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25.10.08 / Aufmarsch der Bücherfreunde / Die Frankfurter Buchmesse hat einen neuen Besucherrekord erzielt – Kleinverlage mit Charme

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-08 vom 25. Oktober 2008

Aufmarsch der Bücherfreunde
Die Frankfurter Buchmesse hat einen neuen Besucherrekord erzielt – Kleinverlage mit Charme

Das Angebot der Buchmesse ist fast erschlagend. An den Ständen kleiner Verlage fanden gestreßte Besucher Inseln der Muße.

Es ist wie bei einem entstehenden Wirbel auf einer staubigen Straße im Sommer – nur daß seine Teilchen Arme, Beine und menschliche Körper sind: Anfangs kreisen sie orientierungslos umher, prallen aufeinander und streben dann instinktiv nach oben, aber glücklicherweise bleiben die Gesetze der Gravitation in Kraft: Nur gereizte Worte fliegen durch die trockene Luft und zwei Handtaschen zu Boden. Leseratten sind gewöhnlich recht angenehme Zeitgenossen. Aber in diesem Jahr werden sie sich in Frankfurt selbst zur Plage. 78218 Besucher, so verzeichnen später die Veranstalter stolz, haben am 18. Ok-tober das Ausstellungsgelände besucht, ein Rekord in der Geschichte der Buchmesse – und ein Gedränge, daß selbst jene Türken und Kurden zu Schulterschluß verpflichtet hätte, die sich dort zwei Tage zuvor wegen des Verkaufs einiger Landkarten geprügelt haben. Angesichts derjenigen, die unaufhörlich aus den Türen quellen, schlägt mancher Besucher entnervt Einladungen aus, wie andere Fernsehpreise: Etwa die zum Auftritt von Filmregisseur Volker Schlöndorff zu gehen, der in Halle 4.1 auf dem „Blauen Sofa“ über seine Autobiographie spricht oder zum Gespräch mit Reinhold Messner an derselben Stelle.

Aber – das ziellose „Sich-treiben-lassen“, dem sich viele der Besucher ergeben müssen, hat auch sein Gutes: Denn nicht nur am Suhrkamp-Stand, wo der diesjährige Gewinner des Deutschen Buchpreises Uwe Tellkamp übergroß von einem Porträt lächelt und die Scheinwerfer ansonsten eine Mauer aus Köpfen beleuchten, läßt sich Interessantes entdecken: Gerade in dem Maße, wie die kleinen, eher unbeachteten Stände zu Refugien vor der Menge werden, eröffnen sich oft ungeahnte Bücherwelten: So beim Münchner Verlag „Belle-ville“, der in diesem Jahr seinen 25. Geburtstag feiert. Hier vertreiben Gedanken an Brigitte Helm die temporäre Misanthropie – samt einem Stuhl, lächelnd offeriert von müden Vertretern. Dem einstigen Vamp des deutschen Kinos der 1920er und 1930er Jahre hat das Haus einen schönen Bildband gewidmet, der Klappentext verrät, daß man dem Mythos der „Maschinenfrau“ aus Fritz Langs „Metropolis“ nachspüren wolle. Ein Blick auf ein zweites Buch bewirkt ein „Aha-Erlebnis“ und verlängert den Aufenthalt: Der ungarische Graf László Almászy war also auch selber ein Schriftsteller. Der Titel seiner Erzählung verspricht abenteuerliche Spannung: „Mit Rommels Korps in Libyen“. Tatsächlich scheinen die kleinen Repräsentanzen zu gewinnen: Immer wieder nehmen sie vom Gewusel ermattete Leser auf, wie Inseln gestrandete Schiffbrüchige – zu wünschen wäre es ihnen auch an anderen Tagen. Wer kennt schon den „Wallstein-Verlag“ aus Göttingen und sein Programm von ausgewählten belletristischen und historischen Büchern? Wer hat jemals von der Dresdner „Widukind Presse“ gehört, ein Kunstverlag, der sich auf teure Faksimile spezialisiert? Sein kaum zwei Quadratmeter großer Stand beherbergt wahre Kostbarkeiten: Baude-laires „Blumen des Bösen“ gibt es dort, in der Stefan-George-Fassung, versehen mit Originalgraphiken. Ein Schulmädchen, offenkundig aus Hessen, empört sich über den Preis der Rarität. Nie und nimmer würde sie eine solche Summe für ein einfaches Buch zahlen! Da schmunzelt der Vertreter leicht irritiert: der Band kostet 680 Euro. Manchmal ist es wie im Buchmuseum und im Theater zugleich.

Und noch etwas ist angenehm, abseits der großen Verlagsstände. Man(n) hat wieder Blicke für Menschen und daher auch für die Frauen. Sie sind etwas überrepräsentiert im Aufmarsch der Bücherfreunde, der Flirtfaktor ist entsprechend hoch: Immer wieder wirft man sich ein Lächeln zu – das bestärkt den Mut zur charmanten Frechheit: So an einer Kreuzung der Gänge, wo eine junge Frau zur Autorenlesung bei „Blue-Panther-Books“ einlädt: „Gleich gibt es erotische Geschichten“, sagt sie und verteilt lächelnd Handzettel. „Mit ihnen?“ gibt da ein Mann schlagfertig zurück. „Leider nein“, geht es ihr ebenso rasch von den Lippen, und es bleibt offen, ob aus Bedauern oder Zerstreutheit.          Michael Böhm

 

Die im Dunkeln sieht man nicht

Einige „Foren“ und fünf Hallen mit mehreren Ebenen, auf jeder zirka 300 Stände – in diesem Gewimmel waren auch Verlage aus Bosnien und dem Kosovo präsent. Ihre Stände hätten mehr Aufmerksamkeit verdient, aber wie macht man Bücher in Regionen, die Kriege hinter sich haben und ethnisch, politisch und kulturell zutiefst gespalten sind?

„Bosnien ist ein kleiner Buchmarkt“, sagt die Lyrikerin und Kritikerin Adis Basic aus Sarajevo, „der noch unter Serben, Kroaten und Bosniern aufgeteilt ist.“ Zudem besteht eine Analphabetenrate von zirka 35 Prozent. Wenn man überhaupt liest, dann Zeitungen – die interessante junge Literatur Bosniens wird übersehen. Aber das könnte sich im Maße ethnischer Befriedung und ökonomischer Erholung bessern. Viel gravierender ist das sprachliche Problem, erläutert der Kulturpolitiker Ibrahim Spahic: Früher sprachen alle die gemeinsame „serbokroatische“ Sprache, dann insistierten Kroaten auf „Kroatisch“, Serben auf „Serbisch“, und so blieb Bosniern nur übrig, auf die „bosnisch Sprache“ zurückzugreifen, die vor 120 Jahren Benjamin Kallay, Habsburger Gouverneur in Bosnien, propagiert hatte.

Eine gewisse Erleichterung für die Verleger sind die Schulbücher. Das Kosovo hat die höchsten Geburtenrate Europas, 2008 wurden 38000 Erstklässler eingeschult – stolz zeigt Verleger Basha die gut gemachten Fibeln, die sein Verlag herausbringt, wobei er natürlich weiß, daß zahlreiche Kinder der Schule fern bleiben, weil viele Eltern nicht das nötige Geld haben.     W.O.

Foto: Größte Buchausstellung der Welt: Genau 299112 Besucher drängten sich auf 17 Hektar Ausstellungsfläche


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