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08.11.08 / Blühende Spekulation / Die Tulpenmanie der Niederlande führte im Februar 1637 zur ersten größeren Finanzkrise der Neuzeit

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-08 vom 08. November 2008

Blühende Spekulation
Die Tulpenmanie der Niederlande führte im Februar 1637 zur ersten größeren Finanzkrise der Neuzeit

Die Tulpenmanie der Niederlande führte im 17. Jahrhundert dazu, daß für eine einzige Tulpenzwiebel zeitweilig 10000 Gulden bezahlt wurden. Der Preis entsprach dem eines Hauses. 1637 platzte die Tulpenzwiebelblase und ruinierte viele Spekulanten.

Begonnen hat die außerordentliche Karriere der holländischen Tulpen als Spekulationsobjekt mit dem Botaniker Charles de L’Écluse, der 1593 die ersten Tulpenzwiebeln im botanischen Garten der Universität Leiden als Heilpflanzen anbaute. Schon bald galt die exotische Blume, die man für ihre Schönheit und Widerstandskraft schätzte, als Symbol für Reichtum und guten Geschmack. Sammler waren in erster Linie wohlhabende Kaufleute und Bürger, die ihr Vermögen in den Ausbau von Landhäusern und Gärten anlegten.

Die Republik der Vereinigten Niederlande entwickelte sich ab 1590 zu einem der reichsten Länder Europas. Dieses goldene Zeitalter wurde durch den Ostindienhandel eingeleitet und hatte eine enorme kulturelle Blüte zur Folge. Die Künste wurden gefördert, Universitäten gegründet und Maler wie Rembrandt bekamen eine Fülle an Aufträgen. Die aufstrebende Kaufmannsschicht gewann zunehmend an Einfluß. Ihre Vertreter wollten den Wohlstand durch verschiedenste Prestigeobjekte darstellen, und die Tulpe avancierte dabei rasch zu einem der beliebtesten Statussymbole. So hefteten sich die Damen der Gesellschaft die abgeschnittenen Blüten an ihr Dekolleté, wobei die schönsten Sorten wie Diamanten gehandelt wurden. Und Tulpenliebhaber bereicherten ihre Sammlungen durch immer neue außergewöhnliche Züchtungen. Dessen ungeachtet blieb es zunächst noch beim klassischen Handel: Die Tulpenzwiebeln wurden von Gärtnern gegen Geld an die reiche Kundschaft verkauft. Doch eine biologische Eigenschaft der Tulpen hielt das Angebot knapp: Aus der Brutzwiebel erwachsen jährlich nur wenige neue Zwiebeln, und die Kultivierung durch Samen kann bis zu sieben Jahre dauern. So wuchs das Angebot langsamer als die Nachfrage – eine entscheidende Voraussetzung für die späteren Preisexzesse.

Während etwas weiter östlich der Dreißigjährige Krieg in seine letzte und schlimmste Phase trat, vollzog sich ab Herbst 1635 im Handel mit den Blumenzwiebeln ein grundlegender Wandel. Immer mehr Floristen gingen dazu über, Tulpen zu kaufen und zu verkaufen, die noch in der Erde waren. Man umging so die Abhängigkeit vom traditionellen Pflanzkalender, der den Handel auf die Sommermonate beschränkte. Dies war das Ende der Blumenzwiebel als Tauschobjekt. Über Zwischenhändler wurden stattdessen Optionsscheine auf die Tulpenzwiebel­anteile ausgegeben, welche manchmal bis zu zehnmal am Tag in Hinterhofspelunken den Besitzer wechselten.

Diese Phase des Tulpenfiebers führte dazu, daß der Handel mit den Anteilsscheinen auf den Ertrag zukünftiger Blumenzwiebeln keine Regeln mehr kannte. Jeder, der nur ein wenig Kapital besaß, versuchte mit dem Tulpengeschäft einen Gewinn zu erzielen und agierte dabei oft genug gegen die Statuten ehrbarer Kaufleute. Die Preise für die Zwiebeln explodierten und stiegen innerhalb weniger Jahre auf das bis zu 50fache an. So lag zum Beispiel der Kurswert für eine Zwiebel der begehrten Tulpensorte „Semper Augustus“ Anfang 1637 bei 10000 Gulden, das entsprach 40 Jahresgehältern eines Zimmermanns; daran gemessen erreichte der Preis für die Zwiebel rund eineinhalb Millionen Euro.

Die Spekulationsblase platzte unerwartet im Februar 1637. Die Händler konnten ihre Anteilsscheine nicht mehr verkaufen und der Terminmarkt brach zusammen. Am Ende waren die Zwiebeln nicht einmal ein Hundertstel ihres vormaligen Höchstpreises wert. Wie sehr der Zusammenbruch des Tulpenwahns der niederländischen Volkswirtschaft geschadet hat, ist heute schwer zu ermessen. Zu wenige Wirtschaftsdaten liegen aus dieser Zeit vor, und zu profitabel war der immer noch gut funktionierende Ostindienhandel. Mit Hilfe des Staates, der Schlichtungsgremien zwischen Gläubigern und Schuldnern einrichtete, blieb zudem die Zahl der Konkurse beschränkt. Bei der Tulpenmanie des 17. Jahrhunderts handelt es sich deswegen nicht um einen Börsencrash – wie oft behauptet –, sondern um eine zeitweilige Finanzkrise. Die holländischen Züchter konnten das wirtschaftliche Desaster im eigenen Land schnell durch einen erfolgreichen Exporthandel ausgleichen. Die Vorherrschaft, die Holland im internationalen Blumenhandel noch heute innehat, ist damit zwar nicht direkt das Resultat des sinnlosen Tulpenwahns im frühen 17. Jahrhundert, hat aber gemeinsame Ursachen mit diesem. Am Beispiel dieses floralen Spekulationsobjektes kann man bis heute zeigen, wie schnell und irrational der Markt außer Kontrolle geraten und welche Blüten der Verlust von Integrität treiben kann.    Anne Bruch

Foto: Semper Augustus: Damit die Käufer der Optionsscheine und Zwiebeln sich ein Bild machen konnten, beauftragten die Händler Maler, welche die Tulpen in den schönsten Farben darstellen sollten.


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