollinstanz, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht BaFin, tat derweil das, was sie immer tat – sie versagte. Das tat sie bereits beim Neuen Markt. Die BaFin hat zugeschaut. Ohne Konsequenzen. Auch die Krisen bei IKB, KfW und HRE sind Folgen systematisch ungenügender Arbeit der BaFin. Sie ist trotz bestehender Gesetze nicht in der Lage, das Geld, die Gier und die Finanzhebel zu kontrollieren.

 

Prof. Dr.-Ing. Hans-Joachim Selenz war langjährig in Forschung, Entwicklung und Management der Stahindustrie tätig, darunter von 1994 bis 1998 als Vorstandsvorsitzender der Preussag Stahl AG. Er verlor diese Spitzenposition, nachdem er sich geweigert hatte, eine unrichtige Bilanz des Mutterkonzerns zu unterschreiben. Seitdem engagiert sich Selenz politisch, juristisch und publizistisch für die Aufklärung von Wirtschaftsdelikten im Bereich großer Konzerne und für die ethische Erneuerung in Management und Politik. Selenz stammt väterlicherseits aus Schönbruch im Kreis Bartenstein.

 

Das 480-Milliarden-Paket

Mit einem Mammutpaket von 480 Milliarden will die Bundesregierung die Krise im Bankensektor entschärfen. 400 Milliarden entfallen auf Staatsgarantien, mit denen die Geldinstitute abgesichert werden. Davon tragen 65 Prozent der Bund und 35 die Länder. Die Institute hatten sich vor allem durch riskante Hebelgeschäfte unkalkulierbare Risiken aufgehalst.

80 Milliarden Euro fließen in den sogenannten Finanzmarktstabilisierungsfonds. Mit dem Geld will Berlin den deutschen Banken faule Kredite abkaufen, ihnen vor allem aber eine staatliche Beteiligung anbieten.

Zwar strebt die Bundesregierung im Falle staatlicher Bankenbeteiligungen kein Stimmrecht an. Dennoch soll der Einstieg der öffentlichen Hand mit Auflagen für die Kreditinstitute verbunden sein: Danach werden die Managergehälter begrenzt und vorerst keine Dividenden mehr ausgezahlt. Zudem sollen die Banken zur Kreditvergabe an den Mittelstand verpflichtet werden.                                   H.H.

Foto: Unmut im Volk: Ein Demonstrant begleitete Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (ganz rechts, SPD) vergangenen Montag auf dem Weg zur Bundespressekonferenz


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