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01.11.08 / Ein Philosoph reist nach Arkadien / Mit einer Empfehlung Goethes war Arthur Schopenhauer in Italien unterwegs – Ein Bankrott beendete die Reise vorzeitig

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-08 vom 01. November 2008

Ein Philosoph reist nach Arkadien
Mit einer Empfehlung Goethes war Arthur Schopenhauer in Italien unterwegs – Ein Bankrott beendete die Reise vorzeitig

Im September 1818 brach Arthur Schopenhauer von Dresden nach Italien auf. Sein philosophisches Hauptwerk, „Die Welt als Wille und Vorstellung“, war nach unermüdlichem Studium endlich abgeschlossen, der Leipziger Verleger F. A. Brock-haus hatte sich bereit erklärt, das Werk herauszubringen. Nun wollte der junge Philosoph, sozusagen als Lohn für die Mühe, die ersehnte Bildungsreise ins „Land, wo die Zitronen blühen“ antreten.

Der Archäologe Johann Winckelmann, Präsident der Altertümer des Vatikans, hatte die Kunstbetrachtung mit wissenschaftlichem Spürsinn vervollkommnet. Seine Auffassung vom Wesen der Kunst als „edle Einfalt und stille Größe“ wurde bestimmend für die Folgezeit und beeinflußte auch Schopenhauer. Goethe, der 34 Jahre vor Schopenhauer den Brenner auf dem Wege nach Süden überquert hatte, erkannte wiederum die individuelle Bildung des Menschen als die große Lebenschance in Italien. „Arkadien“ wurde für ihn zu dem Land, in welchem seine Dichtkunst neu erwachte. Eigentlich eine Landschaft im Peloponnes, war Arkadien ein Idealbild, eine Metapher der von Menschen gebändigten Landschaft, wo es sich sorgenfrei und dichterisch leben läßt.

Ein Studienfreund Schopenhauers, der Maler Ludwig Sigismund Ruhl, schuf in jener Zeit, da der gebürtige Danziger den „Gärungsprozeß seines Denkens“ niederschrieb, ein Ölbild. Es versinnbildlicht Schopenhauers glücklichste Jahre, dichtes krauses Haar bedeckt den schmalen Kopf. So können wir uns den jungen Philosophen auf seiner ersten Italienreise vorstellen. Arthur war schon in den Jugendjahren mit den Eltern viel gereist. Ein zweijähriger Aufenthalt in Le Havre, ein mehrmonatiger in England ließen ihn perfekt Französisch und Englisch sprechen. Jetzt

lockte ihn erneut die Ferne, noch hatte er nicht genug im großen „Buch der Welt“ gelesen. Diese erste Italienreise führte ihn nach Venedig, Bologna, Florenz. Die Wintermonate verbrachte er dann in Rom.

Goethe hatte Schopenhauer vor Antritt der Reise ein Empfehlungsschreiben an Lord Byron, den genialen englischen Poeten, übermittelt, der sich zur gleichen Zeit in Venedig aufhielt und von ihm sehr geschätzt wurde. Daß es zu keiner Bekanntschaft kam, ist charakteristisch für Schopenhauers Mißtrauen. Er berichtete selbst dazu: „Mit meiner Geliebten, einer vornehmen Venetianerin, ging ich auf dem Lido spazieren, als meine Dulcinea in der größten Aufregung rief: Ecco il poeta inglese! Byron sauste zu Pferde an uns vorüber und die Donna konnte sich nicht beruhigen. Da beschloß ich, Goethes Brief nicht abzugeben, ich fürchtete mich vor Hörnern. Was hat mich das schon gereut!“

