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25.10.08 / Als Kaiser und Kanzler versagten / Die »Daily Telegraph«-Affäre kostete Wilhelm II. kurzfristig das Selbstbewußsein und v. Bülow langfristig das Amt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-08 vom 25. Oktober 2008

Als Kaiser und Kanzler versagten
Die »Daily Telegraph«-Affäre kostete Wilhelm II. kurzfristig das Selbstbewußsein und v. Bülow langfristig das Amt

Vor 100 Jahren erschien in der britischen Zeitung „The Daily Telegraph“ ein Artikel, der wie eine Bombe einschlug. Unter der Überschrift „The German Emperor and England“ (Der Deutsche Kaiser und England) veröffentlichte das Londoner Blatt im privaten Kreise getätigte Äußerungen des deutschen Staatsoberhauptes, die geeignet waren, Franzosen, Russen, Japaner, Chinesen und Buren sowie auch Engländer und Deutsche gegen ihn aufzubringen. Dabei war der in der Zeitung namentlich nicht genannte Verfasser des Beitrags absolut kein Gegner des Kaisers, ganz im Gegen­teil. Edward Stuart-Wortley, so der Name des britischen Obersten, wollte vielmehr dem Deutschen ein britisches Sprachrohr bieten.

Ende 1907 war er Gastgeber Wilhelms II. gewesen, als dieser auf Highcliffe Castle Urlaub machte. Sein kaiserlicher Gast revanchierte sich mit einer Gegeneinladung zu den Kaisermanövern im Herbst des darauffolgenden Jahres. Dabei hatte sich die Möglichkeit zu einem ausgiebigeren Meinungsaustausch ergeben. Beide teilten die Idee, daß es dem Verständnis der Engländer für den Kaiser und sein Reich dienen könnte, wenn vor allem die britische Öffentlichkeit über die von Wilhelm II. im Dialog gemachten Aussagen informiert würde. Nichts anderes tat Stuart-Wortley.

In seinem „Daily Telegraph“-Artikel wird der Kaiser bezüglich seines eigenen Volkes wie folgt wiedergegeben: „Ich wiederhole ..., daß ich ein Freund Englands bin, aber ihr erschwert mir die Dinge. Meine Aufgabe ist keine von den leichtesten. Das überwiegende Gefühl in großen Teilen der mittleren und unteren Klassen meines eigenen Volkes ist England nicht freundlich. Ich befinde mich sozusagen in einer Minderheit in meinem eignen Land, aber es ist eine Minderheit der besten Kreise, gerade so wie in England gegenüber Deutschland.“ Damit distanzierte sich der Kaiser von der Mehrheit seines eigenen Volkes und bestärkte die Briten in ihrer Sorge, daß die Deutschen ihnen feindlich gesonnen seien.

Bezüglich des britischen Krieges gegen die Buren wird das Staatsoberhaupt mit den Worten zitiert: „Als der Burenkrieg auf seiner Höhe war, wurde die deutsche Regierung von Rußland und Frankreich eingeladen, sich mit ihnen zu verbünden und England aufzufordern, dem Krieg ein Ende zu machen. Der Augenblick sei gekommen, sagten sie, nicht nur die Burenrepubliken zu retten, sondern auch England in den Staub zu demütigen. Was war meine Antwort? Ich sagte, daß Deutschland, weit entfernt, sich einem europäischen Vorgehen anzuschließen, um auf England einen Druck auszuüben und es zu erniedrigen, stets eine Politik vermeiden müsse, die es in Verwicklungen mit einer Seemacht wie England bringen könne.“ Mit diesen Worten brachte Wilhelm II. nicht nur die zahlreichen Burenfreunde in Deutschland gegen sich auf, sondern auch Franzosen und Russen, welche die Worte als Indiskretion und als Versuch interpretieren mußten, die Engländer gegen sie aufzuhetzen.

