19.04.2024

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15.11.08 / Himmler an allen Kiosken

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 46-08 vom 15. November 2008

»Moment mal!«
Himmler an allen Kiosken
von Klaus Rainer Röhl

Am Tag, als Obama kam und die Fernsehreporter sich vor Begeisterung kaum mehr einkriegen konnten und im immer breiteren Südstaaten-Slang „Obämä!“ riefen, war der „Spiegel“ mit einem farbigen Titelbild von Heinrich Himmler auf dem Markt. Bißchen unscharf, aber neben ihm, mit jovialem Lachen, Hitler. Dem „Spiegel“ war sogar noch eine CD angeheftet, die „Hitlers Vollstrecker“ in Bild und Ton ankündigte. Himmler an allen Kiosken: „So billig war Einkaufen noch nie!“ titelte die Zeitung mit einer Auflage von knapp vier Millionen und gleich darunter „Die Baupläne von Auschwitz!“ Exklusiv. Eine ganze Seite Himmler. Wer gedacht hätte, er könnte wenigstens bei der linken „Tageszeitung“ („taz“) entkommen, sah sich getäuscht. Himmler war gleich auf drei Seiten Thema im „taz“-Magazin. Mit der pikanten Variante, die nicht einmal „Bild“ exklusiv hatte: Himmler führte mit seiner Sekretärin eine Zweitehe! Darunter brachte die „taz“ ein Foto von einer SS-Hochzeit über eine halbe Seite. Lauter freundlich lachende SS-Männer und in der Mitte der Reichsführer. Anlaß: ein Buch über Himmler, das gerade pünktlich zum 9. November, dem Jahrestag der „Reichskristallnacht“, erschienen war.

Einen Anlaß, Fotos aus der NS-Zeit zu bringen, gibt es immer in Deutschland. Bei „Spiegel“-Chef Rudolf Augstein war die Vorliebe für „Führerbilder“ und Hitler-Storys noch verständlich. Wehrmachtsoffizier, unbelastet, war Augstein einer der ersten Lizenzträger, als die Alliierten an die Umerziehung der Deutschen gingen, seine Wochenzeitung machte die Reeducation erst professionell. Gegen Hitler allemal, und gegen die „Bonzen“. Im „Spiegel“ steht seit Januar 1947 Woche für Woche, warum das alles so gekommen war und wer daran schuld war und wer nicht. Ergebnis offen. Also jede Woche noch einmal.

Manche NS-Größen waren da noch gar nicht wieder aus der Gefangenschaft entlassen, andere in Südamerika untergetaucht. Das gab viel Stoff für spannende Untersuchungen. Was ist eigentlich aus Baldur von Schirach geworden, wo lebt seine Frau, wenn ja, warum – und wovon? Wo lebt Hitlers Sekretärin, wo seine Schwester? Das interessierte Augstein damals ebenso wie seine Leser, die mit ihm jung waren und langsam älter wurden und immer noch mehr lesen wollten über die Nazizeit, von der jeder nur seinen kleinen Ausschnitt gekannt hatte. Das gab Stoff für Tausende von Seiten. Was macht Leni Riefenstahl, was Kristina Söderbaum, wie war es wirklich mit Albert Speer, mit Generalfeldmarschall Paulus, mit Goebbels Frauen, mit Görings Drogensucht. Das interessierte die „Spiegel“-Leser.

Ach, es war keine „antifaschistische“ Wandlung der Deutschen, die sich da vollzog, es wurde nur ein Interesse befriedigt. Ein brennendes Interesse. War alles wirklich so schlimm? Die Antwort: Es war noch viel schlimmer, aber anders. „Spiegel“-Leser wissen mehr. Auch vom Führer, von Göring und Goebbels und, seit voriger Woche, eben von Himmler. Wie lebten die Obernazis in ihren Bunkern und mit ihren Weibergeschichten und vegetarischen Eintopfsuppen und Orgien und Extra-Uniformen, das war endloser Stoff für den „Spiegel“, Woche für Woche. Augstein brachte den deutschen Lesern die Nazi-Zeit, die sie selber ja nur irgendwo an der Front, auf der Flucht, im Luftschutzbunker oder in ihrer kleinen Stadt erlebt hatten und nicht in den Zentren der Macht, so richtig schön nahe. Chefredakteur und Leser waren eine Einheit: Gegen die Diktatur. Hauptsache, die Details stimmen. Also nicht einfach schreiben: „Deutschland baute den ersten Düsenjäger der Welt!“ Es war die deutsche Me 262 A-1a, Schwalbe, bitte nicht mit der fast gleichzeitig gebauten Me 262 A-1b verwechseln. Me wie Messerschmidt. Details. „Spiegel“-Leser wissen genau, daß das Ritterkreuz mit Schwertern etwas anderes ist als das Ritterkreuz mit Schwertern und Brillanten. Das wird in keiner Millionärsschau von Günther Jauch gefragt. „Spiegel“-Leser könnten die Frage beantworten.

