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01.11.08 / Spagat zwischen Moskau und Brüssel / Weißrußland bittet zur Abwendung der Finanzkrise West und Ost um Milliardenkredite

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-08 vom 01. November 2008

Spagat zwischen Moskau und Brüssel
Weißrußland bittet zur Abwendung der Finanzkrise West und Ost um Milliardenkredite

Die weltweite Finanzkrise   schlägt Wellen. Sie macht auch vor dem weitgehend isolierten Weißrußland nicht halt. Aufgrund der hohen Kreditnachfrage im Inland sind die Reserven der Nationalbank von 5,6 auf 4,9 Milliarden US-Dollar gesunken.

Nun benötigt Präsident Alexander Lukaschenko ausländisches Geld. Obwohl der Präsident bislang schwerwiegende Folgen der Krise für die Wirtschaft seines Landes abstreitet, bat er zur Stützung der Währungsreserven der weißrussischen Nationalbank um Kredite in Höhe von zwei Milliarden Dollar bei Banken in West und Ost: Kreditanträge stellte Minsk sowohl beim Internationalen Währungsfonds IWF als auch bei der russischen Nationalbank. Während der Westen den Antrag noch prüft, erteilte Rußlands Außenminister Alexej Kudrin bereits eine Zusage. Das Tauziehen um Weißrußland als Handelspartner hat begonnen.

Nachdem Lukaschenko, der bislang als letzter Diktator Europas galt, inhaftierte Oppositionelle freigelassen und internationale Wahlbeobachter zur Parlamentswahl zugelassen hatte, zeigte sich die Europäische Union versöhnlich und lockerte ihre Sanktionen gegenüber weißrussischen Politikern, wenn auch zunächsst nur für ein halbes Jahr.

Lukaschenkos Rechnung ist aufgegangen: Das seit Jahren mit westlichen Sanktionen belegte Land ist wieder in den Mittelpunkt des Interesses auch der EU gerückt. Eine Normalisierung der Beziehung mit Brüssel hat für beide Seiten zahlreiche wirtschaftliche Vorteile.

Weißrußland sucht seit langem nach Möglichkeiten zur Belebung seiner rückständigen Wirtschaft. Schon vor der Parlamentswahl kündigte Lukaschenko ein Privatisierungsprogramm an, das vor allem ausländische Investoren für die Industrie und Landwirtschaft anlocken soll, beides Bereiche, in denen Modernisierungen dringend notwendig sind.

Ernsthafte Alternativen zu europäischen Investoren hat Weißrußland zur Zeit nicht. Zur Modernisierung zählt auch eine Diverisfizierung der Absatzmärkte. Im Augenblick ist die weißrussische Wirtschaft in hohem Maße von Rußland abhängig.

Eine Verbesserung der Beziehung zur EU würde weißrussischen Firmen den Einstieg in europäische Märkte erleichtern. Da Weißrußland ein wichtiges Transitland für russisches Öl und Gas in den Westen ist, könnte Minsk mit westlicher Unterstützung eine stärkere Position gegenüber Moskau einnehmen. Eine gleichzeitige Normalisierung der Beziehungen zu den Nachbarländern Litauen, Lettland und Polen brächte Weißrußland weitere Vorteile. Lukaschenko schwebt unter anderem vor, daß Strom aus der Ukraine über Weißrußland nach Litauen geliefert wird, wenn das dortige Atomkraftwerk Ignalina schließt. Ein weiteres Projekt zum Bau einer Zweigniederlassung des Minsker Traktorenwerkes in der Ukraine ist in Planung. Gelingt es Lukaschenko, eine Zusammenarbeit mit der polnischen Bergbaubranche zu erreichen und ein Kraftwerk, das mit polnischer Kohle betrieben wird, in Weißrußland zu bauen, wäre das ein weiterer Schritt, sich aus der Abhängigkeit von russischer Energie zu befreien.

Die EU verbindet mit dem Öffnungskurs gegenüber Weißrußland die Hoffnung, daß dies die Reformen dort beflügeln wird. Darüber hinaus bietet das Land durch seine geopolitische Lage zwischen West und Ost viele Chancen für Investoren. Der Vorsitzende der oppositionellen Vereinigten Bürgerpartei, Anatoli Lebedko, kritisierte hingegen die Entscheidung der EU: „Europa hat angefangen, mit Lukaschenko zu spielen, um Weißrußland von Rußland wegzulocken.“

Tatsächlich fährt Lukaschenko zweigleisig, denn Moskau wird auf längere Sicht der wichtigste politische Bezugspunkt für Minsk bleiben. Rußland trat immer als Retter in der Not auf. Im Dezember 2007 gewährte Moskau Weißrußland einen Stabilitätskredit in Höhe von 1,5 Milliarden Dollar. Die Mehrbelastungen durch verteuerte Energieimporte konnte die weißrussische Wirtschaft aus eigener Kraft nicht stemmen. Mit dem Kredit konnte Lukaschenko den vergleichsweise hohen Lebensstandard trotz sozialistisch geprägter Wirtschaftsstrukturen halten.

Weißrußland ging auch in jüngster Zeit wieder weitreichende Verpflichtungen mit Moskau ein. Die Gründung einer gemeinsamen Luftabwehr ist beschlossen, und die Bildung einer Zollunion der beiden Länder steht bevor.

Das Land befindet sich in der Zwickmühle: Aus Moskau wächst der politische Druck auf die Regierung in Minsk, die Unabhängigkeit Abchasiens und Südossetiens anzuerkennen, Europa würde dies allerdings nicht tolerieren.     M. Rosenthal-Kappi


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