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18.10.08 / Die schwarze Nonne / Schutzengel müssen nicht im strahlenden Licht erscheinen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-08 vom 18. Oktober 2008

Die schwarze Nonne
Schutzengel müssen nicht im strahlenden Licht erscheinen

Jupp hatte es nicht weit bis zu seinem Büro, deshalb trödelte er auf seinem Weg dahin gern ein bißchen. Jeden Morgen brauchte er erst einen kleinen Anlauf, doch wenn er erst in Schwung gekommen war, lief es bei ihm, dann war er sehr fleißig und hatte produktive Ideen.

Heute kreuzte eine Nonne seinen Weg, eine freundlich lächelnde ältere Frau in schwarzer Tracht. Jupp atmete schwer. Wieso mußte er immer an Tod und Verderben denken, wenn er Nonnen sah? Weil sie so dunkel gekleidet waren?

Schnell wollte er an ihr vorüber, denn Tod und Verderben brauchte er absolut nicht, und heute morgen schon gar nicht, wo er doch das neue Projekt abschätzen wollte. Schon im voraus wußte er, daß es optimal sein würde! Doch die freundliche Ordensfrau blieb groß und breit vor ihm stehen und hielt ihm etwas Rechteckiges entgegen.

„Entschuldigen Sie, junger Mann“, sagte sie, „darf ich Ihnen dies hier überreichen? Ich habe es eben selbst geschenkt bekommen, aber Sie sehen so aus, als könnten sie es besser gebrauchen als ich. Bitte, nehmen Sie! Das wäre dann heute meine erste gute Tat!“

Jupp wunderte sich über sich selbst. Diese Nonne gefiel ihm! Nicht wegen der Sarotti-Schokolade, die er jetzt in Händen hielt, sondern wegen der Art, wie sie ihre Bitte vorgebracht hatte. Sie tat nämlich so, als würde er ihr den größten Gefallen tun, wenn er die Tafel Schokolade annähme.

Er bedankte sich, riß sogleich das Papier auf und brach ein kleines Stück für sie ab, aber sie war schon an ihm vorüber. Von weitem winkte sie ihm noch einmal zu. Mit Genuß ließ er ein winziges braunes Stückchen im Munde zergehen. Es schmeckte wunderbar, süß und auch ein wenig bitter.

Plötzlich durchfuhr ihn ein schrecklicher Gedanke. Wenn die Frau nun keine richtige Nonne gewesen und die Schokolade vergiftet war? Hatte nicht so etwas Ähnliches in der Zeitung gestanden? Verbarg sich vielleicht hinter der Nonnentracht eine Verbrecherin, die aus Lust mordete? Aber nein, das war neulich eine alte Frau in schwarzer Kleidung gewesen. Oder?

Ihm wurde schlecht. Am ganzen Körper brach ihm der Angstschweiß aus. Wieso sah er jetzt alles so verschwommen? Hilfe, die Schokolade war sein böses Schick­sal! Tod und Verderben! Sein Instinkt hatte ihn wieder einmal nicht betrogen.

Wie eine Statue fiel er um und knallte mit dem Hinterkopf auf das Pflaster. Gnädiges Dunkel umfing ihn.

Als er aus seiner Ohnmacht erwachte, sah er in Gesichter, die neugierig oder mitleidig auf ihn herunterstarrten.

„Der Mann ist schwer unterzuckert“, hörte er eine männliche Stimme, „er wollte sicher gerade die Schokolade essen, hat das aber leider nicht mehr geschafft.“ Aha, ein Arzt! Um die Ecke der Straße kam auch schon ein Krankenwagen und hielt mit quietschenden Bremsen.

So ein Pech! Wegen seiner Zuckerkrankheit hätte er darauf achten müssen, wenn es ihm nicht so wohl war. Heute hatte er nichts Süßes für solche Fälle mit. Vor allem hatte er vergessen, seine Medikamente einzunehmen! Was war er doch für ein Schussel!

Schon im Krankenwagen ging es ihm besser. Die Nonne, dachte er, ich habe mich gleich so zu ihr hingezogen gefühlt. Vielleicht war sie mein Schutzengel!

Einen Tag später las Jupp erneut von einer dunkel gekleideten Frau, die in der Stadt vergiftete Schokolade verteilt hatte. Da wurde er wieder unsicher. 

Doch ob ,seine‘  Nonne nun Engel oder Verbrecherin gewesen war, würde er wohl nie erfahren.

Jupp schlug die Zeitungsseiten zu, von einem winzigen Stück vergifteter Schokolade fällt man doch nicht gleich in Ohnmacht. Ich will einfach das Gute annehmen!      Gabriele Lins


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