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01.11.08 / Von Existenzangst getrieben / Am 4. November wählen die US-Bürger ihren neuen Präsidenten – Arbeitsmarkt angespannt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-08 vom 01. November 2008

Von Existenzangst getrieben
Am 4. November wählen die US-Bürger ihren neuen Präsidenten – Arbeitsmarkt angespannt

Präsidentenwahl mitten in der Krise: Jobverlust, dramatisch gesunkene Aktienkurse und teurere Kredite verunsichern die 305 Millionen US-Bürger.

Der neueste Held in der Tragikomödie von Wahl und Wirtschaft, die die Amerikaner in diesen spannungsreichen Monaten durchleben, ist ein freundlicher, kahlköpfiger Klempner aus Holland, Ohio, mit dem schönen deutschen Namen Samuel Joseph Wurzelbacher. Als „Joe the Plumber“ war er unerwartet zu Ruhm gelangt. „Joe, ich helfe dir!“ erklärte der Präsidentschaftskandidat John McCain emphatisch über den Bildschirm, als es im letzten Fernsehduell vor der US-Wahl um die von McCains Konkurrenten Barack Obama geplante steuerliche Mehrbelastung der Wirtschaft ging. Joes Name fiel noch mehrfach, bis Obama tröstete: „Joe, du kannst beruhigt sein! Du bist nicht Big Business. Du zahlst keinen Cent!“ Und so geschah es, daß „Joe the Plumber“ in diesem Polit-Schauspiel seinen Platz in der Geschichte erhielt.

Doch wie die Schauspielkunst, die das Leben vorführt, so hat auch die Politik einen Janus-Kopf, Heiterkeit und Schmerz, Komik und Tragik demonstrierend. Ganz besonders in dieser größten Wirtschaftskrise, durch die Amerika seit den 30er Jahren geht. Trotz der versuchten 700 Milliarden Dollar teuren Rettung der Großbanken vollführt das Aktien-Barometer, der Dow-Jones, Zickzack-Sprünge wie ein gejagter Hase. Fast täglich erscheinen die Fernseh-Nachrichten und Zeitungen mit neuen Hiobs-Botschaften. Die Stimmung der Amerikaner reicht von Beunruhigung über Wut und Verbitterung bis zu Panik.

Die Arbeitslosenquote in den USA hat fast acht Prozent erreicht. „Die Selbständigen sind am meisten betroffen“, wird Ismael Adibi zitiert, ein bekannter Ökonom an der südkalifornischen Chapman Universität. Und so ist es. Eltern, die für das College ihrer Kinder sparen, Menschen, die für ihren Lebensabend etwas auf die hohe Kante gelegt haben, überhaupt alle kleinen Leute, die gespart haben, sind von der gleichen Angst befallen, wie die Firmeninhaber und alle anderen Selbständigen. Vor einigen Tagen erschoß ein arbeitslos gewordener Finanzberater seine Frau, drei Töchter, seine Schwiegermutter und sich selbst. Aus Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und verletzter Ehre, wie aus einem Abschiedsbrief hervorging.

Die Angst vor Job- und Haus-Verlust, Verschuldung und Verarmung – kurz die blanke Existenzangst – hat die Amerikaner befallen wie selten zuvor. Psychische Störungen werden öffentlich diskutiert und führen oft zu einer depressiven Weltsicht. Mehrere beliebte Einkaufs-Ketten gingen bereits bankrott, und auch die Filmindustrie ist betroffen. Das Fernsehen legt geplante Serien auf Eis. Steven Spielberg hat Kreditschwierigkeiten. Andere Studios stoppen oder verzögern ebenfalls Produktionen. Der Milliardär Sumner Redstone (84), der die TV-Station CBS weitgehend beherrscht, mußte soeben Notverkäufe von deren Aktien machen, weil er sonst seinen im November fälligen Kreditzahlungen nicht hätte nachkommen können.

Im Kleinen wie im Großen, du und ich, Joe the Plumber, der Zahnarzt, die Hausbesitzer, Sumner Redstone und Steven Spielberg (von den Großbanken und den Budgets der einzelnen Staaten ganz abgesehen) – ohne Kredite läuft nichts. Das gesamte Wirtschafts- und Finanzsystem in der USA ist auf Kredite aufgebaut. Und wenn der Kreditmarkt zusammenbricht, wie geschehen, bleibt keiner ungeschoren.

Für den Normalbürger ist die momentane US-Wirtschaftskrise sehr schnell gekommen. An der Oberfläche sieht der Alltag aus wie immer. Die Amerikaner müssen

erst einmal Luft holen und sich umstellen. Denn von ihrem Cha-rakter her ist diese Nation in keiner Weise wehleidig. Es ist, als wenn die alten Wild-West-Kräfte der frühen Siedler in Notzeiten wiederkehren. Man sieht das auch bei den gigantischen Naturkatastrophen, die zu allem Überfluß die USA auch noch heimsuchen.

Und so suchen die Leute angesichts der Wirtschaftskrise einmal mehr die beste Lösung: „Die Überflußgesellschaft lernt das Sparen.“ Die teuren Restaurants vermelden weniger Reservierungen. Die eleganten Büros in Downtown oder Santa Monica werden aufgegeben zugunsten preiswerter Räume irgendwo in der Stadt. Gourmet-Läden verlieren Kunden zugunsten ungehindert florierender Ketten wie „Trader Joe’s“. Die riesigen Department Stores wie Macy’s locken mit immer besseren Angeboten. Autos und Grundstücke sind zur Zeit äußerst günstig. Wer Geld hat, kauft ein Haus, wie Donald Trump schlau rät.

Gerade fallen endlich die Benzinpreise. Aber werden die Leute das gesparte Geld in andere Käufe investieren? „Nein“, sagt für viele Laura Walters, die an einer Exxon-Tankstelle ihren Ford tankt. „Wir kaufen Nahrungsmittel und das Nötigste. Für Luxus oder Unnötiges ist die Zeit zu unsicher.“ Auch an Weihnachtsgeschenken wollen viele sparen.

„Das wird das schlimmste Weihnachtsgeschäft seit Jahrzehnten“, jammern nicht nur die Einzelhändler, sondern auch die Wallstreet. Denn die US-Wirtschaft lebt zu 70 Prozent vom Verbraucher. Die 700 Milliarden Dollar, mit denen Washington die Finanzka-

tastrophe zu retten versuchte, waren nicht nur für die Großbanken gedacht, sondern indirekt auch für die Beruhigung der Bürger und die Wiederentfachung der Kauflust. Das scheint so schnell nicht zu funktionieren.

Doch wer auf ein neues Sparbewußtsein setzt, um Veränderungen herbeizuführen, ist Barack Obama, den immer mehr prominente Fachleute aller Richtungen unterstützen und hinter den sich der republikanische Ex-Außenminister Colin Powell gestellt hat.       Liselotte Millauer

Foto: Beim TV-Duell: John McCain verzieht das Gesicht, seine Chancen gegen Obama schwinden.


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