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25.10.08 / »Wir vergeben, was wir hier erlitten« / Internierte der Militärsowchose Nr. 141 in Brakupönen kehrten an den Ort ihrer Leiden zurück

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-08 vom 25. Oktober 2008

»Wir vergeben, was wir hier erlitten«
Internierte der Militärsowchose Nr. 141 in Brakupönen kehrten an den Ort ihrer Leiden zurück

„Wir vergeben, was wir hier erlitten“ – unter diesem Motto unternahmen 16 ehemalige Internierte der Militär-Sowchose Nr. 141 zusammen mit knapp doppelt so vielen Angehörigen und Bekannten eine Reise nach Brakupönen, Kreis Gumbinnen.

In Brakupönen waren in den Jahren 1945 bis 1948 etwa 2000 bis 3000 Deutsche interniert. Die genaue Zahl ist unbekannt, weil es ein ständiges Kommen und Gehen war. Höchstens 1000 Personen haben überlebt. Auf dem Friedhof, auf dem die Verstorbenen beerdigt wurden, hat man 1953 Schweineställe gebaut. Die Reise begann am 14. September im mecklenburgischen Hagenow und führte über den Berliner Ring, über Stettin, Köslin und Stolp, an Danzig vorbei, nach Marienburg zur Zwischenübernachtung. Organisiert wurde die Reise von Helmut Spies, Vorsitzender der Ostpreußen in Hagenow und selber einst in Brakupönen interniert.

Am nächsten Tag wurde die Marienburg besichtigt, leider nur von außen, weil Ruhetag. Am Ufer des Frischen Haffes wurde in Erinnerung an die Hunderttausende von Landsleuten, die im bitterkalten Winter 1944/45 über das Eis fliehen mußten, eine kleine Gedenkpause eingelegt. Über Cadinen mit seiner 1000jährigen Eiche ging es zum Grenzübergang Braunsberg-Heiligenbeil. Die Abfertigungsprozedur dauerte nur eineinhalb Stunden, so daß die Gruppe bereits um 16.30 Uhr Königsberg erreichte.

Ostpreußens Hauptstadt ist moderner geworden. Gläserne Einkaufspaläste, aufgemotzte Zentralplätze wie beispielsweise der Hansaplatz mit der Siegessäule und der orthodoxen Kathedrale erzeugen Großstadtatmosphäre. Das flache Land dagegen sieht trostlos aus. Die wenigen Dörfer kennzeichnen Apathie und Verfall, die Kirchenruinen sind besonders bedrückend. Die Ackerflächen liegen brach, landwirtschaftliche Tätigkeit ist nicht erkennbar. Untergebracht war die Gruppe im Hotel Baltika am Ostrand der Stadt.

Am Dienstag besuchte die Gruppe das Deutsch-Russische Haus, das seit 1983 besteht. Es soll die deutsch-russische Zusammenarbeit unter besonderer Berück­sichtigung der wirtschaftlichen Kontakte pflegen. Erstmals seit Januar dieses Jahres steht der Einrichtung einer russischer Direktor vor. Direktor Andrej Portnijagin spricht akzentfrei deutsch, er hat mehrere Jahre in Berlin studiert. Er gibt eine Lageeinschätzung zur gegenwärtigen politischen und wirtschaftlichen Situation. Das Haus wird mit Bundesmitteln über die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit in Eschborn finanziert. Es ist offen für alle Einwohner, neben kulturellen Veranstaltungen werden jährlich von ehemals 70 noch 50 Deutschkurse durchgeführt. Es werden Konzerte und Lesungen durchgeführt, beispielsweise mit Günter Grass oder Arno Surmin­ski. Weiter werden neue deutsche Filme gezeigt und spezielle Gesundheitsprogramme angeboten. Neben zwölf hauptamtlichen verfügt das Haus über 50 bis 60 ehrenamtliche Mitarbeiter. Für humanitäre Hilfsleistungen werden jährlich rund 20000 Euro ausgegeben.

Am Mittwoch besuchte die Gruppe das Dokumentationszentrum des Staatlichen Archivs in Königsberg. Anschließend sollte ein Treffen mit Studenten stattfinden, um zu erfahren, wie sie die Geburtsheimat der Ostdeutschen als ihre Heimat angenommen haben. Dieses Treffen kam aus fadenscheinigen Gründen nicht zustande.

Die Leiterin des Archivs hielt einen langen Vortrag über die Gründung ihrer Einrichtung im Jahre 1946. Die Zuhörer erfuhren, daß es etwa 400000 Dokumente besitzt, die seit 1991 einsehbar sind, und daß das Archiv die Grundlage für zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten sowie für Filme geliefert hat.