Wenn der freigeistige Philosoph aus Danzig die Gemälde des unbestritten führenden Malers Venedigs, Meister Tizian, kennenlernen wollte, mußte er die Kirchen aufsuchen, die überreich mit Kunstwerken ausgestattet sind. Auch die Bilder von Tintoretto in der Kirche S. Rocco, nicht weit von der Rialtobrücke entfernt, begeisterten ihn, im Gegensatz zu der im byzantinischen Stil erbauten Kirche S. Marco mit den überladenen Mosaiken. Dagegen fand der mit Marmorplatten angelegte Markusplatz, Piazza S. Marco, wohl der schönste Platz Venedigs, seinen ungeteilten Beifall. Gründlichst auf die Reise vorbereitet, hatte Schopenhauer Palladios berühmte Werke über die Baukunst studiert, doch sein besonderes Interesse galt den römischen Altertümern. So pittoresk-museenhaft sich die Palastvielfalt auf der Laguneninsel auch erstreckte, so wenig hatte das im 5. Jahrhundert entstandene Venedig an den gesuchten Altertümern zu bieten. Ungestüm trieb es den eifrigen Italienbesucher weiter nach Rom, in das grüne, klassische Arkadien. In der „Ewigen Stadt“ wohnten damals etwa 160000 Menschen. An einem Markttag bestaunte Schopenhauer das bunte, vielgestaltige Volksleben auf der Piazza Navona. Bis in die Nacht waren alle Buden mit farbigen Laternen beleuchtet.

Italien war schon immer ein Lieblingsland der Deutschen, junge deutsche Künstler hatten sich zusammengefunden, sie bildeten in Rom eine kleine Künstlerkolonie, zu der schon Goethe Zugang gefunden hatte. Daraus resultierte das bekannte Bild „Goethe in der Campagna“, gemalt von Wilhelm Tischbein. Arthur Schopenhauer, dem als Cicerone nur Winckelmanns „Geschichte der Kunst des Altertums“ diente, nahm auch Verbindung mit der deutschen Künstlergemeinschaft auf. Er traf dort den Rechtshistoriker und späteren Professor in Halle, Karl Witte, den er schon von Göttingen her kannte. Beide nahmen sich viel Zeit, die römischen Altertümer eingehend zu besichtigen.

Zu den herrlichsten Denkmälern der Antike gehört das gut erhaltene fast 2000 Jahre alte Pantheon. Ursprünglich ein Heiligtum aller Götter, unterscheidet sich das Pantheon von den übrigen Tempeln durch seinen runden Ziegelbau mit einer großen Kuppelwölbung darüber. Beeindruckend auch das größte Amphitheater Roms, das Kolosseum. Staunend standen die beiden Deutschen vor den Resten der römischen Wasserleitungen.

Schopenhauer hatte seine Bildungsreise noch lange nicht beendet, da warf ein Brief seiner Schwester alle Pläne über den Haufen. Adele teilte ihm mit, daß das Danziger Handelshaus Muhl & Co., bei dem die Mutter des Philosophen und Adele ihr Vermögen angelegt hatten, bankrott gegangen war. Auch Arthur hatte mit 8000 Talern einen Teil seines Kapitals bei Muhl investiert. Das Erbe des 1805 gestorbenen Heinrich Floris Schopenhauer war so groß, daß die Witwe und Tochter in Weimar und der Sohn in Dresden sorgenlos davon leben konnten. Der gerissene Muhl aber bot den Damen einen fragwürdigen Vergleich an, der zu einem Verlust von zwei Dritteln ihres Vermögens führte. Dagegen betrieb Arthur mit aller Konsequenz die Eintreibung seines Geldes, so daß ihm der Verlust erspart blieb. „Man kann wohl ein Philosoph sein, ohne deshalb ein Narr zu sein“, kommentierte er seine Handlungsweise.

Auf der Rückreise nahm Schopenhauer noch einmal die Gelegenheit wahr, Goethe in Weimar aufzusuchen. Es war der letzte Besuch des Philosophen bei dem Dichterfürsten.          Rüdiger Ruhnau

Foto: Arthur Schopenhauer vor seiner Reise nach Italien: Nach einem Porträt von Ludwig S. Ruhl


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