20.04.2024

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08.11.08 / 60 Jahre LO

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-08 vom 08. November 2008

60 Jahre LO

1948 – Kampf ums Überleben und Gründung der Landsmannschaft: Wer die Flucht über die Ostsee oder die Trecks überstanden hatte, hatte die Vertreibung noch nicht überlebt. Hunger und katastrophaler Mangel an Wohnraum und allem Lebensnotwendigen kosteten noch jahrelang viele Menschen Gesundheit und Leben. Bis in die fünfziger Jahre hinein lebten viele Vertriebene in Notunterkünften, und bei den Einheimischen stießen sie zu Beginn oft auf Ablehnung. Noch war die Hoffnung groß, wieder in die Heimat zurückkehren zu können. Viele Ostpreußen hatten sich durch Flucht und Vertreibung aus den Augen verloren, doch bis 1947 waren landsmannschaftliche Zusammenschlüsse verboten. 1948, im Jahr der Währungsreform, wurde die Landsmannschaft Ostpreußen gegründet.

 

1950 – Lastenausgleich: Mit dem Soforthilfegesetz beginnt der Lastenausgleich (LAG). Er hatte den Zweck, Vertriebene, Ausgebombte, SBZ-Übersiedler und Altsparer zu entschädigen. Abgeben mußten diejenigen, die ihr Vermögen – insbesondere Grundbesitz – behalten hatten. Der Lastenausgleich war eine unverzichtbare Starthilfe, wird aber oft überschätzt. Das gesamte Immobilieneigentum aller 14 Millionen Vertriebenen wurde nur mit 17,3 Milliarden Mark, also wenigen Prozent seines Wertes, „entschädigt“.

Foto: Kundgebung: Mit dem Lastenausgleich sollte ein Vermögensausgleich zwischen denen, die durch den Krieg alles verloren hatten, und denen, die ihren Besitzstand wahren konnten, geschaffen werden.

 

1955 – Wirtschaftswunder / Deutschlandverträge: Das Jahr 1955 markiert das Ende der Nachkriegszeit: Mit den Deutschlandverträgen vom 5. Mai bekam Deutschland den größten Teil seiner Souveränität zurück, das Wirtschaftswunder erreichte in diesem Jahr seinen Höhepunkt: In nur zwölf Monaten wuchs allein der bundesdeutsche Kfz-Bestand um 19 Prozent! Auch für viele Vertriebene ging es wirtschaftlich aufwärts. Bei seiner berühmten Moskau-Reise gelang es Bundeskanzler Konrad Adenauer, Zehntausende von der Sowjet-union verbrecherisch noch festgehaltene Kriegsgefangene freizubekommen – und zwar ohne, daß Bonn deswegen die DDR in irgendeiner Weise anerkennen mußte.

Foto: Zur Behebung der großen Wohnungsnot nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs und dem Zustrom von Flüchtlingen und Vertriebenen aus den deutschen Ostgebieten in den westlichen Teil Deutschlands wurden auch mit Mitteln des Marshallplanes Anfang der 1950er Jahre mehrere Siedlungen gebaut.

 

1965 – Ostdenkschrift: Bis in die sechziger Jahre hinein ließ sich die SPD bei ihrer Unterstützung für die Vertriebenen von niemandem übertreffen, Willy Brandt sprach noch auf dem SPD-Parteitag von 1964 als neuer Parteivorsitzender vor einer großen Karte mit Deutschland in den völkerrechtlichen Grenzen von 1937. Die Kehrtwende der SPD wurde von der Evangelischen Kirche vorbereitet. Sie legte 1965 die berühmt-berüchtigte „Ostdenkschrift“ vor, in der sie die Möglichkeit einer Anerkennung der Oder-Neiße als neue deutsch-polnische Grenze unter völliger Preisgabe der Rechte der Vertriebenen andeutete. Nicht einmal Minderheitenrechte für die Heimatverbliebenen oder ein Rückkehrrecht sollten dafür die Voraussetzung sein. Auf das Dokument ist die EKD heute noch stolz.

