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18.10.08 / Wo ein Erzbischof ermordet wurde / Canterbury hat nicht nur Schauriges zu bieten – Lebendiges Weltkulturerbe

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-08 vom 18. Oktober 2008

Wo ein Erzbischof ermordet wurde
Canterbury hat nicht nur Schauriges zu bieten – Lebendiges Weltkulturerbe

Gotteshäuser mit tragischer Geschichte, romantische Herbergen und gemütliche Cafés prägen die uralte englischen Stadt Canterbury. Ein Rundgang führt durch Englands Geschichte.

„Where is the nicest place to go?“ Wen auch immer man in Kent, Englands Grafschaft im äußersten Südosten, fragt, die Antwort lautet ausnahmslos: „Canterbury.“ In Präzisionsarbeit schiebt sich der Linienbus durch die Westgate Towers in den mittelalterlichen Kern der heute 39000 Einwohner zählenden Stadt. Nach dem Aussteigen beweisen die Kratzer im Lack, daß das mächtige, über 600 Jahre alte Stadttor eine wahre Herausforderung für den Fahrer gewesen ist. Den Besucher kümmert’s wenig. Ihn zieht es hinauf auf die imposanten Eck-türme – wegen des weiten Blicks, den man von dort auf die Stadt hat.

Besonderer Anziehungspunkt für die 2,5 Millionen Besucher jährlich ist die von der Unesco zum Weltkulturerbe erhobene Kathedrale. Dieser älteste gotische Bau auf britischem Boden erlebte am 29. Dezember 1170 auf einer Seitentreppe des Hochaltars den legendären Mord an Erzbischof Thomas Becket, der die Unabhängigkeit von der Krone erstrebte. Ein tragisches Ereignis, das für Canterbury jedoch keineswegs schlechte Früchte trug. Im Gegenteil: Becket, dessen Grab sich als wundertätig erwies, war nach kürzester Zeit heiliggesprochen worden und die Kathedrale bald die reichste Wallfahrtskirche Europas.

1174 stand das Gotteshaus in Flammen, zerstört wurde glücklicherweise nur der Chor. Zum Wiederaufbau holte man sich Guillaume de Sens, mit dem ein Jahr später die französische Gotik Einzug in die Kathedrale hielt. Der Kunstinteressierte kann mit dem Studium aller Details viel Zeit verbringen. Dennoch sollte er den Gottesdienst nicht versäumen, dessen traditionelles anglikanisches Zeremoniell die Bedeutung des Ortes vor Augen führt: Mit schwerem Amtsstab geleitet der Hauptküster die Prediger zur Kanzel, hell ertönen die Stimmen des Knabenchors zwischen Bibellesungen und Predigt.

Ein nicht geringerer Traditionsträger beschließt im Norden die Domfreiheit: die King’s School. William Somerset Maugham (1874–1965), einer ihrer berühmtesten Schüler, schildert in seinem Roman „Of Human Bon­dage“ das Schulleben.

Jeder noch so sorgfältige Rundgang durch die Kathedrale wird eines nicht offenbaren: Thomas Beckets vor Edelsteinen und Gold strotzenden Reliquienschrein. Dieser wurde bereits während der englischen Reformation 1538 zerstört. Eine vage Vorstellung gibt die Nachbildung in der nahen ehemaligen Pfarrkirche St. Margaret. Heute zur Besucherattraktion umfunktioniert, entführt das Museum den Besucher in die Welt der Canterbury Tales, der berühmten Geschichten von Geoffrey Chaucer (um 1340–1400), mit denen sich die Pilger auf ihrer Reise zu überbieten suchten. Fünf Geschichten werden in allen Touristensprachen erzählt und anschaulich vor Augen geführt.

Zurück in der Wirklichkeit, ist das Leben mindestens genauso aufregend. Den Verlockungen der Cafés in Canterbury ist schließlich kaum zu widerstehen. Der malerischste Platz ist „The Old Buttermarket“ mit direktem Blick auf Canterburys romantischste Herberge. In dem historischen Cathedral Gate Hotel (36 Burgate) mit seinen 27 Zimmern im Tudorstil haben schon Pilger übernachtet, als es die angrenzende Pilgerpforte noch gar nicht gab. Die dekorative Christ Church Gate von 1517 gibt mit ihren schlanken, in die Höhe strebenden Stabformen an den Türmen ein hübsches Beispiel des Perpendicular Style.

Die pittoresken „Alten Weberhäuser“ in der High Street stammen aus der Zeit um 1500. Ihr dunkelbraunes Fachwerk im weißen Gemäuer läßt Erinnerungen an die Normandie aufkommen. Ihren Namen verdanken sie den Hugenotten, die hier im 16. Jahrhundert Einzug hielten. Heute beherbergt das Ensemble ein italienisches Restaurant. Ob mexikanisch, arabisch, indisch, chinesisch oder auch englisch, die Küche der 55 im Touristenführer verzeichneten Lokalitäten in Canterbury ist international.

Bis zu später Stunde hat Canterbury noch so einiges zu bieten. Da gibt es etwa historische Bootstouren und andere River Trips auf dem Stour entlang der blühenden Westgate Gardens, den Resten der alten Stadtmauer und versteckter Gassen. Ein Hauch Venedig mitten in England. Ein interaktives Geschichtsmuseum für die ganze Familie ist das Museum of Canterbury, in dem es unter anderem das Geheimnis um Leben und Tod von Christopher Marlowe zu entdecken gilt.

Der 1564 geborene Sohn der Stadt hat als bedeutendster englischer Dramatiker vor Shake­speare nicht nur spannende Dramen geschrieben, auch sein eigenes Leben war äußerst bewegt. 1593 wurde er in Deptford im Streit erstochen.

Schließlich besitzt Canterbury noch zwei weitere Weltkulturerbe-Stätten außerhalb der Stadtmauern. Nicht weit östlich der Kathedrale liegen die Ruinen von St Augustine’s Abbey sowie ganz in ihrer Nähe St Martin’s Church, Englands älteste Pfarrkirche.

Helga Schnehagen

Foto: Malerisches Canterbury: Die hugenottischen Weberhäuser am Flüßchen Stour


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