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08.11.08 / Spiegel des Zeitgeistes / Wie sich das Martinsfest seit Kaisers Zeiten gewandelt hat

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-08 vom 08. November 2008

Spiegel des Zeitgeistes
Wie sich das Martinsfest seit Kaisers Zeiten gewandelt hat

Es ist der 8. November 1890, drei Tage vor dem traditionellen Martinsfest. Am frühen Abend ziehen die Schüler der niederrheinischen Stadt Neuss, beaufsichtigt von Lehrern und begleitet von Musikkapellen, in Viererreihen zum Marktplatz. Sie tragen selbstgebastelte Fackeln und Laternen und singen Lieder zu Ehren des heiligen Martin von Tours.

Zentrales Motiv dieser Lieder ist eine von der Legende ausgemalte Tat des jungen römischen Gardeoffiziers Martinus, der im 4. Jahrhundert nach Christus lebte. Am Stadttor von Samarobriva, dem heutigen Amiens, teilte Martin im Winter des Jahres 338/39 mit dem Schwert seinen Offiziersmantel und warf die eine Mantelhälfte einem frierenden Bettler zu. In der folgenden Nacht erschien ihm im Traum Jesus Christus – bekleidet mit dem halben Mantel.

Zum Abschluß des Neusser Laternenumzugs intoniert die Kapelle die „Wacht am Rhein“ und den Choral „Großer Gott wir loben dich“, Lieder, die den Kindern von Schule, Elternhaus und Kirche her bekannt sind.

Beim Martinsumzug des Jahres 1895 wurde „Heil dir im Siegerkranz“ hinzugefügt. So ähnlich war es auch in anderen Städten des 1815 preußisch gewordenen Rheinlandes. Die Verbindung von Brauchtumsliedern mit patriotischem Liedgut entsprach durchaus dem gesellschaftlich-politischen Selbstverständnis der meisten Rheinländer – vor allem im Bildungsbürgertum, aus dem im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts die Anstöße zu einer Reform des arg verwilderten rheinischen Martinsbrauchtums gekommen waren.

Bei dieser Reform wurde vor allem der Wildwuchs bei den Heischegängen (Einsammeln von Gaben, insbesondere von Süßigkeiten) beschnitten. Insgesamt aber blieb die brauchtumsmäßige Gestaltung des Martinsfestes für viele Kinder und Jugendliche emotional so beeindruckend, daß sie im späteren Leben gern daran zu­rück­­dachten. So wird es verständlich, daß 1914 Düsseldorfer Soldaten im Feld, die um den Martinstag herum in Ruhestellung lagen, einen Martinszug organisierten, bei dem sicher auch der Wunsch nach Frieden und Rückkehr in die Heimat mitschwang.

Die patriotische Facette bei den Martinsumzügen blieb auch in der Weimarer Republik erhalten. Freilich war die Kaiserhymne durch die erste Strophe des Deutschlandliedes ersetzt worden. Die „Wacht am Rhein“ durfte man allerdings nicht singen, solange das Rheinland von alliierten Truppen besetzt war. Nach 1933 erklangen neben dem Choral die beiden damaligen Nationalhymnen.

Als in der Bundesrepublik Deutschland das Lied der Deutschen wieder seinen Rang als Nationalhymne erhielt, ließen die Martinskomitees, die seit der erwähnten Reform die Martinszüge organisierten, die 3. Strophe des Deutschlandliedes singen. Unter den Nachwirkungen der 68er Umtriebe entfiel das patriotische Bekenntnis. Auch das verbleibende „Großer Gott wir loben dich“ wurde von immer weniger Kindern mitgesungen. Lied und Text waren nicht mehr präsent, eine Folge der auch am früher „tiefschwarzen“ Niederrhein um sich greifenden Säkularisierung und Entchristlichung.

Heute ist das Martinsbrauchtum keineswegs frei von politischen Anspielungen. Es wird von Zeitgeist-Hörigen gerne in Multikulti-Bezüge gerückt. Gewiß, die Tat Martins spricht alle Menschen guten Willens an. Wer aber beim Brauchtum allzu sehr das heimatlich-deutsche Profil abträgt und auch die christlichen Wurzeln verkümmern läßt, der hilft mit, daß die Martinszüge zu einem oberflächlichen „Event“ verkommen. Manfred Müller


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