Foto: 40 Jahre „Ostdenkschrift“: EKD-Ratsvorsitzender Wolfgang Huber (r.) bei Feierlichkeiten 2005 in Warschau

 

1969 – Willy Brandt wird Kanzler: Nach dem Ende der Großen Koalition der Jahre 1966 bis 1969 wurde Willy Brandt Bundeskanzler. Seine Regierungserklärung war für die Vertriebenen ein Schock. Etwas verklausuliert stellte er die „Respektierung beziehungsweise Anerkennung“ der Oder-Neiße-Linie als Grenze in Aussicht. Das war subtil irreführend: Als Faktum „respektiert“ wurde die Linie sogar von den Vertriebenen selbst, schließlich hatten sie 1950 feierlich auf Gewalt und Vergeltung verzichtet. Wirklich „anerkannt“ werden durfte die von Stalin gezogene Linie hingegen gar nicht: Nicht von der Bundesrepublik, weil sich dies die Siegermächte vorbehalten hatten, und nicht vom Rest der Welt, weil durch Vertreibung geschaffene Fakten nach allgemeinem Völkerrecht nicht anerkannt werden dürfen. Trotzdem unterschrieb Brandt einen Vertrag, die De-facto-Anerkennung der Grenze. Viele Betroffene erinnerten ihn nun an seine eigenen Worte vom Sommer 1963 „Verzicht ist Verrat“ – und wurden in den nach links gerückten Medien dafür gescholten.

Foto: 7. Dezember 1970: Willy Brandt kniet vor dem Ehrenmal der Opfer des jüdischen Ghettos. Am selben Tag unterschrieb er den Warschauer Vertrag, der das Kernstück seiner gesamten Entspannungspolitik war.

 

1973 – Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Einer der Ostverträge der sozialliberalen Bundesregierung war der Grundlagenvertrag mit der DDR von 1972. Franz Josef Strauß klagte dagegen vor dem Bundesverfassungsgericht und erstritt einen politischen Sieg. Nur unter engen Bedingungen war der Vertrag mit der Verfassung zu vereinbaren: Der Bundesrepublik war eine endgültige Grenzanerkennung verwehrt, sie war als Völkerrechtssubjekt mit dem Deutschen Reich in den Grenzen von 1937 identisch, die Wiedervereinigung blieb ein Staatsziel, die „Staatsbürgerschaft der DDR“ war ein Nullum – für Kanzler Willy Brandt war es eine Ohrfeige.

 

1978 – Bayern übernimmt Patenschaft: Vor nun bereits 30 Jahren entschied sich die Bayerische Staatsregierung, die Patenschaft für die Ostpreußen zu übernehmen. Mittelpunkt der ostpreußischen Kulturarbeit in Bayern ist das Kulturzentrum Ostpreußen in Ellingen. Aber nicht nur die Bayern setzten sich für die Ostpreußen ein, viele westdeutsche Städte waren und sind bereit, Patenschaften für ostpreußische Landkreise und Ortschaften zu übernehmen und zu pflegen, manche bestehen bereits seit Jahrzehnten.

Foto: Über Jahrzehnte gute Kontakte: Edmund Stoiber beim Deutschlandtreffen 2002

 

1982 – Kohl wird Kanzler. Mit dem hohen Ziel einer geistig-moralischen Wende übernimmt Helmut Kohl im Herbst 1982 das mächtigste deutsche Staatsamt. Ihm gelingt bis 1989 eine kräftige Ankurbelung der Wirtschaft, so daß die Wiedervereinigung, wenn auch mit neuen Schuldenbergen, finanziell irgendwie gestemmt werden konnte. 1987 empfängt er DDR-Staatschef Erich Honecker wie einen Präsidenten, aber er sagt ihm ins versteinerte Gesicht hinein, daß er am Ziel der deutschen Einheit festhalte. Die Regierung Kohl hat viele Sympathien für die Vertriebenen erkennen lassen, allerdings konnte sie im Zuge der Wiedervereinigung nichts mehr für sie durchsetzen: weder Rückkehr- und Minderheitenrecht noch direkte Gespräche ihrer Vertreter mit den Regierungen in Warschau und Prag. „Politik ist so“, kommentierte der CDU-Politiker Alfred Dregger diese Entwicklung.