Als Fragen zum Arbeitslager Brakupönen gestellt wurden, erklärte sie, daß sich die diesbezüglichen Unterlagen in einem Archiv in Gumbinnen befänden. Auf energisches Nachfragen wurden Anschrift und Faxnummer des Archivs in Gumbinnen mitgeteilt. Es stellte sich heraus, daß das Fax mit kyrillischen Buchstaben geschrieben werden mußte, was bei deutschen Personennamen schwierig ist. Durch die mitreisende Ludmilla Trottner wurde diese Hürde gemeistert und die Gruppe zum Folgetag angemeldet.

Hintergrund des Interesses an den Archivalien zum Arbeitslager Brakupönen ist, daß dieser Teil der Biographie der Betroffenen bisher nicht beweiskräftig nachgewiesen werden konnte und folglich bei der Berechnung der Renten keine Berücksichtigung fand. Die Bundesrepublik, die Rentenversicherung und selbst der Bund der Vertriebenen haben bisher keine Anstrengungen unternommen, erlittenes Unrecht der Arbeitslagerinsassen aufzuklären, geschweige denn als Arbeitsjahre anzuerkennen.

Höhepunkt der Reise war am Donnerstag die Fahrt über Tapiau, Insterburg und Gumbinnen nach Brakupönen zur ehemaligen Militär-Sowchose Nr. 141. Spies erklärte, daß Brakupönen vor der sowjetischen Besetzung ein Remonte-Depot mit mehreren Vorwerken gewesen sei, das sich vorwiegend mit der Ausbildung von Militärpferden (Remonten) beschäftigt habe. Das Dorf macht, wie fast alle ländlichen Siedlungen der Region, einen heruntergekommenen Eindruck. Die Gebäude verfallen. Auch das Umfeld der ehemaligen Insthäuser (Gutsarbeiterhäuser) ist ungepflegt. Der Omnibus hielt vor dem Kulturhaus des Dorfes, das sauber und ordentlich aussah. Da die Gruppe noch etwas Zeit hat, macht sich jeder auf Spurensuche.

Um 14 Uhr wird die Gruppe von der Leiterin des Kulturhauses und dem Bürgermeister, der für acht Dörfer mit insgesamt 14000 Einwohnern zuständig ist, sowie von dem mit Spies befreundeten Historiker Awenir Owjanow samt Gattin empfangen. In einer kleinen Heimatstube wird die Zeit des schweren Anfangs der zugewanderten russischen Bevölkerung aufgezeigt. Der große Kulturraum war feierlich eingedeckt. Die Gruppe wurde mit zehn russischen Senioren von Brakupönen bekannt gemacht. Sie alle waren im Zeitraum 1947 bis 1949 freiwillig in drei Wellen aus Weißrußland, der Ukraine und aus Zentralrußland eingewandert. Nunmehr ist schon die vierte Generation hier geboren. Es wurden von beiden Seiten freundliche Worte ausgetauscht, die einfachen Menschen verstanden sich schon immer, Kriege werden von Politikern ausgelöst.

Nach diesem Gedankenaustausch gehen die Menschen gemeinsam zum Ehrenmal der gefallenen russischen und deutschen Soldaten des Ersten Weltkrieges. Ein Blumengebinde wird niedergelegt. Spies findet nochmals ehrende Worte des Gedenkens. Abschließend spricht Pastor Jochen Schneiderat, dessen Frau auch im Arbeitslager Brakupönen war. Er sagte, Gott sei traurig, wenn Menschen einander umbrächten, aber er habe ihnen auch diese Freiheit gegeben. Gott wolle, daß die Menschen nach seinen Geboten lebten. Es folgten Worte des gegenseitigen Vergebens und das gemeinsame „Vater unser“. Man hatte den Eindruck, daß die Menschen auf beiden Seiten erleichtert waren, als hätten sie eine schwere Last abgelegt.

Den letzten Tag konnte jeder Reiseteilnehmer individuell gestaltete. Die meisten suchten ihre Geburtsorte auf und nahmen leise Abschied. Auf der Rückreise passierte die Gruppe Tharau und den Grenzort Preußisch Eylau. Zwei Reiseteilnehmerinnen suchten und fanden hier das ehemalige russische Kinderheim, in dem sie mehrere Kinderjahre zwischen 1945 und 1947 verbrachten.

Die Grenzformalitäten erforderten zweieinhalb Stunden. Die Polen ließen sich viel Zeit. Über Allenstein ging es nach Thorn zur letzten Übernachtung.

An den Abenden während der Reise wurden die Tagesereignisse in gemütlicher Runde ausgewertet. Manche „vergrabene“ Geschichte kam dabei zum Vorschein. Die Atmosphäre war entspannt, und so fuhr ein jeder mit dem guten Gefühl zurück, ein Stück eigener Vergangenheit positiv bewältigt zu haben.          

Arno Steinberger

Foto: Besinnliche Worte: Pastor Jochen Schneiderat spricht am Ehrenmal der gefallenen russischen und deutschen Soldaten des Ersten Weltkrieges in Brakupönen. Ganz in der Nähe starben in den Jahren 1945 bis 1948 rund 1500 deutsche Internierte.


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