Hatten wir vielleicht doch Wunderwaffen? Nein. Eigentlich nicht, aber fast. Immerhin bauten wir an der Atombombe, wir hatten auch die ersten Raketen dazu, die ersten Düsenjäger sowieso und die Verflüssigung von Kohle zu Benzin für Flugzeuge und Panzer. Wer war schuld an den KZ-Greueln? Wer wußte davon? Bitte melden. Die eigentliche Entnazifizierung fand im „Spiegel“ statt, und alle wurden eingestuft als nicht sehr belastet – ausgenommen natürlich die ganz schlimmen Fälle, die Verbrecher, KZ-Kommandanten und Mordkommandos, gegen die waren alle.

Die Leserschaft des „Spiegel“ hat sich verjüngt. Von den Lesern von 1950, den Kriegsteilnehmern, den Überlebenden von Flucht, Bombenkrieg und Gefangenschaft ist mehr als die Hälfte gestorben, aber vorher hatten sie die deutsche Wirtschaft wieder angekurbelt, Arbeitsplätze geschaffen und die Städte wieder aufgebaut. „Schöner denn je!“ sind sie nicht geworden, wie Hitler einst versprochen hatte, eher unterschiedslose Betonklötze mit Toilette, Bad und Fernheizung, und im Zentrum der Städte wurden überall ein paar Altstadt-Kulissen hergerichtet und herausgeputzt, die nun amerikanische Touristen so gerne fotografieren – das schöne Deutschland! In diesen Städten wuchs die neue Generation der „Spiegel“-Leser auf, und die Anzeigenseiten des „Spiegel“ wuchsen um das Zehnfache und die Anzeigenpreise um das Fünfzigfache. Nachdem die Städte und Fabriken halbwegs gut aufgeräumt und die Kinder des Wirtschaftswunders in die neu aufgebauten Universitäten eingezogen waren, gingen die meisten von ihnen erst mal demonstrieren, als Anhänger der antiautoritären Revolte von 1968. Mit ihnen kam eine neue Welle der Entnazifizierung ins Land, aber diesmal entnazifizierten nicht die Besatzungsmächte die Deutschen, diesmal entnazifizierten die Söhne und Töchter ihre Eltern, der „Spiegel“ half auch hier mit exakten Daten und Details.

Zwei ganze Generationen von Lesern sind seitdem dazugekommen, aber dieses seltsame Interesse an Bildern von damals, man muß schon sagen, die Faszination, hat sich erhalten. Selbst die Enkelkinder der ersten „Spiegel“-Leser haben dieses Interesse an den Führerbildern und Filmen und Aufmärschen und Klatschgeschichten anscheinend im Blut und wollen die „furchtbare Zeit“ immer nochmal sehen, und seit es, ab 1998, im ZDF die populären Fernsehserien über die NS-Zeit von Guido Knopp gab, schwemmte der Trend noch mehr Interessenten ins „Spiegel“-Haus. Hitler, Hitler, Hitler. Die Deutschen sind krank, sagt meine griechische Freundin.

Knopps Filme faszinierten nicht nur Hitlergegner. Die schönen alten Wochenschau-Aufnahmen von der Panzerschlacht von Kursk und auch die neuen Bilder von Himmler werden von alten und neuen Verehrern  herauskopiert, heruntergeladen, auf CDs gebrannt, als Video-Filme verbreitet und auf eigenen „Blogs“ vorgeführt, die Anzahl dieser Filme und Bücher und CDs steigt immer noch an. Gleich, ob am 9. November oder am „Holocausttag“, die Anzahl der veröffentlichten Hitler-Bilder und Fotos aus der NS-Zeit übersteigt jedes aktuelle Maß – die Mitarbeiter in der „Dokumentation“ des „Spiegel“, die sie bereithalten müssen, seien meine Zeugen. Bin Laden kann anstellen, was er will, nie werden seine Fotos so oft angefordert wie die von Adolf Hitler. Hitler und sein Hund, Hitlers letzte Geliebte, Hitlers versteckte Schwester, Hitlers Arzt, Hitlers Medikamente, Hitlers jüdischer Freund, Hitler und das Haus Wagner, Hitler und Leni Riefenstahl, Hitlers vegetarische Ernährung, Hitlers Zeichnungen und sein Architekt Speer, der natürlich ganz besonders, der war auch noch ein Frauentyp. Sind die Deutschen wirklich krank? Oder nur die „Spiegel“-Leser? Die Leser der „taz“ und der „Bild“-Zeitung?


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