Weiter wird Wilhelm mit den Worten zitiert „Ich ließ mir von einem meiner Offiziere einen möglichst genauen Bericht über die Zahl der Kämpfer auf beiden Seiten in Südafrika und über die gegenwärtige Stellung der einander gegenüberliegenden Streitkräfte geben. Mit den Zeichnungen vor mir arbeitete ich den mir unter diesen Umständen am besten scheinenden Feldzugsplan aus und übermittelte ihn meinem Generalstab zu seiner Begutachtung. Dann schickte ich ihn eiligst nach England und auch dieses Papier wartet unter den Staatspapieren in Windsor Castle des ernsthaften und unparteiischen Urteils der Geschichte. Als merkwürdiges Zusammentreffen lassen Sie mich hinzufügen, daß der von mir aufgestellte Plan demjenigen sehr nahe kam, welcher wirklich von Lord Roberts angenommen und von ihm erfolgreich durchgeführt wurde.“ Damit bezichtigte sich Wilhelm nicht nur als Schuldiger an der gemeinhin in Deutschland bedauerten Niederlage der Buren, sondern beleidigte die Briten auch noch mit der Behauptung, ihren Sieg nicht aus eigener Kraft errungen zu haben, sondern ihm zu verdanken. Einmal mehr bestätigte er damit das Klischee vom überheblichen und anmaßenden, wenn nicht gar größenwahnsinnigen Wilhelminischen Reich.

Zum deutsch-englischen Flottenstreit wurde Wilhelm wie folgt zitiert: „Deutschland blickt vorwärts, sein Horizont erstreckt sich weit, es muß gerüstet sein für alle Möglichkeiten im fernen Osten. Wer kann im voraus wissen, was sich in kommenden Tagen im Stillen Ozean ereignen mag, Tagen, nicht so fern, als man glaubt, aber Tagen, in jedem Falle, für die alle europäischen Mächte mit fernöstlichen Interessen sich mit Festigkeit vorbereiten sollten. Siehe den vollendeten Aufstieg Japans. Denken Sie an das mögliche nationale Erwachen von China und dann urteilen Sie über die weiteren Probleme des Stillen Ozeans. Nur auf die Stimme von Mächten mit starken Flotten wird mit Achtung gehört werden, wenn die Frage der Zukunft des Stillen Ozeans zu lösen sein wird. Und schon aus diesem Grunde muß Deutschland eine starke Flotte haben. Es mag sogar sein, daß selbst England einmal froh sein wird, daß Deutschland eine Flotte hat, wenn sie beide zusammen gemeinsam auf derselben Seite in den großen Debatten der Zukunft ihre Stimmen erheben werden.“ Damit unterstellte Wilhelm auch noch den auf ihre Flotte so stolzen Briten möglicherweise noch einmal für Deutschlands Hilfe auf diesem Gebiete dankbar zu sein, und brandmarkte neben den Chinesen vor allem die an und für sich preußenfreundlichen Japaner, potentielle zukünftige Feinde zu sein.

Es gab also kaum einen Machtfaktor der damaligen Welt, dem mit den Wilhelm-Zitaten nicht auf die Füße getreten wurde. Nun könnte man meinen, Wilhelm sei das Opfer einer Verleumdung oder doch zumindest das Opfer einer Indiskretion geworden. Dem ist allerdings nicht so. Vielmehr hat Stuart-Wortley sich absolut korrekt verhalten und vor der Veröffentlichung seines Artikels im „Daily Telegraph“ des Kaisers Einverständnis eingeholt. Wilhelm war nicht etwa entsetzt, sondern fand das Manuskript „gut geschrieben und seine Worte wahrheitsgetreu wiedergegeben“. Wenigstens war der Kaiser entgegen der ihm so gerne unterstellten Neigung zum selbstherrlichen „persönlichen Regiment“ so umsichtig, den Text vor der Freigabe an den Reichskanzler weiterzuleiten – und hier beginnt die Schuld von Kanzler Bernhard von Bülow.

In der Forschung ist umstritten, ob sich der Regierungschef überhaupt die Mühe machte, den Text zu lesen. Jedenfalls gab er ihn ohne Beanstandungen an die Reichskanzlei weiter, wo er nur auf die sachliche Richtigkeit der Wilhelm-Äußerungen hin überprüft wurde, aber nicht auf seine politische Sprengkraft, weil man dort davon ausging, daß diese Aufgabe Kaiser und Kanzler zukämen, über deren Schreibtische der Text ja bereits gegangen war.

So nahm das Unglück seinen Lauf, und der Text kam ohne politisch wesentliche Veränderungen zur Veröffentlichung. Ein Sturm der Entrüstung brach daraufhin los. Um sich selber zu schützen, verzichtete der Kanzler darauf, sich vor den Kaiser zu stellen, den so die volle Kritik traf. Das führte dazu, daß Wilhelms Selbstvertrauen kurzfristig erheblich angeknackst war. Längerfristig führte es dazu, daß Bülow sein Amt verlor. Der Kaiser fühlte sich durch seinen Kanzler verraten – und gab ihn zum Abschuß frei.        Manuel Ruoff


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