 

1989/90 – Ende des Ostblocks: Für die Deutschen gehören die Jahre 1989 und 1990 mit dem Fall der Mauer, der Öffnung der innerdeutschen Grenze und der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten zu den glücklichsten ihrer Geschichte. Schon mit Amtsantritt von Michail Gorbatschow als neuem Generalsekretär der KPdSU im Jahre 1985 bekamen die Ostblockstaaten gewisse Freiräume, die vor allem Ungarn und Polen für Reformen nutzen. In den besetzten baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen, letzteres nach 1945 erneut mit dem Memelland bedacht, bildeten sich demokratische Nationalbewegungen, denen 1991 die Wiedergewinnung der Unabhängigkeit gelang. Das nördliche Ostpreußen blieb dagegen auch nach dem Untergang der Sowjetunion Ende 1991 bei Moskau. Doch auch hier fing man an, offen über die deutsche Vergangenheit zu reden, viele Russen befürworteten die Benennung der Pregelmetropole auch in russischer Sprache in „Kenigsberg“. Bereits in den siebziger Jahren hatte ein Zuzug von Rußlanddeutschen in das Gebiet begonnen, womit neue evangelische Kirchengemeinden entstanden.

Foto: 9. November 1989: Fall der Berliner Mauer. Zehntausende Insassen der DDR strömen an die geöffneten Grenzübergänge, um dort mit den Westdeutschen die offenen Grenzen zu feiern.

 

ab 1990 – Heimatreisen, Hilfstransporte und Zusammenarbeit: Was während des Kalten Krieges nur mit viel bürokratischem Aufwand oder sogar (im nördlichen Landesteil) überhaupt nicht möglich war, wurde durch das Ende des Ostblocks für immer mehr Heimatvertriebene möglich: Reisen in die Heimat. Zahlreiche Ostpreußen besuchen ihre alten Heimatorte, schauen sich die Plätze ihrer Kindheit an und knüpfen Kontakte mit Heimatverbliebenen sowie Polen, Russen und Litauern. Auch Hilfstransporte sind seitdem einfacher durchführbar. Die Heimatreisenden brachten als Touristen Geld in die Region. Heute ist das Land durch neue Hotels und Restaurants touristisch attraktiver geworden, so daß auch viele Skandinavier und nichtvertriebene Deutsche die Orte mit ihrer bis zu 800jährigen deutschen Tradition bereisen. Ostpreußen wurde so zum Reise-, ja zum Sehnsuchtsland, das auch in den Medien immer mehr Beachtung findet.

Foto: Die ostpreußischen Brüder Eckhardt (li.) (69) und Gerhard (66) Romahn, suchen auf einer historischen Landkarte den Weg, den sie als Flüchtlinge nehmen mußten. Immer mehr Vertriebene reisen an ihre Geburtsorte.

 

1998 – Gerhard Schröder wird Kanzler: In wenigen Jahren wurden die Mittel für die Kulturarbeit der Vertriebenen um mehr als die Hälfte gekürzt. Schröder betrachtet die Vertreibung als „abgeschlossenes Kapitel der Geschichte“ – die LO seine Kanzlerschaft.

 

2004 – EU-Osterweiterung: Für viele Vertriebene war der 1. Mai des Jahres 2004 ein bewegender Tag, denn mit der Osterweiterung der Europäischen Union rückten Polen und Litauen und somit auch die Heimat der Ostpreußen politisch ein Stück näher an die Bundesrepublik Deutschland. Auch die russische Exklave Königsberg, nun umgeben von Mitgliedsstaaten der EU, begann verstärkt, Kontakte in den Westen anzuknüpfen und zu pflegen.

 

2008 – Die Landsmannschaft wird 60 Jahre, das Zentrum gegen Vertreibung (ZgV) ist der Realisierung so nahe, wie nie zuvor: Die Landsmannschaft Ostpreußen kann auf 60 Jahre Interessenvertretung und Traditionspflege der heimatvertriebenen Ostpreußen zurückblicken. In Bad Pyrmont begeht sie dieses Jubiläum und erinnert dabei an zahlreiche, teilweise zäh erkämpfte Erfolge. Einer von ihnen ist das vom Bund der Vertriebenen (BdV) initiierte Zentrum gegen Vertreibungen. Trotz massiver Widerstände aus Politik und Gesellschaft gibt es inzwischen die Zusage vom Bund, unter dem Arbeitstitel „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ ein Dokumentationszentrum über die Vertreibungen des 20. Jahrhunderts in Europa in Berlin zu errichten. Einen Ort für die Ausstellung gibt es bereits: das Deutschlandhaus in Berlin.


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