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25.10.08 / Er schuf Gottsucher und Wahrheitsverkünder / Zum 70. Todestag des Bildhauers Ernst Barlach – Lebenslange Auseinandersetzung mit der menschlichen Figur

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-08 vom 25. Oktober 2008

Er schuf Gottsucher und Wahrheitsverkünder
Zum 70. Todestag des Bildhauers Ernst Barlach – Lebenslange Auseinandersetzung mit der menschlichen Figur

Man klebt die Etiketten ‚kultisch‘ und ‚mystisch‘ auf meine Arbeiten und zerbricht sich den Kopf darüber, welche Rätsel ich aufgebe und mit wie viel Geschick ich deren Lösung erschwere. Mein Glaube ist: Was sich nicht in Worten ausdrücken läßt, kann durch die Form verfügbar werden und in den Besitz eines anderen übergehen. Ich brauche einen Gegenstand, an dem ich mir die Zähne zu Stücken zerbeiße“, schrieb Ernst Barlach sechs Jahre vor seinem Tod 1938. Dennoch wirkt ein Klischee, das vom weltfernen Gottsucher Ernst Barlach, bis heute nach. Das Werk des bedeutenden expressionistischen Bildhauers, Zeichners und Schriftstellers, der vor 70 Jahren in einem Rostocker Krankenhaus starb, bleibt gleichwohl vielschichtig und ambivalent. Barlachs lebenslange Auseinandersetzung mit der menschlichen Figur verbindet das Streben nach Überzeitlichkeit mit Zeitkritik, konkrete Beobachtung mit Abstraktion, ein karges Formenrepertoire mit Vitalität und Bedeutungsfülle. Im Bemühen um zeitlos gültige Aussagen über das Menschsein spart Barlach eine kritische Sicht auf die Gegenwart nicht aus – seine Kunst spiegelt soziale Not und widersetzt sich bürgerlichen Konventionen.

Oft wurde das Schaffen von Ernst Barlach mit dem der Königsbergerin Käthe Kollwitz (1867–1945) verglichen, manches Mal sogar damit verwechselt. Vieles, was sie schufen – Zeichnungen, Druckgraphik und Skulpturen –, weist Gemeinsamkeiten auf. Und doch ist jeder seinen eigenen Weg gegangen.

1898 trafen auf der Großen Berliner Kunstausstellung ihre Werke zum erstenmal aufeinander. Käthe Kollwitz war mit ihrem „Weberaufstand“ zu sehen, während Barlach seine „Krautpflückerin“ und ein Grabrelief präsentierte. Als in Deutschland die „entartete Kunst“, zu der auch Werke von Kollwitz und Barlach gezählt wurden, aus den Museen entfernt wurde und ins Ausland gelangte, zeigte die National Gallery in Washington eine stattliche Reihe von Zeichnungen der beiden. 1948/49 war in Schweden eine gemeinsame Ausstellung zu sehen, es folgten 1967/68 Ungarn, England, die USA, 1976/78 sogar Australien.

Wie sehr die Kunst Barlachs die Königsbergerin beeindruckte, zeigt eine Tagebuchnotiz vom 25. Juni 1920: „Gestern mit Professor Kern in den Sezessionen gewesen. Da sah ich etwas, was mich ganz umschmiß: das waren Barlachs Holzschnitte. Heut hab ich meine Steindrucke wieder angesehn und hab wieder gesehn, daß sie fast alle nicht gut sind. Barlach hat seinen Weg gefunden und ich hab ihn noch nicht gefunden.“

Anders als Barlach, der 1906 auf seiner Reise nach Rußland dem Elend der Bevölkerung begegnete und durch dieses zu seinen Arbeiten angeregt wurde, hat Käthe Kollwitz durch eigenes schweres Leid wie den Tod des Sohnes Peter im Ersten Weltkrieg und durch die Eindrücke, die sie als Frau des Armenarztes Hans Kollwitz in Berlin erhielt, wesentliche Impulse für ihr Schaffen erhalten. Sie steht mitten im Leben, während Barlach eher als der Künstler gilt, welcher der Welt entsagt. So sind denn auch seine Arbeiten mehr ein Sinnbild für die Situation der Menschen, zeigen sie Gottsucher und Wahrheitsverkünder. Gemeinsam aber ist ihnen der Kampf gegen alles Unmenschliche.

Als Barlach 1938 in einem Rostocker Krankenhaus starb, fuhr Käthe Kollwitz zur Trauerfeier nach Güstrow. Eindrucksvoll ihre Schilderung der Begegnung mit dem toten Kollegen: „Der Sarg steht in der Mitte des Raumes. Er ist feierlich und kostbar aufgebaut. Ein schwarzer Teppich und weiße Atlasdecken. Barlach ist ganz klein. Er liegt mit ganz zur Seite gesenktem Kopf – als ob er sich verbergen wolle. Die weggestreckten und nebeneinander gelegten Hände ganz klein und ganz mager. Ringsherum an den Wänden seine schweigenden Gestalten. Hinter dem Sarge Tannen aufgebaut. Über dem Sarge die Maske des Güstrower Dom-Engels. Um den Sarg herum läuft sein kleiner Hund und schnuppert zu ihm auf ...“

Ein Höhepunkt im Schaffen des Bildhauers ist zweifelsohne der Güstrower Dom-Engel, der die Züge der Kollwitz trägt, wenn auch nur zufällig, wie Barlach betonte. „Rein zufällig, nicht beabsichtigt. Übrigens, ganz nebenbei, ist die Kollwitz ja wohl einer Ehrung wert.“

Leider ist die Kohlezeichnung, die Käthe Kollwitz vom toten Barlach anfertigte, nur selten zu sehen – zu empfindlich ist das Blatt, um lange dem Tageslicht ausgesetzt zu werden. In dem Relief „Die Klage“, das Kollwitz aus dem Eindruck des toten Kollegen heraus schuf, ist ihre tiefe Betroffenheit zu spüren. Im November 1938 schrieb sie in ihr Tagebuch: „Es ist mir manchmal, als ob der tote Barlach mir seinen Segen hinterlassen hat. Ich kann gut arbeiten. Es ist wie eine konstante Erregung, die mich überkommen hat.“   Silke Osman


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